Ernst-Günther Tietze:
"
Mein Herz, ich will Dich fragen", Leseproben

© Copyright 2014 Ernst-Günther Tietze

Prolog    Literaturverzeichnis

 Der Dichter Friedrich Halm hat im 19 Jahrhundert eine Reihe schöner Liebesgedichte geschaffen. In einem von ihnen versucht er, das Geheimnis der Liebe unmittelbar zu entschlüsseln:

 Mein Herz ich will Dich fragen, „Was ist denn Liebe, sag’?  

„Zwei Seelen und ein Gedanke, Zwei Herzen und ein Schlag!“  

Und sprich, woher kommt Liebe? „Sie kommt und sie ist da!“  

Und sprich, wie schwindet Liebe? „Die war’s nicht, der’s geschah!“  

Und was ist reine Liebe? „Die ihrer selbst vergisst!“  

Und wann ist Lieb‘ am tiefsten? „Wenn sie am stillsten ist!“  

Und wann ist Lieb‘ am reichsten? „Das ist sie, wenn sie gibt!“  

Und sprich, wie redet Liebe? „Die redet nicht, sie liebt!“  

In diesem Gedicht findet der Dichter manch schöne und treffende Definition für das größte Wunder, das sich immer wieder zwischen Menschen ereignet. Doch an einigen Stellen lässt er sich von der Bewunderung der Liebe zu Fehlinterpretationen  hinreißen und übersieht dabei, dass die Liebe zwar scheinbar vom Himmel fällt, dann aber von den Partnern immer wieder bewahrt werden muss, um dauerhaft bestehen zu bleiben.  

In den folgenden Kapiteln verbinden einer Reihe kleine Geschichten die Verse des Gedichtes mit realen Erlebnissen. Dabei wird die Wahrheit hinter den einzelnen Versen des Gedichts untersucht. In einigen dieser Geschichten mündet die Liebesbeziehung in eine Ehe, die die Liebesgemeinschaft offiziell bestätigt. Den meisten Versen kann uneingeschränkt zugestimmt werden, doch bei anderen wird die Diskrepanz zum wahren Leben aufgezeigt.

 

Aus Kapitel "Mein Herz, ich will dich fragen, was ist die Liebe sag"     

Hier geht es um die erotisch gefärbte Liebe zwischen Mann und Frau. Im Tierreich ist sie rein sexuell bestimmt und dient nur der Erhaltung der Art. Erst die Menschen haben das tiefe seelische Erleben der Liebe als ein wundervolles Geschenk entwickelt. Wer hat es noch nicht gefühlt, das innige hingezogen sein zu einem anderen Menschen, die Schmetterlinge im Bauch, wenn man nur an ihn denkt, und erst recht, wenn eine Begegnung mit ihm bevor steht?

Das Hohelied Salomos sagt: „Liebe ist stark wie der Tod, ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ertränken.“

Nur in dieser erotischen Liebe (griechisch eros) finden Männer und Frauen zueinander und wissen zuerst oft gar nicht, was ihnen geschieht. Nach der griechischen Mythologie hat sie der Liebesgott Eros, den die Römer später Amor genannt haben, mit seinem Pfeil getroffen. Heute ist bekannt, dass der Pfeil des Eros aus einem Hormoncocktail besteht, der beim Anblick einer die Sinne reizenden Person ausgeschüttet wird. Daneben übermitteln Pheromone in der gesamten Tierwelt, also auch beim Menschen, sexuell anregende Signale.

Doch das ist nur die erste Phase der Liebe, zwar die aufregendste, doch noch keine richtige Liebe, sondern nur „verliebt sein“. Man glaubt schon, sich vollständig zu kennen, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Aber man kennt sich noch lange nicht und sollte deshalb mit der ganz innigen körperlichen Vereinigung sehr zurückhaltend sein.

Wenn der Sturm der ersten Leidenschaft sich gelegt hat, beginnt die zweite Phase, der Übergang vom „verliebt sein“ zur richtigen Liebe. Das ist ein langer Prozess der Prüfung, auch Selbstprüfung mit Fragen, kritischen Betrachtungen und Zweifeln. Hier muss man absolut ehrlich sein, vor allem mit sich selbst, auch auf die Gefahr hin, dass der Kopf das Gefühl nicht bestätigt. Eine glückliche Gemeinschaft bekommt man nicht zum Nulltarif auf dem Silbertablett serviert. Erst wenn man ganz sicher ist, dass der geliebte Mensch für eine lebenslange Gemeinschaft genau der Richtige ist, darf man „ja“ zu der Partnerschaft mit ihm sagen, sich die Liebe, auch die körperliche, gestatten.

Danach kann die dritte, schwierigste Phase beginnen, das miteinander leben, wo die Liebe die Probleme des Alltags überwinden muss. Die Gemeinschaft wird fester, sie umfasst Leib, Seele und Geist. Man lernt sich immer besser kennen und nicht nur die Gemeinsamkeiten werden deutlicher, sondern auch die Unterschiede. Da gilt es, nicht zu resignieren, sondern zu kämpfen im guten Sinne. Sich verständigen, aber nicht klein beigeben oder auf dem Eigenen beharren. Das ist nicht einfach. Es entstehen Missverständnisse, unbeabsichtigte Kränkungen, auch das Gefühl von unverstanden sein. Nur tiefe Liebe kann das alles überwinden, und verzeihen ist ein Muss in der Gemeinschaft.

Aus Kapitel "Zwei Seelen, ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag"

Der Student Stephan Hewel ist Freitag nach Braunlage zum Ski laufen gefahren. Über das Internet hat er bis Sonntag ein Zimmer gemietet und ist angenehm überrascht, als die Tochter der Wirtin ihn empfängt. „Ich heiße Barbara Schüssler, herzlich willkommen bei uns, meine Mutter kommt erst am Abend“, sagt sie mit warmer Stimme und zeigt ihm sein Zimmer. Verstohlen mustert Stephan die junge Frau, die etwa in seinem Alter sein muss. Sie hat lange blonde Haare mit einem Pferdeschwanz und ein hübsches Gesicht. 

Nachdem beide am nächsten Abend lange miteinander getanzt haben, schreibt Stephan ihr von zu Hause einen Brief:

Hamburg, den 27. 4. 2011,  Geliebte,
ich weiß gar nicht, wie ich Dir für diese wundervollen Tage danken soll. Du hast mir Deine Liebe geschenkt und ich bin sehr glücklich darüber.
Das ist für mich – und vielleicht auch für Dich – der schöne neue Anfang, den Du schon in Deinem ersten Brief verheißen hast. Und ich habe geantwortet, es möge zwischen uns eine Liebe wachsen, die das Leben überdauert. Jetzt fühle ich, dass diese Liebe schon ein großes Stück gewachsen ist, fühlst Du es auch?
Du hast am Freitag gesagt, Du könntest Dir ein gemeinsames Leben mit mir durchaus vorstellen, wenn. wir Vertrauen zueinander haben und uns dieses gemeinsame Leben ernsthaft versprechen. Ich vertraue Dir in jeder Beziehung und möchte gerne gemeinsam mit Dir leben. Was hältst Du davon, wenn wir Pfingsten unsere Verlobung bekannt geben? Sicherlich überfalle ich Dich mit dieser Idee; wenn es Dir noch zu früh ist, kann ich Dich vollkommen verstehen. Aber seit ich Dich im Januar gefunden habe, sehe ich eine strahlende Perspektive für mein Leben. So wie der Bursche in dem Gedicht wünsche ich mir Dein Wort „Nimm beide Augen und das Mädchen!“ Ich grüße Dich voller Liebe, Dein Stephan

Sind die Kirschen reif geworden, rot und reif die Kirschen worden. 
Niemand darf die Kirschen nehmen, als ein Bursche, als ein Mädchen.

Sagt der Bursche, sagt dem Mädchen,
Antlitz tief in Scham errötet:
„Deine Augen sind wie Sterne, ach, ein Leuchten deiner Augen!“

Sagt das Mädchen, sagt dem Burschen:
„Warum willst du nur das Leuchten?
Nimm die Augen, nimm sie beide, beide Augen und das Mädchen.“

Braunlage, den 1. 5. 2011,  Geliebter!
Voller Freude erwidere ich Deine Anrede, denn ich fühle Dich als ganz geliebten Menschen. Und danken musst Du mir doch nicht, denn Du hast mir doch genau so viel gegeben, wofür ich Dir von ganzem Herzen dankbar bin. Ich glaube, wenn wir danken, sollten wir es auch Gott gegenüber tun, der uns zusammen geführt hat.
Dank auch für Dein süßes Gedicht. Ich habe alle Gedichte aufbewahrt, du suchst sie immer so lieb aus. Ja, sage ich Dir von ganzem Herzen „Nimm meine beiden Augen und das Mädchen“, das ja, wie Du weißt, schon eine erfahrene Frau ist, wenn auch die Erfahrung schlimm war. Und weil ich sicher bin, dass wir zusammen gehören, freue ich mich über Deinen Vorschlag, zu Pfingsten unsere Verlobung bekannt zu geben. Ich habe mit meiner Mutter gesprochen, sie will eine kleine Feier für uns ausrichten.
Ich habe heute lange geschlafen, denn gestern haben wir die Walpurgisnacht gefeiert. Wir Frauen waren alle als Hexen verkleidet, leider waren unsere Besen nicht flugtauglich, so dass wir zum Tanzplatz laufen mussten. Mit den als Teufel verkleideten Männern haben wir an einem großen Feuer bis in den Morgen getanzt, aber ich habe mich von keinem küssen lassen, was einige gar nicht lustig fanden. Sie mussten’s halt leiden, denn Du bist doch der Einzige, der mich jetzt noch küssen darf.
So mein Lieber, der Abend ist schon wieder zu Ende, tags musste ich im Haus helfen, deshalb schließe ich erst mal. In tiefer Liebe grüße ich Dich von Herzen, Deine Barbara.

Wieder gehen viele Briefe und Mails zwischen den beiden Liebenden hin und her, bis Stephan am Freitag vor Pfingsten in Braunlage ankommt. Barbara holt ihn vom Bus ab und sie küssen sich, als ob sie sich viele Jahre nicht gesehen hätten.
Am Sonntag gibt die Mutter Barbara für den Tag frei. „An deinem Verlobungstag musst du nicht arbeiten“, sagt sie schmunzelnd. Da das Wetter gut ist, schlägt Barbara vor, noch vor dem Mittag im Oderstausee zu baden. Sie fahren mit Rädern am See entlang, bis sie eine einsame Stelle finden. „Ich glaube, hier können wir nackend baden“, meint Barbara, „das ist mir viel lieber.“ Stephan freut sich, jetzt kann er die Geliebte zum ersten Mal so sehen, wie Gott sie geschaffen hat. „Weißt du, dass du eine schöne Frau bist?“, sagt er bewundernd, worauf sie ganz verlegen ist, doch dann meint sie lachend: „Du siehst aber auch nicht schlecht aus“, und küsst ihn. Nach dem Bad umarmen sie sich beim Küssen, dann müssen sie sich beeilen, um nicht zu spät zum Essen zu kommen.
Nachmittags kommen schon ein paar Kollegen und Nachbarn zum Kaffee, Stephans Vater ist leider auf einer Dienstreise, doch er schickt ein hübsches Schmucktelegramm. Abends ist das Zimmer voll mit weiteren Gästen. „Wir sind hier halt in einem Dorf, wo jeder jeden kennt“, entschuldigt sich die Mutter. Bei einem Glas Sekt versprechen die beiden sich ein Leben miteinander. Heiraten wollen sie nach Stephans Diplom in etwa anderthalb Jahren. Als sie sich gegenseitig die Ringe aufsetzen, küssen sie sich herzlich und die Gäste klatschen begeistert Beifall. Die Feier geht bis in die Nacht weiter und als Stephan sich vor seinem Schlafraum von Barbara verabschieden will, drängt sie ihn hinein. „Heute am See habe ich deinen schönen Körper gefühlt, jetzt möchte ich noch ein bisschen mehr davon haben“, flüstert sie. Stephan denkt: „Eigentlich ist es noch ein bisschen früh, um miteinander zu schlafen, aber ich hätte nichts dagegen“, und antwortet erfreut: „Das geht mir doch ebenso.“ Doch Barbara will ihm nur ein wenig Liebe geben und schmiegt im Bett ihren warmen weichen Körper an ihn. Stephan genießt diese Berührung sehr, dabei fühlt er eine immer stärkere Erregung. Doch es ist so schön, dass er nicht aufhören kann. Als er Barbaras Brustspitzen küsst, ist sie von seiner Zärtlichkeit so sehr erfüllt, dass sie ihn behutsam streichelt, bis ihr sein Beben und Stöhnen sein Erleben zeigt. Stephan ist überwältigt von ihrem Liebesbeweis und legt seinen Kopf auf ihre Brust, wo er das Herz schlagen hört. So etwas hat er noch nie gehört, und nun ihr Herz, von dem er weiß, dass sie ihn darin bewahrt! Er hat das Gefühl, dass sein Herz im gleichen Takt schlägt. Mit vielen Küssen trennen sie sich nach langer Zeit.


Im Gegensatz zum ersten Beispiel haben Barbara und Stephan den Kick plötzlicher Verliebtheit weniger stark erlebt. Weil Stephan etwas für Barbara fühlte, als sie ihm in die Augen schaute, schrieb er ihr. Dann lernten sich die beiden in einem längeren Prozess mit vielen Briefen immer besser kennen und kamen sich näher, wobei der Verstand eine wesentliche Rolle gespielt hat. Als sie rückhaltlos zueinander „ja“ sagen konnten, waren sie in der Liebe angekommen.  
Liebende stellen immer wieder fest, dass sie zur selben Zeit das Gleiche denken. „Zwei Seelen, ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag!“ erlebten auch diese beiden, wenn sie das Gleiche dachten, und auch als sie fühlten, wie ihre Herzen im Gleichtakt schlugen.

Aus Kapitel "Und sprich, woher kommt Liebe? Sie kommt nicht, sie ist da!

Seitenanfang            Literaturverzeichnis           

Als David Marcel morgens auf dem Weg zur Arbeit am Breitenbachplatz in die Berliner U-Bahn steigt, fühlt er so etwas wie einen Stich ins Herz. Am Fenster sitzt eine junge Frau mit langen dunkelblonden Haaren und einem freundlichen Gesicht, sie ist schlank und gut gebaut. Verstohlen schaut er sie immer wieder an, doch wenn sie von ihrem Buch aufblickt, wendet er den Blick ab. An der Augsburger Straße muss er eigentlich aussteigen. doch wie magnetisch angezogen bleibt er in der Bahn, bis die Frau am Wittenbergplatz aussteigt. Er folgt ihr fünf Minuten und sieht sie in einer Bankfiliale verschwinden.

Diese Frau hat ihn unwahrscheinlich beeindruckt, David will sie wiedersehen. Die Bank ist noch nicht geöffnet, aber in der Mittagspause geht er die kurze Strecke bis zu der Bank. Geduldig wartet er, bis eine Kundin fertig ist, dann schaut ihn die junge Frau an und fragt freundlich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Sigrid Köhler erinnert sich genau an die verlegenen, unaufdringlichen Blicke des jungen Mannes in der U-Bahn, die sie beeindruckt haben. Sie hat ihn ja auch unauffällig gemustert. „Gar nicht so übel“, war ihr Eindruck. Auch dass er ihr bis zur Bank gefolgt ist, war ihr nicht verborgen geblieben, und sie war gespannt, wie es weiter gehen würde.

David hat sich eine Geschichte ausgedacht, dass seine Scheckkarte manchmal nicht funktioniert. Sonja lässt sich die Karte geben und steckt sie in den Leser, dann gibt sie ihm das Gerät zur Pin-Eingabe. Problemlos kann sie seine Daten aufrufen. Als sie ihn anblickt, blitzt ein Schalk in ihrem Gesicht auf. „Kann es sein, dass Ihre Karte gar nicht das Problem ist, sondern ich? Sie haben mich doch vorhin in der Bahn mit Ihren Blicken fast verschlungen und sind mir dann bis hierher gefolgt“, fragt sie freundlich lächelnd. David schießt das Blut ins Gesicht, er bekommt kein Wort heraus und würde am liebsten fort laufen.

„Das ist doch nicht schlimm, ich finde Sie ja auch ganz ok“, sagt Sonja beruhigend. Da findet David seine Sprache wieder: „Sie haben Recht“, stottert er zuerst noch etwas, dann hat er sich gefangen. „Ja, Sie haben mich in der Bahn derart beeindruckt, dass ich glaube, ich habe mich in Sie verliebt. Ich würde Sie gerne wieder sehen. Können wir uns vielleicht heute Abend irgendwo treffen?“ „Mit dem Begriff ‚verlieben’ sollte man etwas vorsichtig sein“, meint Sonja, „was halten Sie denn von dem Coffeeshop da drüben?“ „Kommt drauf an, wann“, antwortet David, „ich habe erst um 18 Uhr Feierabend.“ „Kein Problem, heute am Donnerstag arbeiten wir ebenso lange. Können Sie gegen 18:15 dort sein?“ „Ja gerne, bis dann, ich freue mich“, ruft David fast, dann muss er sehen, dass er wieder zur Arbeit kommt.

Nach ihrem Feierabend sitzen die beiden fast eine Stunde im Coffeeshop bei Kaffee und Kuchen und erzählen sich, wie sie leben und was sie tun. David hat nach dem Abitur eine Goldschmiedelehre beendet und Julia, die nur ein Jahr jünger ist, eine Ausbildung zur Bankkauffrau. Er wohnt noch bei den Eltern, sie hat schon eine kleine Wohnung. Sonja ist beeindruckt von Davids Beruf als Goldschmied und dass er einen Meisterkurs besuchen will. David findet es gut, dass Sonja aufgrund ihrer guten Ausbildungsergebnisse schon verantwortlich für das Kundengeschäft ist. Sie bittet um Davids Telefonnummer und gibt ihm auch ihre. Als sie die Rechnung fordern, legt Sonja Wert darauf, für sich selber zu zahlen. Sie verabreden, am Wochenende in der Diskothek „Bolero“ tanzen zu gehen und gehen gemeinsam zur U-Bahn. David hätte Sonja gerne geküsst, als er aussteigen muss, will sie aber nicht verschrecken. So gibt er ihr nur die Hand, doch sie legt die linke noch dazu und drückte seine Hand kräftig. „Es ist nett mit dir“, sagt sie leise, und drückt ihm einen Schmatz auf die Wange, bisher waren sie beim „Sie“ geblieben. „Ich mag dich auch“, kann David nur antworten, dann schließen sich die Türen.

Beide können lange nicht einschlafen und denken über diese Romanze nach, die so plötzlich in ihr Leben getreten ist. So ganz anders als die bisherigen Kontakte mit dem anderen Geschlecht ist diese Begegnung beiden erschienen. Sonja hat noch nie einen derart zurück haltenden Jungen getroffen und David kein Mädchen, das zu stolz ist, sich beim ersten Treffen einladen zu lassen. Aber beide wissen, dass sie diesen Kontakt bewahren und ausbauen wollen.

Samstag treffen sie sich im „Bolero“ und tanzen ausdauernd miteinander. Beide stellen erfreut fest, dass der andere ein guter Tänzer ist. Mit dem Alkohol sind sie vorsichtig, nur zur Begrüßung trinken sie eine Cola mit Rum, danach nur noch Bionade. Gegen Mitternacht fühlt Sonja sich müde und David ordert die Rechnung. Jetzt ist Sonja einverstanden, dass er zahlt, besteht aber darauf, beim nächsten Treffen dran zu sein. David bringt sie nach Hause und als er ihr vor der Haustür die Hand gibt, sieht er, dass sie auf seinen Mund blickt. Diese Botschaft kennt er, nimmt sie in den Arm und drückt den Mund auf ihre weichen Lippen. Sonja genießt diese Berührung offensichtlich, doch nun will David mehr und streichelt ihre Lippen mit der Zungenspitze, bis sie sie öffnet. Sie nimmt das Spiel auf und die Zungen erkunden sich gegenseitig, während sie sich eng aneinander drücken. Sonja atmet immer heftiger, bis sie zwischen ihren Körpern auch seine Erregung fühlt. Da kommt sie zur Besinnung und verschwindet mit dem Ausruf: „Wir sind ja verrückt!“, im Haus.

David denkt er auf dem Heimweg, es sei eigentlich ganz gut gelaufen und beschließt, Sonja erst mal näher kennen zu lernen. Deshalb schickt er ihr am nächsten Tag eine SMS, in der er ihr für den netten Abend dankt und bittet, sie einmal wieder treffen zu können. Sie antwortet, er solle sie doch am nächsten Donnerstag nach Feierabend von der Bank abholen.  

Am nächsten Donnerstag im Coffeeshop sind sie schon vertrauter. Sigrid will alles über David wissen, dann fragt sie vorsichtig, wie es mit ihnen weitergehen soll. „Ich möchte dein fester Freund sein“, sagt David und sie antwortet: „Dann sollten wir mal etwas länger beisammen sein, um unsere Freundschaft zu festigen. Was hältst du von einem Ausflug auf die Pfaueninsel am Samstag?“ „Ja gerne“, stimmt David zu.

Pünktlich um halb neun treffen sich die beiden Samstag früh. Auf einer einsamen Lichtung umarmen und küssen sie sich innig und liegen bald eng aneinander gedrückt im Gras. Zärtlich liebkost David Sigrids Brust durch die dünne Bluse und ihre leidenschaftlichen Küsse zeigen ihm, dass sie es genießt. Doch Sigrid ist auf der Hut. „Das Schloss wird jetzt geöffnet, lass‘ uns hingehen“, flüstert sie schwer atmend.

„Ich lade dich zum Abendessen ein“, entschließt sich Sigrid, als David sich vor ihrem Haus verabschieden will, sie will den schönen Tag noch nicht beenden. Oben macht sie ein paar Schnitten fertig, die sie bei einem Glas Wein genießen. Nach dem Essen setzen sie sich auf die Couch und David fühlt sich die Freundin so nahe, dass er sie zu einem langen und leidenschaftlichen Kuss umarmt. „Ich liebe dich ganz toll“, flüstert er, als ihre Lippen endlich voneinander lassen.

„Mir geht es doch ebenso“, denkt Sigrid und immer stärker wird in ihr das „Ja“ zu diesem lieben Jungen, aber noch fühlt sie eine Schranke in sich. Bevor sie sich ihm ganz öffnet, will sie ihn noch etwas besser kennen lernen. „Es ist schön mit dir und ich liebe dich doch auch“, ringt sie sich ab, um ihn nicht zu verletzen. „Wir sollten uns bald wieder treffen, was hältst du davon, wenn wir morgen tanzen gehen?“ David hört aus ihren Worten heraus, dass sie ihn auch liebt und stimmt gern ihrem Vorschlag zu, dann verabschiedet er sich mit einem sanften Kuss. Beide schlafen erst spät ein und denken intensiv über ihre Liebe nach, wobei David sich über Sigrids Liebeserklärung freut und sie sich über seinen taktvollen Abschied.

Sonntag treffen sie sich nachmittags an der Diskothek „Bolero“ und tanzen bis in den Abend hinein, David muss die Freundin immer wieder küssen. Sigrid ist regelrecht verzaubert von seinen Liebesbeweisen und lädt ihn wieder zu sich zum Abendessen ein. Sie weiß, dass sie jetzt bereit ist, die Nacht mit ihm zu verbringen.

So ähnlich beginnen alle Liebesbegegnungen zwischen kultivierten jungen Menschen. Folgt man der Verszeile über diesem Kapitel, ist die Liebe einfach da. Doch ist das schon Liebe? Obwohl die beiden davon überzeugt sind, haben sie bei der ersten Begegnung in der Bank nur den Begriff verliebt benutzt.

Sonja war bei den leidenschaftlichen Küssen noch so weit bei Sinnen, dass sie im letzten Augenblick ihren Verstand gebrauchen konnte, denn ihr wurde klar, dass der nächste Schritt in ihr Bett führen würde. Für diesen Schritt war ihr David noch viel zu fremd. Sie hatte schon erfahren, dass One-night-stands keine gute Grundlage für eine tiefe und andauernde Liebe sind, eher das Gegenteil. Diesen Schritt wollte sie aber erst gehen, wenn auch ihr Verstand „ja“ zu einer engen und langen Gemeinschaft mit diesem jungen Mann sagen würde. Natürlich hat jede innige Verliebtheit das Ziel, in eine tiefe Liebe zu münden, denn jedes Lebewesen möchte nicht allein sein, es sucht das zweite Ich, mit dem es sich bedingungslos verbinden kann. Doch dafür ist es nötig, den Partner gut zu kennen und ihm zu vertrauen. Das will sie langsam mit ihm aufbauen.

David haben die heißen Küsse so sehr erregt, dass er ihr in ihre Wohnung gefolgt wäre, obwohl er eigentlich noch gar nicht darauf aus war, mit ihr zu schlafen. Deshalb war er ihr für ihre Besonnenheit dankbar und schickte am nächsten Tag eine SMS, die das weitere Kennenlernen ermöglichte. So kamen sie sich behutsam näher, lernten auch viel über die Hintergründe des anderen und fanden durch den gemeinsam verlebten Tag endlich so weit zueinander, dass sie sich ihre Liebe gestehen und am nächsten Tag die letzte Erfüllung finden konnten. Danach war der Weg frei für eine beständige Gemeinschaft.

Aus Kapitel "Und sag, wie schwindet Liebe? Die war's nicht, der's geschah!"

Regina und Manfred Geyer sind seit 22 Jahren glücklich verheiratet und bewohnen mit ihren vier Kindern ein großes Einfamilienhaus in einem Vorort von Kassel. Manfred ist als erfolgreicher technischer Berater manchmal die ganze Woche unterwegs, Regina hat nach der Geburt des ersten Kindes den Beruf aufgegeben und versorgt das Haus und die Kinder. Daneben schreibt sie Geschichten für Kinder.

Auf einer seiner Reisen begegnet Manfred in Wuppertal in einem Restaurant seiner Jugendfreundin Jutta Mahler. Die beiden erzählen einander aus ihrem Leben, Jutta ist geschieden, weil ihr Mann sie ständig betrogen hat. Dieses Mädchen, mit dem er zwar viel getanzt, aber nie etwas für sie gefühlt hatte, jetzt als reife Frau wieder zu sehen, bewirkt in Manfred ein starkes Gefühl, beim Abschied nimmt er sie in die Arme und küsst sie herzhaft. Ohne zu zögern antwortet sie mit einer Leidenschaft, die er nicht erwartet hat. Lange spielen ihre Zungen miteinander und als sie sich trennen flüstert sie, „Komm morgen Abend zu mir zum Essen!“, und steckt ihm ihre Adresse zu.

Abends im Hotel denkt Manfred beunruhigt an seine Frau und allmählich wird ihm klar, dass die innigen Begegnungen mit Regina in den letzten Monaten immer schaler geworden sind, er hat es nur nicht bemerkt. Reizt ihn deshalb der Kontakt mit Jutta so sehr? Aber er liebt Regina doch unverändert über alles! Um einen Ausweg zu finden, bastelte er sich eine Theorie zusammen, dass ein Mann ruhig eine andere Frau lieben könne, wenn er nur die eigene weiterhin am meisten liebe. Doch jetzt fragt er sich: „Liebe ich Regina wirklich mehr als Jutta?“ Die Frage quält ihn, er kann sie im Moment nicht ehrlich beantworten. Erst spät schläft er ein.

Mit einem Rosenstrauß steht Manfred am nächsten Abend vor Juttas Tür, sie fallen sich in die Arme und küssen sich. Nach dem Essen küssen sie sich wieder leidenschaftlich und Jutta zieht ihn in ihr Schlafzimmer. Stück für Stück ziehen sie einander aus und sind ganz schnell innig verschmolzen. Doch Manfred ist so erregt, dass er sich nicht lange zurück halten kann. „Die Nacht ist noch lang“, tröstet Jutta ihn. Zärtlich küsst Manfred ihren ganzen Körper, dann drückt sie ihn sanft nieder und bewirkt nach einer Weile „die Auferstehung des Fleisches“. Da löst er sich sachte aus ihrem Mund und jetzt erleben sie den Höhepunkt gemeinsam. Noch lange liebkosen die beiden Liebenden einander und sind von einem unwahrscheinlichen Glücksgefühl erfüllt. „Sag’ Manfred, kann man das nun einfach zuklappen wie ein Buch?“ fragt Jutta leise. „Nein, das kann man nicht, ich hoffe im Gegenteil, dass wir noch viele Seiten aufschlagen.“ „Ich hatte es nie richtig geöffnet, aber seit gestern steht es weit offen. Eigentlich haben wir nur nachgeholt, was wir uns vor zwanzig Jahren nicht getraut haben.“ „Nun“, meint Manfred „wir waren damals einfach noch nicht so weit.“ Jutta küsst ihn zärtlich. Am Morgen finden sie noch einmal liebevoll zueinander, Manfred ist wie verzaubert von dieser wunderbaren Liebe. Am nächsten Abend besucht er Jutta noch einmal und bleibt wieder die ganze Nacht bei ihr. Nachdem er am Mittwoch gearbeitet hat, fährt er abends nach Hause. Doch Jutta ist noch in seinen Gedanken, als er Regina umarmt und herzlich küsst.

Kurz danach hat er wegen einer Lappalie einen fürchterlichen Krach mit Regina und sie meint, er sei plötzlich ganz anders, ob er etwas mit einer anderen Frau habe. Manfred zögert einen Moment, dann erkennt er die Chance zur Offenheit und erzählt ihr von Jutta, froh dass das Versteckspiel vorbei ist. Sie macht ihm keine Vorwürfe, sondern fragt nur traurig: „Warum?“ Man­fred versucht zu erklären, dass die körperliche Beziehung mit ihr in der letzten Zeit für ihn immer leerer geworden sei, so dass er neugierig war, wie eine andere Frau im Bett sei. Sie fragt, ob er Jutta liebe. Als er versichert, dass sie ihm trotz einiger schöner Nächte nicht mehr als früher bedeute, schaut sie ihn ungläubig an und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Tagelang gibt es zwischen ihnen kein anderes Thema. Manfred traut sich nicht mehr zu körperlicher Liebe mit Regina, er fürchtet, sie würde ihn abweisen. Aber nach zwei Wochen kommt sie in sein Bett und zeigt ihm, dass sie ihn noch immer liebt. Allmählich begreift Manfred, dass seine Theorie zwar für ihn zutreffen könnte, doch dass Regina nicht mehr geglaubt hat, geliebt zu werden. Er liebt sie viel zu sehr, als dass er sie seinetwegen leiden sehen kann. Zerknirscht bittet er sie um Vergebung und einen Neuanfang. Und ihre Liebe und Güte überwiegt: Ganz allmählich wird aus der tiefen Krise ihrer Gemeinschaft ein wundervoller Neubeginn. Manfred beschließt, von nun an jede andere Beziehung zu meiden, weil er gesehen hat, wie sehr seine Frau unter seiner Eskapade gelitten hat. Er liebt sie viel zu sehr, um ihr das noch einmal anzutun.

Vier Wochen später sind die beiden auf dem Weg in den Urlaub ein paar Tage in Paris in Paris. Und in dieser zauberhaften, verzaubernden Stadt erleben sie trotz (oder wegen?) der gerade überwundenen Krise die wundervollste, leidenschaftlichste Liebesnacht ihrer Ehe, obwohl sie dieses schöne Spiel schon seit Jahrzehnten oft und gerne treiben. Nach köstlichem Essen in einem kleinen Bistro schlendern sie eng umschlungen durch die Stadt und freuen sich über die vielen Paare, die das Gleiche tun. Auf der Pont Neuf kaufte Manfred seiner Frau rote Rosen, und immer leidenschaftlicher werden ihre Küsse, bis sie im Zimmer übereinander herfallen. Immer wieder lieben sie sich in dieser Nacht, unterbrochen von Phasen kurzen Schlafes. Und wenn einer wach wird und den anderen liebkost, ist dieser nur zu gerne bereit, das Spiel wieder aufzunehmen. Aus der tiefsten Krise ist ihre Liebe wie ein Phoenix aus der Asche wieder geboren worden, und Regina hat mit ihrem Verzeihen den größten Anteil daran. Dieses Erleben macht Manfred unendlich glücklich, jetzt weiß er, dass sie in der vollkommenen Gemeinschaft angekommen sind. Zeit und Raum zählen nicht mehr, sondern nur noch der Augenblick und der geliebte Mensch.

In dieser Geschichte hat ein frühzeitiges Gespräch und vollständige Offenheit das Schwinden der Liebe verhindert. Aber zwischen Regina und Manfred hat immer eine tiefe Liebe bestanden, die Manfred ja schon nach der ersten noch relativ harmlosen Begegnung mit Jutta zum Nachdenken gebracht hat. Natürlich ist seine Theorie unsinnig, denn jeder Mensch kann nur einen einzigen Menschen tief und ehrlich lieben. Und Reginas ungebrochene Liebe zu Manfred hat letztlich ihre liebevolle Ehe gerettet und beiden noch viele schöne Jahre miteinander gegeben. „Liebende leben von der Vergebung“ heißt ein Buchtitel von Manfred Hausmann.  

Aus Kapitel "Und was ist reine Liebe? Die ihrer selbst vergisst!"

Hartwig Gutmann hat vor einem halben Jahr die erste Etappe seines Studiums mit dem Bachelor abgeschlossen. Zur Belohnung haben seine wohlhabenden Eltern ihm einen Ferrari California geschenkt, den er wie seinen Augapfel hütet. Niemand darf ihn auch nur berühren. Die Eltern bezahlen auch seine komfortable Wohnung in Dahlem. Vor einem Jahr hat er Isabel Böhmer kennen gelernt, ihr Vater ist Pfarrer in Hof, aber ihre Eltern sind lange nicht so reich wie Hartwigs. Vor kurzem hat sie den Führerschein gemacht, doch Hartwig lässt sie nicht an das Steuer seines Wagens.

In den Ferien machen die beiden Urlaub in Südafrika mit einem Mietwagen. Ab und zu lässt Hartwig die Freundin fahren, hat aber so viel an ihrem Fahrstil zu kritisieren, dass sie die Lust verliert und ihm das Steuer überlässt. Dann haben sie zum Krüger Nationalpark eine Strecke von fast 500 km zu bewältigen. Da die Straßen autobahnähnlich ausgebaut sind, bittet Hartwig die Freundin nach der halben Strecke, zu fahren und hat diesmal nichts auszusetzen. Am nächsten Tag machen sie sich mit dem Wagen auf die Pirsch. Da nur 30 km/h erlaubt sind, fährt Isabel. Ihre Initiative wird belohnt, denn sie kommen ganz nahe an zwei Nashörnern vorbei, später an Giraffen und Zebras und zuletzt an einem Löwenpaar.

Am letzten Abend lädt Isabel den Freund zu einem Festessen ein und dankt ihm herzlich für die wundervolle Reise, die er ihr geschenkt hat. Mit ihrem begrenzten Etat hätte sie das nie bezahlen können. Er antwortet, dass er auch nur die Mittel für sie beide nutzt, die seine Eltern ihm zur Verfügung stellen. Aber wenn er nach dem Studium eine gute Stelle habe, wolle er gerne für sie beide sorgen. Das nimmt sie als wertvolle Liebeserklärung für die Zukunft. Auf dem Rückweg nach Johannesburg fährt Isabel wieder die halbe Strecke und treibt den Wagen bis auf 140 km/h hoch. Mit einem Nachtflug in der Business-Class landen sie nach fünf Wochen in Berlin.

Nach einer Woche bekommt Isabel abends einen Anruf von ihrer Mutter, der sie erbleichen lässt. „Mein Vater hat einen Herzinfarkt erlitten, er ist in akuter Lebensgefahr, wird wahrscheinlich den Morgen nicht mehr erleben“, berichtet sie tränenüberströmt dem Freund. „Er hat nach mir gefragt, ich muss sofort zu ihm, möchte mich wenigstens noch von ihm verabschieden.“ Hartwig nimmt sie in die Arme und streicht ihr über die Haare. „Jetzt über Nacht kriegst du doch gar keinen Zug nach Hof“, überlegt er. „Ich weiß“, schluchzt Isabel, „kannst du mich nicht fahren.“ Hartwig denkt nach, dann schüttelt er den Kopf. „So gerne ich dir helfen würde, das geht nicht. Ich habe morgen früh eine wichtige Klausur, wenn ich die verpasse, geht mir das ganze Semester flöten.“ Nun strömen die Tränen ungehemmt aus Isabels Augen. „Ich habe ihn immer lieb gehabt, er hat alles für mich getan. Ich würde so gerne von ihm Abschied nehmen und ihm danken“, schluchzt sie.

Über Hartwigs Gesicht fliegen Schatten, man kann sehen, wie es in ihm arbeitet. Schließlich steht sein Entschluss fest: „Ich gebe dir meinen Wagen. In Südafrika habe ich gesehen, dass du gut und verantwortungsvoll fährst. Lass uns jetzt schnell ein paar Runden drehen, damit du dich an ihn gewöhnst, dann kannst du gleich damit nach Hof fahren.“ Als Isabel das hört, fällt sie dem Freund um den Hals und küsst ihn leidenschaftlich. „Danke, mein Lieber, das ist der größte Liebesbeweis, den du mir geben kannst“, ruft sie unter Tränen. „Vergiss nicht, dass ich dich auch liebe“, antwortet Hartwig lächelnd.

Dann macht sie sich unter seiner Anleitung mit dem Wagen vertraut. „Du hast eine Rakete unter dem Hintern, fahr‘ bitte auf keinen Fall schneller als 130“, warnt er sie, „und ruf‘ mich an, sobald du in Hof bist. Wenn nötig, kannst du bis zur Beerdigung bleiben, ich brauche den Wagen nicht unbedingt. Aber ruf‘ mich an, bevor du dich auf den Rückweg machst.“ Vor dem Haus küsst Isabel den Freund herzlich, dann macht sie sich auf den Weg. Nach drei Stunden meldet sie sich. „Mein Vater war schon sehr schwach, aber er hat mich erkannt. Als ich ihm für alles dankte, flüsterte er: ‚Du bist doch immer mein liebes Mädchen gewesen‘, dann fiel sein Kopf zurück und er starb. Er hat wirklich nur noch auf mich gewartet. Hab ganz herzlichen Dank, auch von meiner Mutter, dass du mir das möglich gemacht hast.“ Am Tag nach der Beerdigung bringt Isabel den Ferrari ohne jeden Schaden nach Berlin zurück und darf ihn von nun an häufig fahren.

Das Geben aus Liebe umfasst nicht nur die Seele und den Körper, sondern auch Dinge, an denen unser Herz hängt. Der Ferrari war für Hartwig alles, er verehrte ihn abgöttisch. Doch als die Frau, die er liebte, in einer schwierigen Situation war, überwand er sich und stellte die Liebe zu ihr über seine Liebe zu einem toten Gegenstand. 

Aus Kapitel "Und wann ist Lieb' am tiefsten? Wenn sie am stillsten ist!" 

Seitenanfang            Literaturverzeichnis           

Karin und Werner Färber haben sich vor 26 Jahren gefunden und zwischen ihnen ist eine tiefe Liebe gewachsen. Doch zunächst mussten sie getrennt voneinander leben, sie schrieben sich oft, konnten sich aber nur alle paar Monate sehen, denn zwischen ihnen lagen 240 km. Bei ihren Treffen waren sie sich auch körperlich schon etwas näher gekommen, aber die ganz enge Gemeinschaft wollten sie sich bewahren, bis Werner sein Diplom hatte. Ein halbes Jahr vor seinem Examen verloben sie sich und als Werner fertig war, unternehmen sie ihren ersten gemeinsam Urlaub im Elsass.

Im Hôtel Le Marechal buchten sie ein schönes Zimmer mit einem Grand Lit und schauten sich lächelnd an, als sie das Formular ausfüllten. Ohne darüber gesprochen zu haben, wussten beide, dass die Zeit für sie reif war, in dieser Nacht endlich ganz zueinander zu finden. Beide waren sicher, dass es für jeden das erste Mal sein würde. In einem Bistro mit einer Freifläche am Wasser aßen sie Crêpes und tranken frischen Rotwein. Das ruhig fließende Wasser versetzte sie in eine romantische Stimmung, sie mussten sich einfach küssen. Als sie dann ins Zimmer gingen, war jeder erfüllt von dem Bewusstsein, mit dem anderen jetzt die letzte Offenbarung zu erleben, in der jedes Wort zu viel ist, weil nur die Körper und Seelen miteinander sprechen. Für beide wurde es eine herrliche Nacht, an die Werner seine Geliebte später in jedem Jahr mit einem Blumenstrauß erinnerte. <br>

Sonntag besichtigten sie das Unterlindenmuseum mit dem berühmten Isenheimer Altar von Mathias Grünewald und dann das Martinsmünster mit den mittelalterlichen Skulpturen und Bleiglasfenstern. Nach einer weiteren innigen Nacht fuhren sie für zwei Tage nach Strasbourg. Erfüllt von ihrer neu gewonnenen körperlichen Gemeinschaft, aber auch von den kulturellen Eindrücken der Reise fuhren sie nach Deutschland zurück, Werner nach Stuttgart, wo ihn eine Stellung bei den Stadtwerken erwartete, und Karin fürs erste wieder nach Freiburg.

Freiburg, den 20. 7. 1988, Mein lieber Werner!

Wir hatten herrliche Tage miteinander, hab Dank für alles, was ich mit Dir erleben durfte.<br>Meine Mutter hat schon am ersten Abend gemerkt, dass ich mich verändert habe und sprach mich darauf an, irgendwie kann eine Mutter wohl erkennen, dass ihre Tochter zur Frau geworden ist. Ich kann Dir immer wieder nur danken, dass diese Entwicklung mit Dir so schön war.

Mein Schatz, Schluss für heute. Bald komme ich ganz zu Dir. Sei lieb gegrüßt und geküsst von Deiner Karin

Stuttgart den 20. 7. 1988, Geliebte,

eben bin ich in Stuttgart gelandet und will Dir gleich schreiben. Die Tage mit Dir waren wunderschön, ich war richtig glücklich. Lass mich Dir noch einmal von Herzen danken für alles, was Du mir geschenkt hast. Es war vom ersten bis zum letzten Tag herrlich und wunderschön. Hab Dank, Geliebte! Ich kann die Zeit kaum erwarten, bis wir ganz beieinander sind. Nach diesen wundervollen gemeinsamen Tagen bin ich immer mehr froh, dass wir zueinander gefunden haben.

Morgen geht die Arbeit los. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Einerseits freue ich mich auf das produktive Schaffen, zum anderen weiß ich, dass die ungebundene Freiheit des Studentenlebens jetzt erheblich beschnitten ist. Trotzdem – es wird schön werden.

Sei von Herzen und in Liebe geküsst von Deinem Werner

Inzwischen sind 25 Jahre vergangen, Karin kam auch nach Stuttgart und fand eine gute Stellung. Die beiden heirateten und zogen zwei Kinder groß, die jetzt außerhalb Stuttgarts studieren. Vor zehn Jahren hatte Werner eine kurze Affäre mit einer Jugendfreundin, die in einer unglücklichen Ehe lebt. Karin spürte das mit den feinen Antennen einer liebenden Frau und fragte ihn. Werner liebte sie ja immer noch über alles und gab es sofort zu. In ihrer tiefen Liebe vergab Karin ihm den Seitensprung, und Werner, der gemerkt hatte, wie sie darunter litt, nahm sich fest vor, künftig jede Affäre zu unterlassen.

Jetzt wollen sie das silberne Jubiläum ihres Jahrestages an derselben Stelle feiern, an der sie vor 25 Jahren so glücklich miteinander waren, und sind wieder nach Colmar gefahren. Sie haben dasselbe Zimmer im Hôtel Le Marechal gebucht und essen abends wieder Crêpes mit Rotwein auf der Freifläche des Bistro am Wasser. Im Zimmer sind die beiden ebenso aufgeregt wie damals, obwohl sie dieses schöne Spiel immer noch begeistert spielen. Und wie jedes Mal überfällt sie die tiefe Innigkeit, mit der sie sich wortlos liebkosen, bis im letzten großen Moment der völligen Hingabe die Zärtlichkeit kurzzeitig von den Naturkräften überdeckt wird. Doch gleich danach lebt sie wieder auf und hält noch lange an, bis sie glücklich einschlafen.

Mitten in der Nacht wacht Werner davon auf, dass Karin sich an ihn schmiegt und ihn streichelt. Schnell ist er bereit, das schöne Erleben vom Abend mit ihr zu wiederholen. Er ist unendlich glücklich, wie schon so oft hat seine geliebte Frau ihm gezeigt, dass sie ihn begehrt. „Weißt du, es war viel schöner als damals“, meint Werner nachdenklich, nachdem sie wieder zur Ruhe gekommen sind. „Das ist kein Wunder“, antwortet Karin ebenso nachdenklich, „damals kannten wir uns noch nicht vollständig. Inzwischen sind unsere Körper so miteinander vertraut, dass sie jede Regung des anderen im Voraus ahnen und liebevoll darauf reagieren können.“

Am Tag wollen sie den Isenheimer Altar im Unterlindenmuseum wiedersehen. Als sie die zweite Tafel betrachten, deutet Karin plötzlich aufgeregt auf das rechte Bild in der Innenansicht und danach auf das darunter liegende Bild im Sockel. Dann greift sie Werners Hand und blickt ihm stumm ins Gesicht, in ihren Augen stehen Tränen. Werner schaut genau auf die beiden Bilder und begreift ihre innere Erregung: Auf beiden wird Maria als Mutter dargestellt, oben glücklich mit dem Jesuskind im Arm und darunter als Pieta, seinen Leichnam beweinend. Karin fühlt als Mutter das Glück und den Schmerz dieser Frau innerlich mit.

Da nimmt er sie in die Arme und küsst sie. „Danke“, flüstert sie, als ihre Münder sich voneinander lösen. Doch Werner führt seine Frau zur dritten Ansicht und zeigt – ebenfalls ohne Worte – auf die Holzschnitte unter den Tafeln. Karin schaut, dann umarmt sie ihn noch einmal. „Du hast ja Recht“, sagt sie leise. „Ich habe das Ganze nur als Mutter gesehen, aber mit dem Abendmahl zeigst du mir, was Christus für uns geleistet hat. Da war Maria ein Teil des göttlichen Plans, und vielleicht ist sie nach ihrer Trauer auch noch ein wenig stolz auf ihren Sohn gewesen.“

Im Museumsshop kauft Werner Poster von den drei Ansichten des Altars. Auf dem Rückweg zum Hotel sind Karins Gedanken immer noch beim Altar. „Vor 25 Jahren ist mir diese Verbindung überhaupt nicht aufgefallen. Ich musste wohl erst Mutter werden, um sie zu begreifen. Ich war so beeindruckt, dass ich gar nichts sagen konnte und habe mich gefreut, dass du mich auch ohne Worte verstanden hast. Und hab‘ Dank für den Hinweis auf das letzte Abendmahl, das war wichtig für mich.“

Samstag früh fahren sie erfüllt von dem Gesehenen nach Stuttgart zurück, wo Karin die Poster vom Isenheimer Altar in ihrem Zimmer aufhängt. Zu ihrem nächstem Geburtstag schenkt Werner ihr drei kostbare Drucke: Maria mit Kind von Albrecht Dürer, Michelangelos Pieta und das Abendmahl von Leonardo da Vinci. „Wenn du möchtest, kannst du die Poster des Altars durch diese schöneren Einzeldarstellungen ersetzen“, sagt er lächelnd, worauf Karin ihn dankbar küsst.

Diese Erzählung beschreibt das stille Verstehen zwischen Liebenden. Sie fanden wortlos die Erfüllung in ihrer ersten innigen Vereinigung, aber als sie im Laufe ihrer Ehe immer vertrauter miteinander wurden, geschah dieses Verstehen auch bei anderen Gelegenheiten. Dass Karin den Fehltritt ihres Mannes spürte und er ihn sofort zugab, ist eines dieser Ereignisse. Aber ganz klar trat das stille Verstehen aus tiefer Liebe zutage, als Karin vor dem Isenheimer Altar von Muttergefühlen überwältigt wurde und Werner instinktiv die Ursache ihres Kummers fühlte. Mit einem anderen Bild befreite er sie liebevoll von diesem Eindruck.

Aus Kapitel "Und wann ist Lieb' am reichsten? Reich ist sie, wenn sie gibt!"

Mitte Dezember hat Peter durch Leichtsinn einen Autounfall, bei dem sein linker Fuß eingeklemmt wird. Die Feuerwehr bringt ihn ins Krankenhaus. Auf dem Wagen vor dem Operationssaal wird ihm klar, dass er nie wieder richtig laufen kann. Wird Maria ihn als Krüppel akzeptieren? Eine furchtbare Ungewissheit kommt über ihn. Soll er auch dieses wunderbare Mädchen wieder verlieren? Verzweiflung übermannt ihn, er beginnt zu weinen. „Warum weinen Sie?“, fragt eine Schwester. Da kommt noch einmal die Entschlossenheit in ihm hoch: Niemand soll wissen, dass er an Marias Liebe zweifelt. „Nur so“, antwortet er und bittet sie, Maria über den Unfall und seinen Zustand zu informieren und um ihr Kommen zu bitten. Wenn sie noch wolle, könnten sie ja die Verlobung im Krankenhaus feiern. Noch am selben Abend informiert die Schwester in einer Mail Maria über seine Bitte.
Auch am nächsten Morgen quälen Peter schwere Vorwürfe über seinen Leichtsinn, mit dem er sein und auch Marias weiteres Leben so schwer gemacht hat. Auch ihr Leben? Wird sie ihn denn überhaupt noch wollen in diesem Zustand? Und was wird er tun, wenn sie sich von ihm abwendet? Nein, das kann er nicht glauben, so liebevoll, wie sie immer zu ihm gewesen ist. Ganz allmählich wird er etwas ruhiger und bittet Gott, nicht alles vorbei sein zu lassen. Heute hat er nicht die Kraft dazu, doch gleich morgen will er an Maria schreiben.
Und dann kommt mittags ein Telegramm. Als er es mit zitternden Händen aufreißt, geht in seinem Herzen die Sonne auf. Diese sechs Worte auf dem Tickerstreifen heben endgültig jenes andere, furchtbare Telegramm auf, das ihm vor zweieinhalb Jahren Dietlinds Tod verkündet hat:

= SEI TAPFER KOMME SONNABEND = KUSS MARIA +

Am nächsten Morgen bekommt er dann ihren Brief:

München, den 18. 12. 11,  Mein lieber Peter!
... Nun hattest Du schon bis Weihnachten alles geplant, Deine Arbeit eingeteilt und jetzt musst Du doch alles liegen lassen und abbrechen. Siehst Du, der Mensch denkt und Gott lenkt. Es fällt Dir sicher nicht leicht, ruhig dort zu liegen und nicht heraus zu können. Aber halte die Ohren steif und verzage nicht, es wird auch wieder anders werden. Ich halte immer zu Dir, das weißt Du doch, was auch kommt. Krankheit und Sorgen sollen unsere Liebe nicht beeinträchtigen, sondern festigen. Wenn wir nur füreinander da sein können, die Gewissheit gibt mir, genau wie Dir, unendlich viel. Freu‘ Dich auf Sonnabend, da komme ich zu Dir für zehn Tage, bis Neujahr. Unserer Verlobung steht auch kein Krankenhaus im Wege....
So, mein Guter, sei fein tapfer und behalte mich lieb. Es küsst Dich herzlichst Deine Maria

Statt Silvester in München in die Verlobung hinein zu feiern, bekommen die beiden Neujahr Vormittag einen eigenen Raum, in den Peters Bett geschoben wird. Die Eltern und viele Freunde sind gekommen und gratulieren herzlich, als die beiden sich ein Leben miteinander versprechen, gegenseitig die Ringe aufsetzen und sich herzlich küssen. Die in München geplante Feier hätte nicht schöner sein können.
Zwei Wochen später teilt der Arzt Peter nach genauer Untersuchung mit, dass die halbe verbliebene Schlagader seinen Fuß nicht versorge, er müsse amputiert werden. Das ist für sie beide eine so entscheidende Entwicklung, dass er Maria anruft, um sie zu informieren. Sie ist gar nicht schockiert, sondern tröstet ihn, das sei doch viel besser, als mit einem kaputten Fuß zu leben, der nie richtig zu gebrauchen sei. Ihre Worte beruhigen ihn ungemein, denn wieder sieht er: Was auch geschieht, sie wird ihn lieben und zu ihm stehen. Über das Wochenende kann Peter darüber nachdenken, und immer mehr findet er Marias Worte richtig. Mit ihrer Hilfe wird er das Leben auch mit einem Fuß meistern. Als Dank nimmt er sich fest vor, ihr nie damit zur Last zu fallen.
Montag ist es dann so weit. Als Peter nach der Operation wieder einigermaßen denken kann, kommt ihm wie ein Keulenschlag zum Bewusstsein, dass er jetzt endgültig ein Krüppel ist, Zeit seines Lebens auf Hilfsmittel angewiesen, um überhaupt laufen zu können. Maria tut ihm Leid, dass er ihr dieses Leben mit ihm zumutet und er ist ihr unendlich dankbar, wie tapfer sie trotz allem zu ihm hält. Als sie anruft, ist es unwahrscheinlich schön, ihre Stimme zu hören und ihre Sorge um ihn zu spüren.
Am Wochenende besucht Maria Peter im Krankenhaus und ihr fallen Steine vom Herzen, als er sie im Krankenzimmer stehend begrüßt und sogar auf Krücken mit ihr vor die Tür gehen kann. Sie haben ein langes Gespräch über ihre gemeinsame Zukunft, die ja durch Peters Leichtsinn (er findet es großartig, dass Maria nie ein Wort in dieser Richtung sagt) mit vielen Fragezeichen behaftet ist. Es ist ein großer Trost für ihn, dass Maria in keiner Weise an dieser Zukunft zweifelt. Vollkommen sicher macht sie Peter klar, dass sie ihm bei allen Schwierigkeiten, die er vielleicht haben würde, unbedingt zur Seite stehen will. Das ist fast zu groß für ihn, und immer wieder muss er sie küssen, um ihr zu danken. Als Maria sich verabschieden muss, weiß Peter sich in ihrer Liebe vollkommen geborgen.
Seine Amputationswunde verheilt schnell und gut und nach einem Monat kann er schon mit einer Prothese laufen. Nach dem Ende seines Studiums heiraten die beiden, bekommen drei Kinder und führen ein liebevolles Leben miteinander. Sie fahren gemeinsam Rad, laufen Ski, schwimmen viel und segeln im Urlaub. Wie Peter sich vorgenommen hat, fällt er Maria niemals mit seiner Behinderung zur Last. Doch er ist sicher, dass sie ihm auch beistehen würde, wenn er damit nicht so gut fertig würde.

Marias Liebe war reich, weil sie sich Peter im Moment der Verzweiflung voll gegeben hat, ohne Furcht, dass seine Behinderung auch Nachteile für sie mit sich bringen könnte. Nur durch ihre Liebe baute sie nach dem Unfall sein Selbstvertrauen wieder auf und schenkte ihm das Bewusstsein, mit der Behinderung ausreichend gut leben zu können.

Aus Kapitel "Und sag, wie redet Liebe? Sie redet nicht, sie liebt!"                 
Seitenanfang
           
Literaturverzeichnis           

Zwischen Liebenden gibt es immer wieder Momente des stillen Verstehens, in denen jedes Wort zu viel wäre und die Verszeile stimmt „Liebe redet nicht, sie liebt“:

-       Wenn der frisch Verliebte sich nicht traut, die Freundin zu küssen und sie ihm auf den Mund blickt, um ihm zu bedeuten, dass sie es auch möchte.
-       Im Kuss ist jedes Wort nicht nur überflüssig, sondern schlichtweg unmöglich.
-       Wenn ein Partner Kummer hat und der andere ihn in den Arm nimmt und ihm über das Haar streicht.
-       Wenn im Moment der innigsten Einheit aus den beiden Liebenden ein Körper und ein Gefühl wird.
-       Wenn beide Eltern glücklich ihr neu geborenes Kind anschauen.

Doch in jeder Liebe sind Worte unverzichtbar, um die Liebe zu bestätigen. Erst mit dem Geständnis: „Ich liebe dich“, beginnt doch eine Liebesbeziehung und diese Worte sind die wichtigste Rede, mit denen sie immer wieder untermauert werden sollte. Die Liebe zwischen Stephan und Barbara im vorigen Kapitel wäre ohne stetige mündliche und schriftliche Kommunikation gar nicht zustande gekommen.

Für das nächste Szenario gibt es mehrere mögliche Lösungen:

-     Problem:

Andreas und Claudia Hanselmann sind seit 15 Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Andreas hat die zweite Führungsebene einer Bank erreicht, Claudia ist nach der Geburt des ersten Kindes zu Hause geblieben und besorgt den Haushalt in ihrem komfortablen Einfamilienhaus. Mit Frauen aus der Nachbarschaft trifft sie sich regelmäßig zu Kaffeenachmittagen und Geburtstagsfeiern, zweimal in der Woche spielt sie Tennis. Im Theater oder Konzert waren die Eheleute schon seit Jahren nicht mehr. Da Andreas eine Chance sieht, in den Vorstand aufzurücken, arbeitet er noch lange nach Feierabend. Dazu kommt, dass Claudia ihn mit den Erzählungen aus der Nachbarschaft langweilt, wenn sie sich gelegentlich am späten Abend zu Hause sehen. Doch meist schläft sie schon, wenn er kommt. Abschied und Begrüßung sind schon lange auf einen Pflichtkuss reduziert, wenn sie sich überhaupt sehen. Ihr Liebesleben ist ziemlich ausgetrocknet, kaum einmal im Monat finden sie am Wochenende zueinander, wobei die Initiative stets von Claudia ausgeht. Sie hat Ihren Mann im Verdacht, sie zu betrügen, dabei ist er nur ein Workaholic ohne andere Interessen als seine Karriere. Nur über den Erfolg der Kinder in der Schule sprechen sie manchmal, wenn es nötig ist. Claudia ist im Elternrat.

-     Lösung 1:

Claudia sieht ihren Mann als den stärkeren Partner in der Ehe an und traut sich nicht, ihm ihr Problem zu sagen. Ihre Lebensumstände sind ja recht ordentlich, nur in der Sexualität fühlt sie sich in keiner Weise erfüllt. Sie freundet sich mit ihrem Tennislehrer an und schläft regelmäßig mit ihm. Zu Hause spielt sie weiter die treu sorgende Ehefrau, wenn Andreas mal da ist. Nur im Urlaub erfüllt sie manchmal noch ihre ehelichen Pflichten und denkt dabei an den Tennislehrer. Irgendwann genügt ihr auch dieses Leben nicht mehr und als die Kinder das Abitur haben, reicht sie die Scheidung ein, sie ist ja auch danach nicht schlecht versorgt.

-     Lösung 2:

Claudia sieht ihren Mann zwar als den stärkeren Partner in der Ehe an, ist aber mit dem Leben nicht glücklich. Eines Sontags beim Frühstück fasst sie sich ein Herz und fragt ihn: „Sag mal, ist es nicht schön für dich, bei mir zu sein?“ „Ja sicher, warum fragst du?“ „Weil du so wenig Zeit für mich hast. Du kommst jeden Abend sehr spät heim, sprichst kaum mit mir und bist an nichts interessiert. Liebst du mich nicht mehr, oder ist da noch eine andere Frau im Spiel?“
Andreas ist verärgert, weil Claudia ihm ein außereheliches Verhältnis zutraut. Wütend springt er auf und brüllt: Nein, da ist keine andere Frau! Du solltest endlich mal akzeptieren, dass ich für dich arbeite, um damit deinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Du brauchst ständig neue Sachen, du spielst Tennis, dir ist unsere Einrichtung immer noch nicht komfortabel genug, du willst teure Urlaubsreisen machen. Mit dem, was ich verdiene, kommen wir gerade über die Runden, denn die Kinder brauchen für ihre Hobbies auch viel Geld. Ich muss unbedingt in den Vorstand kommen, damit wir etwas zurück legen können.“
Claudia ist durch diesen Ausbruch so verängstigt, dass sie nichts weiter sagt. Doch die beiden leben sich noch weiter auseinander, als Andreas in den Vorstand gelangt, und streiten sich häufig. Keiner von beiden denkt an ein außereheliches Verhältnis, dazu sind sie zu moralisch erzogen. Auch eine Trennung kommt für keinen in Frage. Als die Kinder aus dem Hause sind, gibt es kaum noch eine Kommunikation zwischen ihnen. Erst als Andreas mit 50 Jahren an einem Herzinfarkt stirbt, blüht Claudia auf und findet nach einer Weile einen liebevollen Partner.

-     Lösung 3:

Eines Sonntags früh nach einer sehr innigen Begegnung, die Claudia und anscheinend auch Andreas sehr genossen haben, fasst sie sich ein Herz und fragt ihn: „Sag mal, war das eben nicht schön für dich?“ „Ja sicher, warum fragst du?“
„Weil du so wenig Zeit für mich hast. Du kommst jeden Abend sehr spät heim, sprichst kaum mit mir, bist an nichts interessiert und selbst zu dem, was wir eben gemacht haben, muss ich dich verführen. Selten genug gelingt mir das. Liebst du mich nicht mehr, oder ist da außer mir noch eine andere Frau im Spiel?“ Andreas bekommt einen mächtigen Schreck. Ihm ist gar nicht klar, wie sehr er seine Frau vernachlässigt. „Ich arbeite doch für uns“, stottert er, „ich will doch in den Vorstand kommen, um besser zu verdienen und dir dann mehr bieten zu können.“ „Sag‘ mal, du hast wohl alle Maßstäbe verloren!“, ruft Claudia, dann besinnt sie sich und spricht normal weiter: „Wir haben ein großes schuldenfreies Haus und zwei Autos, die Kinder sind ganz ordentlich im Gymnasium und haben teure Hobbies, wir können uns gut kleiden und haben immer gut zu essen, ich kann zweimal die Woche Tennis spielen, wir fahren im Sommer und Winter komfortabel in Urlaub, was willst du denn noch mehr? Ich glaube, es ist viel mehr dein Ehrgeiz, der dich mit dem Vorstand liebäugeln lässt, und damit vernachlässigst du mich und unsere Gemeinschaft. Ich will nicht mehr haben, sondern dich zurück, weil ich dich liebe. Begreif‘ das doch bitte.“
Andreas springt aus dem Bett und geht im Bad unter die Dusche. Diese Worte muss er erst einmal verdauen. Nach einer ganzen Weile kommt er ins Bett zurück, in dem Claudia besorgt wartet. „Du könntest Recht haben“, sagt er dann nachdenklich, „ich habe nur noch die Karriere gesehen. Ich kann in dieser Position aber nicht plötzlich den Kurs um 180 Grad drehen. Deshalb werde ich mich nach einer andern Stelle umsehen, die mir mehr Zeit für dich und für euch lässt. Lass mir ein bisschen Zeit, aber pass auf, dass ich mich nicht wieder in der Arbeit verliere. Ich liebe dich doch auch immer noch, wenn es dir auch nicht so scheint.“ Nach drei Monaten hat Andreas eine leitende Position in einer kleineren Bank, die ihm mehr Zeit für die Familie lässt. Mit 60 Jahren lässt er sich unter Verzicht auf die volle Rente pensionieren, die Betriebspension kompensiert den Verlust. Gelegentlich arbeitet er ein paar Stunden freiberuflich in seinem alten Metier. Die beiden unternehmen gemeinsam lange und schöne Reisen. Als Andreas 15 Jahre später an einem Herzinfarkt stirbt, ist Claudia froh, dass er ihr noch diese lange Zeit miteinander geschenkt hat.

Drei verschiedene Lösungen zeigen, dass nur mit offenem Reden und geduldigem Zuhören Probleme zwischen Partnern in einer Weise gelöst werden können, die beide befriedigt. Zum Reden ist Mut notwendig. Bei Lösung 1 fehlt er, deshalb geht sie völlig schief. Doch der Mut muss auch das mögliche Scheitern des Gesprächs und das Verschlechtern der Beziehung vorsehen, wie in Lösung 2. Bei verständigen Partnern, die noch aufeinander hören, besteht aber immer die Möglichkeit einer Einigung wie in Lösung 3. Wo noch ein genügendes Maß an Liebe vorhanden ist, sollte die Hoffnung auf diese Lösung immer ein Gespräch zu einem geeigneten Zeitpunkt eröffnen. Liebe, die nicht redet, ist zum Scheitern verurteilt.

          Seitenanfang           Literaturverzeichnis