Ernst-Günther
Tietze: "Ein dunkles Geheimnis", Leseproben
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Ernst-Günther
Tietze
Aus Kapitel 1 „Gregor“
Literaturverzeichnis
„Schau mal, da liegt ja jemand auf der Erde!“, rief
Sandra und lief zu dem Mann, der neben der zweistufigen Treppe am Hauseingang
lag. Als sie sich zu dem Liegenden niederbeugte, sah sie Blut an seinem Kopf und
einen seltsam abgewinkelten Arm. Ihr Freund Marco war ihr gefolgt und wählte
schon auf seinem Smartphone die Feuerwehr 112.
„Rentzelstraße 51 ein Schwerverletzter“, rief er in den Apparat und gab auf
die Nachfrage seinen Namen an. Dann kniete er sich neben den Verletzten und fühlte
am Hals den Puls. „Der Mann ist tot“, sagte er langsam, „dem kann kein
Arzt mehr helfen.“ Er schaute auf seine Uhr und rief: „Wir müssen los,
sonst kommen wir zu spät zur Versammlung!“ „Das geht doch nicht“,
antwortete Sandra, „wir müssen wenigstens den Unfallwagen abwarten.“
Nach fünf Minuten war der Unfallwagen mit dem Notarzt da, der ebenfalls nur den
Tod feststellen konnte. Kurz danach traf ein Streifenwagen der Polizei ein. Der
Notarzt informierte die Beamten über den Tod des Mannes und seine Vermutung,
dass er durch keinen normalen Unfall gestorben, sondern ermordet worden sei. Die
Wunde an seinem Kopf deute klar auf einen tödlichen Schlag hin, und
wahrscheinlich sei er danach die Treppe hinunter gefallen oder gestoßen worden.
Die Beamten informierten die Kripo, nahmen die Personalien von Sandra und Marco
auf und baten die beiden, bis zum Eintreffen der Mordkommission zu bleiben. Dann
sahen sie den Toten genauer an. Er war geschmackvoll leger gekleidet, etwa Mitte
30, groß gewachsen mit einer dunkelblonden Stoppelfrisur und einem
Dreitagebart, ein leichter Bauchansatz zeigte, dass er gerne aß.
In diesem Moment trafen Oberkommissarin Svenja Helmer und der junge Kommissar
Ulrich Markowski von der Mordkommission ein. Die Oberkommissarin war eine
schlanke Frau von 33 Jahren mit einem hellen Lockenkopf, der dunkelblonde
Kommissar hatte gerade sein Studium abgeschlossen und war seit zwei Monaten im
aktiven Dienst. Etwas später traf ein Rechtsmediziner ein, der den Toten flüchtig
untersuchte und entschied, seine Verletzungen rührten von dem Treppensturz her,
eine Obduktion im Institut sei nicht nötig. Der Tod sei um Mitternacht plus
minus eine Stunde eingetreten. Der Polizeimeister wies ihn darauf hin, dass der
Notarzt ein Verbrechen vermutet habe, doch verächtlich bügelte der Mediziner
ihn mit der Bemerkung ab, er sei der Facharzt für die Verbrechensaufklärung.
„Ich werde auf jeden Fall die Aussage des Notarztes im Protokoll vermerken“,
antwortete der Streifenführer verärgert und die Oberkommissarin wies den
Pathologen an, auf jeden Fall den Toten in der Rechtsmedizin zu untersuchen. Der
fuhr wütend ab.
Vorsichtig schlossen sie die Tür in der zweiten Etage auf und betraten
mit gezogenen Pistolen die Wohnung, es war eine gut eingerichtete
Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad, in der sich kein Mensch befand. Das
größere Zimmer war der Wohnraum mit Esstisch, gemütlicher Couchecke, einem
schwach gefüllten Bücherregal und einem großen Fernseher. Das Schlafzimmer
enthielt zwei breite Betten mit Nachttischen, einen Kleiderschrank mit wenig
Herren- und Damenbekleidung und eine gut bestückte Frisierkommode. Der kleinste
Raum war das Arbeitszimmer mit einem Schreibtisch, darauf einem Laptop und einem
kleinen Drucker. Auf einem Schränkchen stand das große Bild einer Frau mit
langen dunklen Haaren, das die Kommissarin fotografierte, daneben lagen Akten
von Siemens. In der ganzen Wohnung fand sich kein Festnetztelefon.
"Anscheinend hatte der Mann mit Siemens zu tun", meinte die
Oberkommissarin, "da müssen wir am Montag gleich mal nachhaken.
Im Münchener Telefonverzeichnis fanden sie über die Festnetznummer den vollen
Namen und die Adresse von Nazemîn, ihr Familienname war Schawais. Frau Helmer
rief sie an und die Frau beantwortete die Frage, ob sie einen Gregor Sommer
kenne, mit der Gegenfrage, was mit ihm sei. Doch die Oberkommissarin fragte ohne
Antwort nach ihrem Verhältnis zu dem Mann. „Er ist mein Chef in einem
Forschungsteam bei Siemens in Hamburg, warum wollen Sie das wissen und was ist
mit ihm?“, rief die Frau erregt, doch Frau Helmer antwortete wieder nicht,
sondern fragte, wann sie den Mann zum letzten Mal gesehen habe. „Gestern Abend
haben wir uns am Hamburger Flughafen verabschiedet, und jetzt sagen Sie mir
endlich, was mit ihm ist“, schrie die Frau in den Apparat. „Er wurde heute
früh tot aufgefunden“, antwortete die Oberkommissarin ruhig, ohne zunächst
eine Antwort zu bekommen. Erst nach einer Weile fragte Frau Schawais leise,
wodurch er denn gestorben sei. „Er ist vor dem Haus gestürzt aufgefunden
worden und wir wissen noch nicht, ob es ein Unfall oder Fremdeinwirkung war“,
antwortete Frau Helmer und fragte, wann und wohin die Dame geflogen sei. „Um
20 Uhr mit der Lufthansa hierher nach München, und seitdem bin ich hier in
meiner Wohnung“, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
„Ich möchte noch etwas von Ihnen wissen“, fragte die Kriminalistin weiter.
„Nach Ihren vielen Telefonaten mit Herrn Sommer, einem großen Bild in seinem
Arbeitszimmer und den Aussagen der Nachbarin, dass Sie oft die Nacht bei ihm
verbracht haben, nehmen wir an, dass zwischen Ihnen beiden mehr bestanden hat,
als nur eine dienstliche Zusammenarbeit. Was können Sie dazu sagen?“ „Das
ist ganz einfach“, war die Antwort. „Da ich für die Koordination des
Projektes verantwortlich bin, haben wir in seiner Wohnung oft noch bis in die
Nacht gearbeitet und er hat mir dann die Couch im Wohnzimmer zum Schlafen
angeboten, damit ich nicht so spät zum Hotel fahren musste. Das war rein
dienstlich, persönlich ist nicht das Geringste zwischen uns gewesen, denn er
ist ja in Berlin verheiratet.“
"Der hat also ein dickes Geheimnis vor seiner Frau, das sieht immer
mehr nach einer Romanze mit der Münchnerin aus", resümierte Kommissar
Markowski. In dem Moment brachte ein Beamter den Laptop des Verunglückten von
der KTU, mit dem Vornamen seiner Frau war es gelungen, das Passwort zu knacken.
"Ich sehe mir mal den Mailverkehr an", meinte der Kommissar und rief
bald: "Siehe da, jede Menge Liebesbezeugungen mit der Münchnerin in beiden
Richtungen. Hör' zu, was sie letzten Sonntag geschrieben hat: ‚Hallo mein
Liebling, in zwei Stunden kannst Du mich am Airport abholen, ich freue mich
wahnsinnig darauf, die ganze Woche mit Dir zusammen zu sein.' Und seine Antwort:
‚Geliebtes Betthäschen, Dank für Deinen lieben Gruß. Ich kann es gar nicht
erwarten, Dich gleich in die Arme zu nehmen und zu küssen. Wir werden herrliche
Tage und wilde Nächte miteinander haben, wenn wir auch leider noch etwas
arbeiten müssen.' So viel zu dem rein dienstlichen Verhältnis zwischen den
beiden, von dem seine Frau nicht mal wusste, wo es stattfindet."
"Das werde ich jetzt mal der Geliebten um die Ohren hauen und sie für
Montag herbestellen", sagte Frau Helmer und rief nochmal in München an,
doch es meldete sich nur der Anrufbeantworter, auf dem sie um Rückruf bat.
Inzwischen knurrte den beiden Beamten der Magen und sie bekamen in der Kantine
gerade noch ein paar Reste zu essen. Danach prüften sie die Meldelisten. Gregor
Sommer war in Berlin-Zehlendorf mit Frau und Tochter gemeldet und seit einem Jahr
in Hamburg mit einer Zweitwohnung an der Rentzelstraße. "So lange betrügt
er also seine Frau schon", schimpfte die Oberkommissarin, "sie weiß
doch gar nichts von der Hamburger Tätigkeit!" "Hast du schon mal was
von einem treuen Ehemann gehört; den gibt es doch nur im Märchen", lachte
Markowski, worauf die Kollegin seufzte, er könne Recht haben.
In diesem Moment rief Frau Sommer aus Thailand zurück. "Ich habe
jetzt meine Gedanken wieder unter Kontrolle, entschuldigen Sie bitte, das war
vorhin einfach zu viel für mich", begann sie. "Wenn mein Mann eine
komfortable Wohnung in Hamburg hat, vermute ich, dass er sie nicht alleine
bewohnt, sondern mit einer Frau geteilt hat. Wissen Sie etwas darüber?"
"Eigentlich darf ich Ihnen diese Frage nicht am Telefon beantworten",
meinte Frau Helmer mit schlechtem Gewissen, "nur so viel: Eine Kollegin aus
München, mit der er hier an einem Projekt zusammen gearbeitet hat, war häufig
bei ihm. Es wäre gut, wenn Sie möglichst bald nach Hamburg kommen könnten,
dann können Sie alles direkt am Ort sehen." "Das habe ich schon
organisiert", antwortete die Ehefrau, "wir brechen den Urlaub ab und
fliegen morgen früh nach Berlin. Ich bringe meinen Sohn bei Freunden unter und
kann Montagvormittag bei Ihnen sein. Wo finde ich Sie?" "Im
Polizeipräsidium, Mordkommission 2", gab die Oberkommissarin Auskunft und
Frau Sommer fragte nur noch, ob man etwas über die Todesursache ihres Mannes
wisse. Als die Oberkommissarin das verneinte, beendete sie das Gespräch mit den
Worten: "Dann bis übermorgen."
Dann war die Frau am Apparat und fragte
erregt, warum man sie von der Polizei suchen lasse. "Sie haben uns in
mehrfacher Hinsicht belogen, deshalb stehen Sie in Verdacht, zumindest etwas
über den Tod von Herrn Sommer zu wissen. Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen
stellen, Genaueres müssen wir hier vor Ort klären." "Wieso
belogen?", schrie die Frau in den Apparat." "Sie hatten ein
intimes Verhältnis mit Herrn Sommer und haben Hamburg nicht gestern Abend,
sondern erst heute früh verlassen", antwortete die Oberkommissarin ruhig.
"Sie waren also zum Zeitpunkt seines Todes noch hier, und wir erwarten Sie
spätestens Montagvormittag zu einer Befragung hier im Kommissariat. Wenn Sie
nicht kommen, lassen wir sie festnehmen und hierher überstellen."
Nach dem Anruf von
der Hamburger Kripo kam Nazemîn Schawais der gestrige Abend noch einmal in
seiner furchtbaren Dimension in Erinnerung. Zwar hatte Gregor ihr deutlich
erklärt, dass er sich von ihr trennen und nur noch seiner Frau zuwenden wolle,
die er über alles liebe, doch sie hatte es als Reaktion auf ihren Vorschlag am
Montag angesehenes und einfach nicht geglaubt. Und dann war er tot gewesen.
Wegen ihrer guten Leistungen wurde sie 2016 in die in Hamburg neu gebildete
Arbeitsgruppe für neue Technologien berufen und traf dort auf Gregor Sommer,
den Leiter der Gruppe, der sie bald in seine Wohnung einlud. "Ich denke,
Sie wohnen in Berlin", fragte sie erstaunt, worauf er ihr erklärte, er
brauche ein gemütliches Umfeld, wenn er wochenlang in dieser Stadt an einem
anstrengenden Projekt arbeiten müsse. Ganz anders als sie es von ihrem Vater
gewohnt war, führte er sie fürsorglich in die komplizierte Materie der
Arbeitsgruppe ein, doch nicht nur damit beeindruckte er sie, denn er sah in
seiner lockeren Männlichkeit verführerisch gut aus. Schnell funkte es zwischen
ihnen, und dieses erste Liebesgefühl in ihrem Leben zu einem Mann
überwältigte sie völlig. So war es für sie nur natürlich, sich ihm
hinzugeben, und sie erlebte zum ersten Mal überwältigt das Wunder der innigen
Begegnung. Sie war überzeugt, dass nur dieser Mann ihr dieses Erlebnis so
wundervoll schenken konnte. Bald ließ sie sich die Pille verschreiben, so dass
sie jedes Treffen in Hamburg für ihre Liebe nutzen konnten.
Sie hatte den Ehering an seiner rechten Hand gesehen, mochte aber nicht
fragen und erst nach einer Weile berichtete Gregor beiläufig, dass er in Berlin
verheiratet sei, sagte aber nichts über den Wert dieser Ehe. Deshalb nahm sie
an, dass er unglücklich sei und sich deshalb mit ihr verbunden hatte, von ihrer
Erziehung her konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein Mann zwei Frauen
gleichzeitig lieben kann. Ein ganzes Jahr lang schwelgten die beiden in dieser
innigen Gemeinschaft, doch es wurde ihr immer schwerer, die Beziehung vor den
Eltern zu verheimlichen. Weil sie den Wunsch nach einer festeren Bindung nicht
mehr zurückhalten konnte, fragte sie Gregor am letzten Montag beim Frühstück,
ob er sich von seiner Frau trennen und sie heiraten würde. Merkwürdig still
wurde er, ohne die Frage zu beantworten, und mied an den nächsten Tagen jede
außerdienstliche Begegnung mit ihr.
Freitagabend fuhr er
sie zum Flughafen, da bat sie ihn ins Café, weil sie es nicht mehr aushielt.
"Du hast am Montag meine Frage nicht beantwortet, ich muss aber wissen, wie
du zu mir stehst", bat sie ihn. "Du hast in unserer Verbindung viel
mehr gesehen als ich, und deine Frage zeigt mir, dass du noch mehr willst",
antwortete er. "Aber ich liebe nur meine Frau und werde mich nie von ihr
trennen. Sicherlich habe ich auch die Liebe mit dir genossen, es durfte aber
keine Verpflichtung daraus werden. deshalb müssen wir uns jetzt trennen. wir
sehen uns nur noch im Projekt." Mit Tränen in den Augen stand sie auf und
verschwand in der Sicherheitsschleuse, ohne sich noch einmal umzusehen. Nachdem
sie sich beruhigt hatte, beschloss sie, jetzt nicht nach München zu fliegen und
noch einmal ein Treffen mit ihm zu versuchen. So liebevoll, wie sie ihn über
das ganze letzte Jahr erlebt hatte, konnte es doch nicht sein, dass sie ihm
überhaupt nichts bedeutete. Sie verzichtete auf das Boarding und buchte
stattdessen einen Flug um 6:30 am nächsten Morgen.
Da sie wusste, dass er sich im Café SternChance mit zwei Kollegen
treffen wollte, fuhr sie dorthin. Zuerst scheute sie sich, ihn im Beisein der
Kollegen anzusprechen, doch dann wurde ihr die Zeit zu lang und sie ging hinein
zu dem Tisch, wo er mit den beiden vor einem Schwung Getränke saß. "Was
willst du noch?", fuhr er sie lallend an, "hau ab, ich habe nichts
mehr mit dir zu tun." Bestürzt verließ sie das Lokal und wartete draußen
auf einer Bank, bis er kurz vor zwölf das Café auf unsicheren Füßen
verließ. Sie wollte ihn etwas später in seiner Wohnung noch einmal ansprechen,
vielleicht könnte sie ihn in diesem Zustand sogar verführen. Deshalb erhob sie
sich nach einer Weile und ging zu seinem Wohnhaus, wo sie einen furchtbaren
Schreck bekam: Der Mann, den sie unendlich geliebt hatte, lag mit einer blutigen
Wunde am Kopf neben der Eingangstreppe auf dem Boden.
Im ersten Augenblick wollte sie einen Krankenwagen rufen, doch weil er so
merkwürdig leblos aussah, prüfte sie Atmung und Herzschlag und stellte
entsetzt fest, dass er tot war. Schnell wurde ihr klar, dass sie nach dem Streit
verdächtigt werden könnte, an seinem Tode schuldig zu sein, deshalb unterließ
sie den Ruf zum Krankenwagen. Zum Abschied drückte sie ihm einen Kuss auf die
Lippen, die sie so gerne geküsst hatte, und lief zum Dammtorbahnhof, um schnell
wieder zum Flughafen zu kommen. Nach einer Weile bekam sie eine S-Bahn, musste
am Hauptbahnhof umsteigen und erreichte nach ein Uhr den Flughafen, wo sie die
fünf Stunden bis zum Boarding verbrachte. Schlafen konnte sie nicht, ständig
wirbelten ihr die Scherben ihrer ersten großen Liebe durch den Kopf und
tränenüberströmt war sie sich ganz sicher: Nie wieder würde sie einen Mann
so sehr lieben können wie Gregor.
Sie musste ohne jede Hilfe von außen selber zu einer Entscheidung kommen.
Zunächst buchte sie einen Flug nach Hamburg Sonntag früh um 8:21 und mailte
der Kriminalistin die Ankunftszeit. Dann merkte sie, dass sie den ganzen Tag
noch nichts gegessen hatte und briet sich zwei Eier. Als die Müdigkeit sie
wieder überfiel, legte sie sich lang und war sofort eingeschlafen. Trotz der
wilden Träume, die sie immer wieder quälten, schlief sie recht gut, bis sie
gegen Mitternacht mit der Frage aufwachte, wieviel sie in Hamburg von ihren
gestrigen Erlebnissen zugeben sollte. Da sie nicht wusste, ob die Kriminalisten
inzwischen noch mehr heraus bekommen hatte, entschied sie sich, die ganze
Wahrheit zu gestehen, dann schlief sie ruhig weiter, bis der Wecker sie um halb
sechs aus dem Schlaf riss.
"Sie haben uns auch bei der zweiten Befragung belogen", erklärte Die
Hauptkommissarin, "denn Sie sind nach der Absage des Fluges nicht im
Flughafen geblieben, sondern zu Herrn Sommer gefahren. Ab 21 Uhr waren Sie beim
Café SternChance unmittelbar in seiner Nähe und gegen Mitternacht direkt bei
seiner Wohnung. Etwa um diese Zeit ist er zu Tode gekommen und wir gehen
inzwischen davon aus, dass er im Hausflur durch einen Schlag auf den Kopf
umgebracht und dann vor die Tür geworfen wurde. Da Sie zu dieser Zeit dort
waren, sind Sie unsere Hauptverdächtige. Damit wir uns ein Bild von Ihnen
beiden machen können, sagen Sie uns bitte alles über Ihre Beziehung zu Herrn
Sommer.
Sie holte tief Luft und begann: "Wir haben uns vor einem Jahr in der
Arbeitsgruppe für das Siemens-Projekt ‚Neue Technologien' in Hamburg kennen
gelernt und uns schnell ineinander verliebt. Ich komme aus einer kurdischen
Familie, die 1988 aus dem Irak geflohen ist, und wurde äußerst restriktiv
erzogen. Erst als ich nach dem Studium selbstständig arbeitete, konnte ich mich
aus dieser Erziehung befreien und Gregor fand eine offene Tür bei mir. Wir
hatten ein herrliches Jahr zusammen, immer wenn wir uns in Hamburg trafen. Doch
diese sporadische Liebe genügte mir auf die Dauer nicht mehr und so innig wie
er mich liebte, nahm ich an, dass ihm seine Ehe in Berlin nicht mehr viel
bedeutete. Auch dass seine Frau mit der Tochter ohne ihn in Thailand Urlaub machte,
schien mir darauf hin zu deuten.
Weil ich unser Verhältnis nicht länger vor meinen Eltern verheimlichen wollte,
sprach ich ihn am letzten Montag an, ob er sich nicht von seiner Frau trennen
und mich heiraten wolle. Das Ergebnis traf mich wie ein Schlag. Zuerst sprach er
an den nächsten Tagen kein Wort mit mir und Freitagnachmittag machte er mir
unmissverständlich klar, dass unsere Beziehung keinen ernsthaften Hintergrund
habe und er keinerlei dauerhafte Bindung mit mir wolle, weil er nur seine Frau
liebe. Für mich brach eine Welt zusammen, denn ich hatte ihn unendlich geliebt
und das auch von ihm angenommen, so liebevoll er mir immer begegnet war.
In der Hoffnung, ihn noch einmal umstimmen zu können, verzichtete ich auf das
Boarding um 20 Uhr und buchte einen Flug am nächsten Morgen um 6:30. Da ich
wusste, dass er zwei Kollegen im Café SternChance treffen wollte, fuhr ich
dorthin, wurde aber von ihm mit bösen Worten abgefertigt. Ich konnte immer noch
nicht glauben, dass er nichts von mir wissen wollte und glaubte, ihn vielleicht
in seiner Wohnung verführen zu können, weil er stark betrunken war. So wartete
ich eine Weile, nachdem er das Café verlassen hatte und ging dann zu seinem
Haus. Furchtbar erschrocken sah ich ihn neben der Treppe liegen und musste
feststellen, dass er tot war. Um nicht in Verdacht zu kommen, ließ ich ihn
liegen, ohne die Polizei zu benachrichtigen und fuhr zum Flughafen, wo ich die
Nacht bis zum Abflug in einer unbeschreiblichen Verfassung verbrachte. In
München schlief ich sofort ein, bis Ihr Anruf mich weckte. Es tut mir leid,
dass ich Sie zunächst belogen habe, doch ich fürchtete, als schuldig an seinem
Tod verdächtigt zu werden, wenn ich die Wahrheit sage."
Ob sie irgendjemand wüsste, mit dem Herr Sommer Streit gehabt habe. Man konnte
sehen, dass die Frau überlegte, dann antwortete sie leise: "Eigentlich
darf ich Ihnen nichts darüber sagen, aber in der vorigen Woche hat Herr Sommer
herausgefunden, dass ein Mitarbeiter der Gruppe geheime Informationen über das
Projekt nach außen gegeben hat, und ihn deshalb aus der Gruppe entfernt. Es gab
einen fürchterlichen Krach und der Mann hat Herrn Sommer angedroht, er würde
nicht mehr lange leben." Auf Nachfrage gab sie den Namen des Mannes mit
Julian Prochnow an, seine Adresse wusste sie nicht.
"Anscheinend hat Frau Schawais wirklich die Wahrheit gesagt", fasste
die Hauptkommissarin das Ergebnis der Befragung zusammen. "Sie ist erst
eine Weile nach ihrem Freund zu seiner Wohnung gegangen und inzwischen hatte der
Mörder genügend Zeit, ihn umzubringen. Was machen wir jetzt mit ihr, ist sie
noch verdächtig?" "Wir sollten sie hier behalten, bis die Spusi noch
einmal das Haus durchsucht hat und ihre DNA und Fingerabdrücke nehmen, damit
sie mit den Funden dort verglichen werden", schlug die Oberkommissarin vor
und die Chefin stimmte zu. Sie informierten Frau Schawais und ließen ihr die
biometrischen Daten abnehmen. Der Vergleich mit den in der Wohnung gefundenen
Spuren ergab, dass sie mit Herrn Sommer getrunken und geschlafen hatte, aber es
im Hausflur keinerlei Spuren von ihr gab.
Kurz danach meldete die Spurensicherung sich noch einmal: Unter einem
Treppenabsatz im Hausflur hatten sie einen abgesägten Ast gefunden, der an
einem Ende Blutspuren aufwies, während am anderen zwei Fingerabdrücke
sichergestellt werden konnten. Die wurden sofort bei der KTU untersucht und
konnten keiner bekannte Person zugeordnet werden, vor allem nicht Frau Schawais.
"Damit ist sie aus dem Schneider, wir müssen sie zurück fliegen
lassen", bedauerte die Hauptkommissarin, "Jetzt geht die Suche nach
dem unbekannten Mörder erst richtig los."
Aus
Kapitel 3 „Jessica“
Nach dem Anruf der Oberkommissarin war Jessica Sommer am Boden zerstört
und versprach, zurückzurufen. "Mama, was hast du?", fragte die
siebenjährige Meike, die ihren abrupten Stimmungswechsel bemerkt hatte.
"Lass' mich einen Moment", bat sie und das Kind war ruhig, beobachtete sie
aber ängstlich. "Gregor fährt schon seit einem Jahr heimlich nach Hamburg
statt nach Erlangen und hat dort eine gute eingerichtete Wohnung. Einer Kollegin
hat er erzählt, dass wir in Thailand sind. Das sieht ja ziemlich nach einem
Liebesverhältnis aus und ich habe nicht das Geringste davon gemerkt",
dachte sie verbittert. Ihrer Tochter wollte sie zunächst noch nichts von ihrem
Verdacht sagen. Wen konnte sie um Rat fragen, was sie jetzt tun sollte? Gregors
Freund Jan Heinemann fiel ihr ein, der auch Meikes Taufpate war. Sie rief ihn
an und berichtete, was die Kriminalbeamtin ihr erzählt hatte. "Bist du
sicher, dass das stimmt?", fragte der Freund ungläubig, doch nachdem
Jessica ihm die Hamburger Kripo als Quelle genannt hatte, glaubte er es
allmählich. "Ich begreife einfach nicht, warum Gregor uns belogen hat,
denn ich hatte auch geglaubt, dass er in Erlangen arbeitet. Und eine Geliebte
habe ich ihm erst recht nicht zugetraut, ich dachte immer, ihr liebt euch
innig."
"Dachte ich bisher auch", antwortete Jessica, "aber was mache ich
jetzt?" "Du musst so schnell wie möglich nach Hamburg", riet Jan
ihr. "Brecht euren Urlaub ab und sieh' zu, dass ihr schon morgen fliegen
könnt. Du musst Gregors Beerdigung veranlassen, diese Wohnung in Hamburg
auflösen und dich noch um vieles andere kümmern, das durch seinen Tod
notwendig geworden ist. Selbstverständlich helfe ich dir in jeder Beziehung,
sag' mir, wenn du mich brauchst. Und wenn ihr in Berlin ankommt, hole ich euch
vom Flughafen ab. Informiere mich, wenn du mehr weißt."
Auf dem Flug von Bangkok nach Berlin hatte Jessica Zeit, sich an die acht
schönen Jahre mit Gregor zu erinnern. Im Juli 2008 hatte sie ihr Studium in
Kommunikationstechnik erfolgreich abgeschlossen und wollte auch ihr Verhältnis
mit einem Kommilitonen beenden, weil er ihr Leben immer stärker bestimmte. Dann
begegnete sie Gregor in einer Disco und die beiden verliebten sich sofort
ineinander. Noch in derselben Nacht fanden sie ganz zueinander und sie fühlte
sich von ihrem bisherigen Freund befreit. Auch Gregor hatte in einer losen
Partnerschaft gelebt, aber es fiel ihm nicht schwer, seine Partnerin zu
verlassen und nur noch für Jessica da zu sein. Während seine Freundin sich
sofort von ihm trennte, als er ihr die Nacht mit Jessica gestand, konnte
Jessicas Partner die Trennung nicht verwinden und belästigte sie noch
jahrelang, bis sie eine Abstandsverfügung gegen ihn erwirkte.
Als sie Gregor kennen lernte, war er seit einem halben Jahr bei Siemens
angestellt, während sie gerade eine Stelle in einer Werbeagentur angetreten
hatte. Da er eine Wohnung in Zehlendorf hatte, konnten sie ein halbes Jahr
später heiraten. Nach einem Jahr wurde Meike geboren und sie gab zunächst
ihre Stellung auf, um sich ganz dem Kind widmen zu können. Natürlich konnte
sie sich eine Weile nach der Geburt Gregor nicht völlig hingeben, aber sie
wusste, wie sie ihm trotzdem Freude bereiten konnte. Gemeinsam hatten sie
Elternzeit beantragt, Gregor allerdings nur für vier Monate. Nachdem Meike zwei Monate alt war, hatten sie immer wieder sehr schön zueinander gefunden und
Jessica hatte nie das Gefühl gehabt, dass Gregor etwas in der Begegnung
vermisste. Er hatte Praktiken gefunden, die ihnen beiden noch größere Lust
bereiteten. Und als sie nach fünf Jahren Art Direktrice in der Agentur geworden
war, verehrte er sie regelrecht.
Ohne eine Lösung zu finden, warum ihr Mann eine andere Frau gebraucht hatte,
fielen ihr nach der kargen Flugzeugmahlzeit die Augen zu, doch plötzlich
schreckte sie auf: Auf dem Sitz neben ihr saß Gregor und legte ihr den Arm um
die Schulter. "Es ist nicht so, wie du denkst", sagte er leise,
"ich liebe dich noch immer über alles, nur dich ganz allein." Dann
küsste er sie leicht und war verschwunden. Erschrocken kam sie zu sich und sah
wieder Meike neben sich mit den Spielsachen beschäftigt, die die Stewardess ihr gegeben hatte. "Er liebt mich also immer noch über alles trotz der
Kollegin in Hamburg", wunderte sie sich, bevor sie beruhigt wieder
einschlief und erst kurz vor der Landung in Tegel aufwachte.
"Das ist ja fast so schön wie bei uns", staunte Meike, als die
Oberkommissarin die Hamburger Wohnung aufschloss, "wer wohnt denn
hier?" "Hier hat Papa mindestens ein Jahr lang mit einer anderen Frau
gewohnt und uns nichts davon gesagt"; antwortete seine Mutter ärgerlich.
"Hat er die Frau denn auch ganz richtig lieb gehabt wie dich?" fragte
das Mädchen irritiert weiter. "Ich fürchte, er hat das, schau, das ist
sie", rief Jessica mit Tränen in den Augen und zeigte auf das Bild, das
sie auf dem Schränkchen entdeckt hatte. "Das ist gemein von Papa und ich
hätte es ihm nie zugetraut", erwiderte Meike und nahm die Mutter in
den Arm, die nur noch schluchzend "Ich auch nicht", antworten konnte.
"Aber Papa hat doch immer gesagt, man darf nur eine Frau lieben",
dachte das Kind weiter laut nach, worauf die Kriminalbeamtin dachte: "Das
ist mal wieder der Unterschied zwischen Theorie und Praxis, ich habe da ja auch
meine Erfahrungen." Dann überwand sie sich und sagte zu ihr:
"Dein Papa ist doch tot, da solltest du ihm den Fehler verzeihen."
"Uns hat er immer erzählt, er arbeitet in Erlangen", schimpfte
Jessica, "wahrscheinlich hat er sich hier mit Bedacht ein Liebesnest
eingerichtet und die jüngere Frau kam ihm gerade recht!" "Das scheint
mir auch so, ich bin schließlich selbst eine Frau und weiß, wie Männer
ticken", lächelte die Beamtin, "aber ich will noch den Rest
berichten: Zwei Kollegen, mit denen Ihr Mann in der Nähe der Wohnung bis in die
Nacht schwer gezecht hat - er hatte 1,85 Promille im Blut - bestätigten, dass
Frau Schawais zum Zeitpunkt seines Todes noch bei der Bar war. Außerdem haben
wir den Ast gefunden, mit dem Ihr Mann erschlagen wurde, daran sind keine
Fingerspuren der Frau, wohl aber von zwei anderen Personen, so dass wir sie
nicht für die Mörderin halten, obwohl sie wegen seiner Zurückweisung ein
plausibles Motiv hätte.
"Möglicherweise hat ihn ihre Unberührtheit gereizt, denn sie wurde
von ihrem Vater von allen Kontakten ferngehalten und er konnte sich ihr
gegenüber als Lehrmeister beweisen", erklärte die Oberkommissarin, dann
fuhr sie fort: "Bis wann hat Ihr früherer Freund Sie verfolgt?"
"Sie meinen, er könnte der Täter sein?", dachte Jessica nach.
"Ich fand gestern im Briefkasten eine Nachricht von ihm, die Zeit sei jetzt
reif, dass ich zu ihm zurückkehre. Das klingt doch sehr verdächtig."
"Bitte nennen Sie seinen Namen und wo er zu erreichen ist", bat die
Kriminalistin und Jessica fischte ihr Notizbuch aus der Handtasche.
Weil sie aus Berlin wusste, dass Gregor alle Codewörter geschützt in
seinem Laptop hinterlegte, suchte sie den Explorer durch und stieß auf eine
Excel-Datei mit dem Namen "Codes", die passwortgeschützt war.
"Wenn er meinen Vornamen als Passwort für den Rechner benutzt, öffnet der
vielleicht auch diese Datei", dachte sie, wurde aber abgewiesen. Doch als
sie Meikes Vornamen eingab, bekam sie eine Liste mit allen Passwörtern und
PIN. Dabei war auch der Zugriff auf ein Finanzprogramm mit seinen Giro-,
Kreditkarten- und Wertpapierkonten.
Jessica startete das Programm und gab die PIN aus der Liste ein. Das Berliner
Konto kannte sie, aber überrascht sah sie die Bewegungen im Hamburger Konto.
Von Siemens wurde monatlich ein geringer Betrag überwiesen, jedoch wurden weder
Miete noch Energie- und Kommunikationskosten abgebucht. Barauszahlungen sowie
Einkäufe von Damenbekleidung und Restaurantrechnungen wurden mit der EC-Karte
bezahlt. Zurzeit waren 1.345,- Euro auf dem Konto. "Da hat der Kerl also
einen Teil seines Gehaltes hierher überweisen lassen und mit seiner Geliebten
verprasst, was eigentlich uns gehörte", dachte sie erbost. Ihr Ärger
wurde noch größer, als sie die Maildaten öffnete und die schmalzigen
Liebesbeteuerungen las, die er mit Nazemîn ausgetauscht hatte. "Solche
Mails hat er mir noch nie geschrieben", dachte sie wehmütig.
Kurz vor dem Abendbrot meldete Jan sich aus Berlin: "Ich habe die
Beisetzung für Freitag um 14 Uhr auf dem Waldfriedhof organisiert mit
anschließendem Umtrunk im Fansiplan Restaurant. Du musst noch sagen, wie viele
Trauergäste kommen. Auch die Abholung aus Hamburg ist bestellt, da brauche ich
die Adresse. Falls du Gregors Utensilien nicht im Wagen mitnehmen kannst,
brauchst du eine Speditionsfirma, sag' mir doch bitte Bescheid. Ich komme
Donnerstagabend nach Zehlendorf und freue mich, euch zu sehen, da können wir
alles weiter besprechen." Jessica dankte dem Freund und versprach, sich
morgen zu melden.
Gleich nach dem Abendbrot gingen beide müde ins Bett, die letzten Nächte waren
kurz gewesen. Der Gedanke, dass Gregor in diesem Bett eine andere Frau geliebt
hatte, ließ Jessica nicht gleich einschlafen, doch plötzlich sah sie ihren
Mann, den sie bisher alleine zu lieben geglaubt hatte, neben sich im Bett und er
war mit keiner andern Frau zusammen, sondern beugte sich über sie und küsste
sie herzlich. "Vertrau' mir, ich habe immer nur dich geliebt",
flüsterte er und küsste sie wieder, dann hörte sie nur noch Heike neben
sich ruhig atmen. "Ich würde ja gerne die andere Frau kennen lernen, um
heraus zu finden, womit sie Gregor gewonnen hat", dachte sie noch, bevor
sie einschlief.
Jessica erfuhr, dass Gregors
Leichnam morgen früh freigegeben werde, und informierte gleich Jan Heinemann.
Sie war gerade wieder mit Frau Helmer im Kommissariat, um das Protokoll ihrer
gestrigen Befragung zu unterschreiben, als Nazemîn Schawais herein kam.
"Hallo, Frau Schawais", rief die Hauptkommissarin erstaunt, "ich
denke Sie sind in München!" "Das dachte ich bis gestern auch",
antwortete die Frau, "aber dann bin ich für heute hier zu Siemens bestellt
worden und wurde eben zur Nachfolgerin von Herrn Sommer ernannt. Jetzt wollte
ich nur fragen, ob es etwas Neues in der Mordsache gibt." Zornbebend ging
Jessica auf die Frau los und schrie sie an: "Da haben Sie ja erreicht, was
Sie mit dem Mord an meinem Mann planten: Erst verführen Sie ihn und dann
bringen Sie ihn um, um Sie seine Stelle zu übernehmen. Sie sollten längst
hinter Gittern sein!"
Mühsam beruhigte Frau Helmer die Erregte und sagte langsam: "Wir sind uns
sicher und haben es Ihnen auch erklärt, dass Frau Schawais keine Schuld am Tode
Ihres Mannes trägt, und über seinen Ehebruch richten wir hier nicht. Bitte
setzen Sie sich wieder." Erstaunt fragte Nazemîn: "Sie sind Gregors
Frau?" Als Jessica trotzig nickte, fiel sie vor ihr auf die Knie und
flüsterte: "Ich möchte Sie ganz herzlich um Vergebung bitten, dass ich
mit Ihrem Mann ein Verhältnis begonnen habe. Ich weiß, ich habe damit eine
große Schuld auf mich geladen, aber er hat mir erst viel später gestanden,
dass er verheiratet ist, da war ich schon so rettungslos in ihn verliebt, dass
mein Verstand ausgesetzt hat. Er war doch die erste Liebe in meinem Leben
überhaupt und sie ist wie ein Orkan über mich gekommen, vorher hat mein Vater
mich von allen Kontakten mit Männern ferngehalten. Ich kann Ihnen sagen, dass
er nie schlecht über Sie gesprochen hat, und als ich ihn Freitag um eine engere
Bindung bat, sagte er, dass er nur Sie über alles liebt. Gestern habe ich
meiner Mutter die Liaison mit Gregor gestanden, da hat sie mir die Augen über
meine Schuld geöffnet. Wenn Sie sie mir nicht vergeben können, muss ich sie
mein ganzes Leben mit mir tragen."
Verwundert hörte Jessica diese Worte, die sie von einer Rivalin überhaupt
nicht erwartet hatte. Und plötzlich sah sie Gregor neben der Frau stehen und
ihr über die Haare streichen. "Sie hat Recht, auch sie hat doch ihre
große Liebe verloren", hörte sie ihn leise sagen, "bitte vergib ihr,
dann kommt ihr beide zur Ruhe." Langsam begriff Jessica, dass auch diese
Frau in tiefer Liebe mit Gregor verbunden gewesen war und jetzt um ihn trauerte.
Sie zog sie hoch und schaute sie zum ersten Mal richtig an. "Sie sind eine
außerordentlich schöne Frau", sagte sie nachdenklich, "ich kann es
Gregor nicht verübeln, dass er sich in Sie verliebt hat. Und da ich seit acht
Jahren weiß, wie wundervoll die Liebe mit ihm ist, will ich Ihnen Ihre Romanze
vergeben, wenn es mir zuerst auch schwer gefallen ist. Sie trauern ja ebenso um
ihn wie ich, deshalb würde ich gerne mit Ihnen in Kontakt bleiben. Falls Sie
heute Abend Zeit haben, kommen Sie doch um 19 Uhr zu einem Glas Wein in die
Wohnung, denn ich möchte von Ihnen mehr über die Zeit mit Gregor
erfahren."
Abends öffnete Jessica eine Flasche Rotwein und schenkte zwei Gläser voll, da
klingelte es schon. "Ich habe zwar noch einen Schlüssel, wollte ihn aber
nicht mehr benutzen, hier ist er", meinte Nazemîn schuldbewusst, und
tätschelte die Hündin, die sie freundlich beschnupperte. Jessica bat sie an
den Couchtisch und suchte einen Moment nach den richtigen Worten, dann erhob sie
ihr Glas: "Wir beide haben Gregor geliebt und sind ihm ganz innig nahe
gekommen, womit er uns als Frauen großes Glück beschert hat, wir haben ihn
auch in der höchsten Ekstase erlebt, wo er außerhalb seiner selbst stand. So
sind wir Schwestern in seiner Liebe geworden und ich meine, wir sollten
Freundinnen werden, ich heiße Jessica." Überrascht hob Frau Schawais ihr
Glas und stieß mit Jessica an. "Mein Name ist Nazemîn und ich bin dir
dankbar für dein Angebot, das ich niemals erwartete, nach dem, was ich dir
angetan habe." Die beiden Frauen stießen miteinander an und küssten sich
auf die Wangen, da sah Jessica plötzlich wieder Gregor mit am Tisch stehen.
"Danke", sagte er leise, dann war er verschwunden.
"Unser Freund hat Gregors Beerdigung für Freitag um 14 Uhr auf dem
Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf organisiert und ich würde mich freuen, wenn
du dazu kommst. Wir fahren Donnerstagnachmittag mit dem Wagen nach Berlin und
können dich mitnehmen, und wenn du willst, kannst du auch bei uns
übernachten." "Vielen Dank für die Einladung", freute sich
Nazemîn, "ich will Gregor gerne das letzte Geleit geben."
"Wie hast du denn die Liebesgemeinschaft mit Gregor empfunden", fragte
Jessica die Besucherin. "Zwar war ich schon 27 Jahre alt, aber ein dummes
kleines Mädchen, als ich ihm begegnete", dachte Nazemîn nach. "Ich
wusste zwar, dass es zwischen Männern und Frauen Liebe gibt, konnte mir aber
überhaupt nichts darunter vorstellen, denn meine Eltern hatten mich vollkommen
steril aufgezogen. Wie ein Wunder kam da Gregor mit seiner behutsamen und
warmherzigen Zärtlichkeit über mich und schon seine ersten leichten Küsse
waren eine Offenbarung. Bei den innigen Küssen am nächsten Tag glaubte ich zu
vergehen und er ließ mir viel Zeit, bis er nach mehreren Tagen vorsichtig
begann, mich zu entkleiden. Ich brauchte eine Weile, das zuzulassen, denn in
unserer Kultur wird der Körper als heilig und Nacktheit als unmoralisch
angesehen.
Ich hatte ja in der Schule und von anderen jungen Frauen gehört, dass zur ganz
tiefen Liebe die körperliche Hingabe gehört und Gregor hat mich mit seiner
Zärtlichkeit dazu bereit gemacht. Ich fühlte mich verzaubert, wie tief mich
die erste innige Begegnung mit ihm getroffen hat, ich war mir sicher, dass nur
er mir dies wundervolle Erleben schenken könne. Heute weiß ich, dass es mein
erster Orgasmus war, den ich in diesem überwältigenden Augenblick erlebte,
damals war ich noch ganz unwissend. Doch es war nicht nur der Sex, mit dem
Gregor mich gewonnen hat, er war ein außerordentlich aufmerksamer und
fürsorglicher Gefährte. Behutsam führte er mich in die Hamburger Kulturszene
ein mit Theater- und Konzertbesuchen, er schenkte mir anspruchsvolle Bücher und
wir fuhren zu besonderen Ereignissen in die Umgebung. Erst Gregor hat aus mir
eine erwachsene Frau gemacht und dafür werde ich ihm ewig dankbar sei, auch
wenn er mich zuletzt abrupt verstoßen hat."
"Ja, er konnte ein Zauberer sein", stimmte Jessica nachdenklich zu,
"ich habe ihn selber so erlebt, als wir uns vor acht Jahren begegneten,
obwohl ich schon Erfahrungen mit einem Mann hatte. Ich habe nur den Fehler
gemacht zu glauben, dass ein Mann nur einer Frau treu sein kann, und war deshalb
enttäuscht, als ich von dir hörte. Doch dann dachte ich daran, dass er mich
nie vernachlässigt und mir wundervolle Begegnungen geschenkt hat, wenn er zum
Wochenende nach Hause kam, da musste ich ihm und auch dir eure Romanze vergeben.
Und wenn er dich zur Frau gemacht hat, wie du sagst, bin ich sogar ein wenig
stolz auf ihn. Er wird mir jetzt genauso fehlen wie dir, wir müssen beide mit
seinem Verlust klar kommen und trotzdem weiter leben. Ich freue mich für dich,
dass du seine Nachfolge in der Arbeitsgruppe antreten kannst und wünsche dir,
dass du noch einmal einen Mann finden kannst, der dich ebenso liebt wie
er."
Am Mittwoch wollten die Kommissare Julian Prochnow verhören, den Frau Schawais
als Datendieb bei Siemens genannt hatte.
"Was wollen Sie von mir?", fragte Prochnow ärgerlich, worauf der
Kommissar sagte: "Sie sind hinreichend verdächtig, Herrn Sommer getötet
zu haben, deshalb nehmen wir Sie zunächst fest und untersuchen Ihr Umfeld
weiter." Der Verdächtige staunte über den Tod seines verflossenen Chefs
und behauptete, er sei daran nicht schuld, konnte aber nicht verhindern, nach
Hamburg mitgenommen zu werden. Im Kommissariat kam er als Erstes zum
Erkennungsdienst, wo ihm Fingerabdrücke und DNA abgenommen wurden.
"Wussten Sie, wo Herr Sommer wohnte?", fragte die Hauptkommissarin und
der Verdächtige verneinte es. "Sie lügen", war die Antwort,
"alle Mitarbeiter der Gruppe hatten ein Adressverzeichnis, Sie kannten also
durchaus seine Anschrift. Wo waren Sie letzten Samstag früh zwischen 0 und 1
Uhr?" "Natürlich zu Hause im Bett!", schoss es aus dem Mann
heraus. "Und wer kann das bezeugen?", bohrte Frau Marcks weiter.
"Niemand, da meine Vermieterin nicht zu Hause war", war die Antwort.
Dann fragten die Kommissare ihn nach den Daten, die er in der geheimen
Arbeitsgruppe gestohlen hatte. "Das hat dieser blöde Sommer behauptet, um
mich aus der Gruppe heraus zu ekeln!", schimpfte der Mann. "Ich habe
stets loyal mitgearbeitet, aber er hatte mich von vornherein auf dem Kieker, ich
habe nie begriffen, was er gegen mich hatte." "Die Firma Siemens sieht
das anders", entgegnete der Kommissar, "aber deshalb sind Sie nicht
hier. Als Herr Sommer Ihre illegalen Aktivitäten aufdeckte und Sie aus der
Gruppe entfernte, drohten Sie ihm an, er würde nicht mehr lange leben, dafür
gibt es Zeugen. Und wir nehmen an, dass Sie ihn umgebracht haben und deshalb
geflüchtet sind, als wir zu Ihnen kamen." "Das habe ich nur im Ärger
über diese ungerechte Behandlung gesagt, sowas darf man doch nicht ernst
nehmen", versuchte der Mann, sich zu rechtfertigen. Zur Enttäuschung der
Beamten ergab der Vergleich seiner Fingerabdrücke mit den auf dem Ast
gefundenen keine Übereinstimmung, so dass sie den Mann einstweilen laufen
lassen mussten.
"Wer kann denn noch ein Interesse gehabt haben, Sommer umzubringen?",
fragte Hauptkommissarin Marcks die Kollegen. "Wir haben noch Frau Sommers
Stalker in Berlin", erinnerte sich Frau Helmer. "Was ist das für ein
Mann?", wollte die Hauptkommissarin wissen. "Er war Kommilitone von
Jessica Sommer, als sie noch Parker hieß und hat mit ihr das Studium
abgeschlossen. Auch er hat in einer Werbeagentur angefangen, sich aber schon
nach zwei Jahren selbstständig gemacht. Doch es läuft nicht so gut, er
schlittert dauernd am Rand der Pleite herum. Mehr wissen wir zurzeit
nicht." "Kann es sein, dass er Frau Sommer hier in Hamburg
nachsteigt?", kam der Oberkommissarin eine Idee. "Das ist durchaus
möglich!", rief Frau Marcks, "wir sollten das Haus überwachen,
übernimm du das fürs Erste", wies sie den Kommissar an, der sich sofort
auf den Weg machte.
Jessica öffnete die Tür, es war wirklich Nikolaj Marjanovi?. "Schön,
dich mal wieder zu sehen", sagte er, trat ein und versuchte, sie zu
umarmen, doch sie stieß ihn zurück. "Sei doch nicht so biestig", bat
er, "jetzt wo dein Mann tot ist, kann es doch wieder schön mit uns
werden." "Woher weißt du denn, dass er tot ist?", fragte
Jessica. "Es stand am Montag in der Zeitung", antwortete der Mann ganz
unbefangen. "Da wollte ich dich in Berlin besuchen, und als ich dich nicht
fand, wurde mir klar, dass du bei ihm bist. Ich habe recherchiert und diese
Wohnung hier in Hamburg herausgefunden und jetzt bin ich hier und will dich
zurückholen."
"Du weißt, dass die Abstandsverfügung immer noch gilt und du dich in
diesem Moment strafbar machst?", fragte Jessica, worauf der Mann lachend
meinte: "Das galt doch nur, als du verheiratet warst. Jetzt bist du frei
und wir können unsere Liebe fortsetzen. Bitte komm' zu mir zurück, ich liebe
dich doch immer noch" "Du hast anscheinend nie begriffen, warum ich
dich vor acht Jahren verlassen habe", erwiderte Jessica erregt. "Erst
Gregor hat mir gezeigt, dass Liebe viel mehr ist als bloßer Sex, wie du ihn mir
immer geboten hast. Hast du ihn umgebracht?"
"Ich hätte es schon vor acht Jahren gerne getan und nun hat mir ein lieber
Mensch die Arbeit abgenommen", antwortete Nikolaj lachend. "Du bist
ein Scheusal", schrie Jessica ihn an, "Ich will von dir nichts mehr
wissen und fordere dich auf, diese Wohnung schnellstens zu verlassen, sonst rufe
ich die Polizei." Mit den Worten: "Das kannst du gar nicht, denn ich
werde dich jetzt mitnehmen, ob du willst oder nicht", fasste der Mann
Jessica am Arm und wollte sie aus der Wohnung ziehen, doch der Kommissar stand
schon mit gezogener Pistole hinter ihm und schrie ihn an, die Frau loszulassen.
"Ich bin Kommissar Markowski von der Hamburger Mordkommission, und nehme
Sie jetzt fest, weil Sie hinreichend verdächtig sind, Herrn Sommer umgebracht
zu haben", sagte der Kommissar, legte dem Mann Handschellen an und fuhr mit
ihm zum Kommissariat, nachdem er sich von Jessica verabschiedet hatte.
Im Kommissariat wurde der Festgenommene erkennungsdienstlich behandelt und
befragt, wo er in der Nacht von Freitag zu Samstag gewesen sei. "Da habe
ich in meiner Wohnung in Berlin tief und fest geschlafen", war seine
Antwort und auf die Frage nach Zeugen fuhr er fort: "Da ich noch immer in
Jessica verliebt bin, habe ich keine Freundin und muss leider alleine schlafen.
Falls sie mich des Mordes verdächtigen, kann ich Ihnen sagen, dass ich mir die
Adresse der Hamburger Wohnung erst am Montag beschafft habe, als ich den Tod von
Herrn Sommer in der Zeitung gelesen habe und hoffte, Jessica würde sich mir
wieder zuwenden. Hier ist meine Fahrkarte, ich bin erst heute früh hier
angekommen."
Aus Kapitel 5 „Erkenntnisse“
"Ist euch denn in der Nacht
eine Idee gekommen, wie wir in der Mordsache Sommer zu einem Erfolg kommen
können?", fragte Hauptkommissarin Marcks ihre Mitarbeiter am Donnerstag
bei der morgendlichen Begrüßung, und Svenja Helmer zählte auf, was sie
wussten: "Wir haben zwei Verdächtige, deren Fingerabdrücke nicht mit
denen auf dem Ast übereinstimmen. Vielleicht haben diese Abdrücke einen ganz
anderen Hintergrund und der Mörder ist doch einer von den beiden und hat
Handschuhe getragen. Immerhin haben beide niemanden, der ihren nächtlichen
Aufenthalt bestätigen kann, sie bleiben also weiterhin in unserem Visier und
wir müssen bei ihnen noch genauer suchen."
Die Nachbarin wies den Kommissar auf den Hausmeisterservice hin, der einmal
wöchentlich nach dem Rechten sieht und die Mülltonnen rausstellt. Willig ließ
er sich die Fingerabdrücke abnehmen, die erwartungsgemäß nicht zu den auf dem
Ast gefundenen passten. Doch als die Kommissare ihm erklärten, wonach sie
suchten, hatte er eine Idee. "Vor zwei Wochen hat eine Gärtnerfirma den
Baum beschnitten, vielleicht haben die den Ast dabei angefasst." Er nannte
die Daten der Firma und durfte gehen. Kommissar Markowski rief die Firma an und
bat um einen baldigen Besuch durch den Gärtner, der vor zwei Wochen den
bewussten Baum bearbeitet hatte.
Nach einer guten Stunde meldete sich der Gärtner im Kommissariat und
bestätigte, vor zwei Wochen den Baum beschnitten zu haben. Warum er den Ast
liegen gelassen habe, wollten die Kommissare wissen. "Ja, eigentlich hätte
ich ihn mitnehmen müssen, aber als ich ihn abgesägt hatte, bekam ich einen
Anruf, ich solle ganz schnell zu einem anderen Kunden kommen, der Probleme mit
einem umgestürzten Baum habe, und danach habe ich den Ast einfach
vergessen." Die Fingerabdrücke des Gärtners stimmten exakt mit den auf
dem Ast gefundenen überein, doch da den Kommissaren klar war, dass er mit Herrn
Sommers Tod nichts zu tun hatte, blieb nur noch ein unbekannter, halb
verwischter Abdruck übrig.
Nach dem Mittagessen hatte Ulrich Markowski eine Idee: "Die Fingerabdrücke
unser beiden Verdächtigen konnten zwar auf dem Ast nicht nachgewiesen werden,
doch wenn einer von ihnen der Mörder ist, könnte er Handschuhe getragen haben.
Beide haben kein stichhaltiges Alibi und behaupten, mit dem Mord nichts zu tun
zu haben, aber vielleicht können wir sie am Bahnhof Dammtor finden. Marjanovi?
ist Mittwoch mit der Bahn aus Berlin gekommen und Prochnow braucht aus Ohlsdorf
und aus Elmshorn die S-Bahn. Falls einer von ihnen schon Freitagabend zu Herrn
Sommer wollte, wird er dort ausgestiegen sein und wir könnten ihn über die
Überwachungsaufnahmen am Bahnhof finden. Sicherlich ist das ein Mordsaufwand,
aber wenn wir die Zeit auf den Abend und den Anfang der Nacht begrenzen, sollte
es gut möglich sein." Dann saßen die drei bis in den Abend vor den Bildschirmen.
Der Kommissar hatte sich die Bänder an den Treppen von beiden Bahnsteigen und
der Ausgangshalle zwischen 20 und 1 Uhr geben lassen, die sie jetzt auf die
Gesichter der beiden Verdächtigen prüften. Plötzlich rief er: "Hier ist
der Berliner!" Um 21:13 war Marjanovi? am Fernbahnhof auf der Treppe nach
unten und kurz danach am Ausgang mit einem kleinen Koffer zu sehen. "Er war
also zur Tatzeit in der Gegend, schade, dass wir ihn nach Berlin zurück
geschickt haben", bedauerte die Hauptkommissarin. "Können wir die
Suche beenden?", fragte Markowski. "Nein", meinte Frau Helmer,
"vielleicht ist er ja wieder abgefahren. Lasst uns die restlichen Bänder
anschauen." Der Kommissar murrte, doch die Chefin gab der Kollegin Recht.
Und wirklich fand der Kommissar kurz vor Mitternacht auch den Hamburger
Verdächtigen, diesmal um 23:23 auf der Treppe vom S-Bahnhof und kurz danach am
Hallenausgang. Um 0:15 war er zurückgekommen und zur S-Bahn hochgestiegen. Der
Berliner war im untersuchten Zeitraum nicht mehr zu sehen. "Verdammte
Scheiße" rief die Chefin, "jetzt haben wir sie plötzlich wieder
beide auf dem Schirm. Ein einziger wäre mir lieber gewesen, Aber ich glaube,
das langt jetzt erstmal, heute kriegen wir nichts weiter hin.
Freitag früh rief die Hauptkommissarin als erstes Nikolaj Marjanovi? in Berlin
an, doch er meldete sich nicht. darauf bat sie die Berliner Polizei, ihn zu
suchen.
Kurz danach brachte eine Streife Julian Prochnow ins Kommissariat.
"Wenigstens etwas", freute sich Lea Marcks und die drei nahmen den
Gesuchten ins Verhör. "Sie haben uns wieder belogen", empfing die
Chefin ihn. "Die Kameras am Bahnhof Dammtor zeigen eindeutig, dass Sie
statt Freitagabend in Ohlsdorf im Bett zu liegen, mit der S-Bahn zum Dammtor
gefahren und dort um 23:23 angekommen sind. Um 0:15 sind Sie wieder abgefahren
und in der Zwischenzeit haben Sie Herrn Sommer mit einem Ast erschlagen. Was
können Sie zu ihrer Anwesenheit dort sagen?" Der Verdächtige war
zunächst sprachlos, erst nach einer Weile fand er eine Antwort: "Ja, ich
gebe zu, dass ich um diese Zeit in der Gegend war. Ich wollte mich bei Herrn
Sommer für den Datendiebstahl entschuldigen, ihm unbedingte Loyalität
versprechen und ihn bitten, mich wieder in die Arbeitsgruppe aufzunehmen.Sie können sich mein
Entsetzen vorstellen, als ich ihn tot vor der Haustür liegen sah und mir wurde
sofort klar, dass man mich für den Mörder halten würde. Deshalb ging ich
möglichst unauffällig zum Bahnhof zurück und fuhr nach Hause, wo mich das
Entsetzen lange nicht einschlafen ließ. Sie können mir glauben oder es bleiben
lassen, etwas anderes kann ich ihnen nicht sagen."
"Was machen wir mit ihm, sagt er die Wahrheit?", fragte Frau Marcks
ihre Kollegen, die sie aus dem Verhörraum heraus gebeten hatte. "Es
scheint so", meinte die Oberkommissarin nachdenklich, "und leider
können wir ihm nicht das Gegenteil beweisen. Bei dieser Lage wird uns kein
Haftrichter die Untersuchungshaft genehmigen. Wir müssen ihn mit der Auflage
freigeben, sich täglich bei uns zu melden." "OK, sag' ihm das und
lass' ihn laufen", entschied die Chefin und Frau Helmer gab dem Mann
Bescheid.
Die Berliner Kripomeldete sich , sie seien zu einer Videokonferenz bereit und
bald konnten die Hamburger auf dem großen Schirm den Verhörraum in Berlin mit
zwei Beamten und Nikolaj Marjanovi? sehen. "Hallo, Herr Marjanovi?, können
Sie uns sehen und hören?", fragte Frau Marcks, worauf der Gefragte
ärgerlich antwortete: "Ja, ich kann Sie gut sehen und hören und jetzt
will ich ganz schnell wissen, warum Sie mich wie schon wieder einen Verbrecher
festnehmen lassen und verhören." "Das ist ganz einfach", meinte
die Hauptkommissarin lächelnd, "weil sie uns belogen haben. Wir haben
festgestellt, dass Sie entgegen Ihrer Aussage auch schon am Freitagabend in
Hamburg waren, Sie sind um 21:13 Uhr am Bahnhof Hamburg-Dammtor aus dem Berliner
Zug ausgestiegen, waren also zum Todeszeitpunkt von Herrn Sommer in seiner
Nähe. Deshalb verdächtigen wir Sie, ihn ermordet zu haben, um wieder an seine
Frau heran zu kommen. Was können Sie uns dazu zu sagen?"
Wie aus der Pistole geschossen antwortete der Gefragte: "Ja, ich war
Freitag in Hamburg. Ich wollte Jessica in der letzten Woche aufsuchen, aber sie
war nicht in Berlin. Schon früher hatte ich mich in Herrn Sommers Computer
gehackt und wusste, dass er in Hamburg eine Wohnung hat, wo ich Jessica
vermutete und möglichst treffen wollte. Deshalb bin ich Freitagabend nach
Hamburg gefahren, habe mich ganz in der Nähe der Wohnung im Mercure-Hotel
eingemietet und wollte Samstagvormittag versuchen, Jessica zu treffen. Als ich
gegen 9 Uhr zum Haus kam, sah ich den Mann neben der Treppe liegen und Polizei
am Ort. Wie am
Freitagabend habe ich mich wieder im Hotel Mercure einquartiert, Sie können
dort nachfragen."
Um den Tag nicht vollkommen ergebnislos abzuschließen, fragte Frau Marcks die
Kollegen: "Habt ihr vielleicht noch eine Idee, wer ein Interesse an Herrn
Sommers Tod haben könnte", worauf der Oberkommissarin eine Möglichkeit
einfiel: "Frau Schawais hat doch berichtet, dass ihr Vater jeden Kontakt
mit Jungen und Männern kategorisch unterbunden hat, weil er sie mit
irgendwelchen älteren Kurden verheiraten wollte und sie dafür unbedingt
jungfräulich sein musste. Obwohl sie allmählich zu einer selbstständigen Frau
wurde, hat der sie wahrscheinlich weiterhin überwachen lassen, weil er die Idee
nie aufgegeben hat, durch solche Heirat rein kurdische Enkel zu bekommen. Als
sie dann nach zwei Jahren in Herrn Sommers geheime Arbeitsgruppe in Hamburg kam
und mit ihm die erste Liebe ihres Lebens fand, könnte der Vater diese für
seine Absichten unmögliche Liaison trotz der Geheimhaltung heraus bekommen
haben und Herrn Sommer deshalb umbringen lassen. Wir sollten auch diese Richtung
weiter verfolgen."
"Etwas weit hergeholt, aber nicht unmöglich", beurteilte die Chefin
die Idee. "Wie kommen wir dem Schawais auf die Spur?" "Ich denke,
wir müssen darüber zuerst mit seiner Tochter sprechen. Die kennt ihren Vater
am besten und ist nicht besonders gut auf ihn zu sprechen", schlug Frau
Helmer vor und wollte Frau Schawais im Büro anrufen, erfuhr aber, sie sei nicht
im Dienst, sondern schon gestern nach Berlin gefahren, um an der Beisetzung von
Herrn Sommer teilzunehmen. Darauf rief sie ihr Handy an, das war aber
ausgeschaltet und sie konnte nur auf der Mailbox eine Bitte um Rückruf
hinterlassen.
Donnerstagnachmittag fuhr
jessica mit Meike und Nazemîn nach Berlin. Freitag früh besuchte der Pastor Jessica, um
Informationen für seine Predigt zu gewinnen. Jessica
hatte sich entschlossen, Gregors außereheliches Verhältnis weder seinen Eltern
noch dem Pfarrer zu offenbaren. Das ging nur sie und Nazemîn etwas an und
zusätzlich wussten es Jan und Meike, die sie zum Schweigen angehalten hatte.
So berichtete sie dem Geistlichen ausführlich über ihre harmonische Ehe, die
sie ja bis letzten Samstag auch immer so empfunden hatte. Als Gregors Eltern zum
Mittagessen eintrafen, sprachen sie Jessica ihr Beileid aus, was sie mit den
Worten zurückgab, sie hätten doch auch einen geliebten Menschen verloren. Was
Gregor in Hamburg gemacht habe, wollten sie wissen und Jessica berichtete stolz,
er habe dort eine wichtige Arbeitsgruppe geleitet. Die Frage nach der
Todesursache konnte sie nur mit den Worten beantworten, er sei erschlagen worden
und die Hamburger Kripo habe den Mörder noch nicht gefunden.
Nazemîn hatte ihr Smartphone wegen der Trauerfeier ausgeschaltet und als sie es
nach dem Abendessen wieder in Betrieb nahm, fand sie Frau Helmers Bitte um
Rückruf. Die
Oberkommissarin schilderte ihr die Überlegungen über ihren Vater, ob er unter Umständen ihre
Liaison mit Herrn Sommer heraus bekommen habe und ihn deshalb umbringen ließ,
weil er sie ja unbedingt mit einem Kurden verheiraten wollte. "Daran habe
ich überhaupt noch nicht gedacht, kann es aber nicht ausschließen",
antwortete sie nachdenklich, "aber viel mehr kann ich Ihnen dazu nicht
sagen. Ich werde morgen darüber nachdenken, heute hatten wir die Beisetzung und
jetzt sind wir gerade mit dem Abendessen fertig. Spätestens Montag melde mich
ich wieder."
Samstag war Jan mit beim Frühstück und mit einem Mal sagte Nazemîn
nachdenklich: "Ich habe ein Problem und ihr könnt mir vielleicht einen Rat
geben", dann schilderte sie den Verdacht der Hamburger Kripo gegen ihren
Vater. "Wie haben Sie ihn denn in Erinnerung?" fragte Jan,
"trauen Sie ihm solche Tat zu?" "Na ja, er ist kein Engel",
suchte die junge Frau nach Worten. "In seinem kurdischen Umfeld gibt es
finstere Gestalten, denen ich nachts nicht begegnen möchte. Daneben hat er
einen Freundeskreis gleichaltriger Kurden, mit denen oder ihren Söhnen er mich
schon längst verheiraten wollte, und ich denke, für dieses Ziel ist ihm keine
Maßnahme zu schmutzig, nur meine Mutter hat das bisher verhindert. Wenn er
meine Verbindung mit Gregor heraus bekommen hat, wird ihn das fürchterlich
geärgert haben, weil es seine Pläne durchkreuzte. So hart und kompromisslos,
wie ich ihn jahrelang kennen gelernt habe, traue ich ihm durchaus zu, den Mord
in Auftrag gegeben zu haben, nur würde er sich nie die Hände selbst schmutzig
machen."
"Denken Sie doch bitte nach, ob Ihnen noch etwas Besonderes zu ihm
einfällt", bat Jan,
"In meiner Erinnerung taucht etwas auf, das mich damals nachdenklich
gemacht hat", begann Nazemîn. "Es war eine Weile nach meinem Studium,
als ich meine Eltern besuchte und ohne anzuklopfen das Arbeitszimmer meines
Vaters betrat, um ihn zu begrüßen. Er saß dort mit ein paar wild aussehenden
Männern, von denen einer gerade das Wort ‚Öcalan' sagte. Mein Vater schrie
mich an: ‚Raus, du störst uns', und ich verließ fluchtartig den Raum.
Hinterher dachte ich nach, wo ich dieses Wort gehört hatte, und fand im
Internet, dass er der Führer der Terrororganisation PKK ist, die für kurdische
Selbstständigkeit in der Türkei kämpft. Er wurde 1999 vom türkischen
Geheimdienst in Nigeria gekidnappt und in der Türkei zum Tode verurteilt, das
Urteil wurde jedoch auf europäischen Druck in eine lebenslange Haft
umgewandelt. Er gilt weiterhin als geistiger Führer nicht nur der PKK, sondern
aller Kurden, auch bei Demonstrationen wird sein Bild gezeigt. Aus dieser
Erinnerung schließe ich, dass mein Vater insgeheim Verbindungen zur PKK
unterhält und sie wahrscheinlich finanziell unterstützt. Da diese
Terrororganisation in Deutschland verboten ist, macht er sich strafbar."
"Heute ist zwar Samstag, aber ich halte das für wichtig genug, dass du
nicht bis Montag wartest, sondern sofort die Hamburger Kripo informierst",
schlug Jan vor, worauf Nazemîn die Oberkommissarin anrief und ihre Erkenntnisse
berichtete.
"Das ist ein
heißes Ding, das wahrscheinlich das Bundeskriminalamt an sich ziehen wird, weil
die PKK eine in der ganzen Bundesrepublik vertretene internationale
Terrororganisation ist", rief die Hauptkommissarin in den Apparat,
"wir treffen uns im Büro." Nachdem sie eingetroffen war, rief sie das
Bayerische Landeskriminalamt an und bezog sich auf den Anruf vom Donnerstag.
"Wir haben inzwischen von der Tochter des Dogan Schawais erfahren, dass der
Mann Verbindungen zur PKK unterhält und unsere Mordsache möglicherweise damit
zu tun hat. Ich denke, das ist etwas für das BKA", erklärte sie dem
Beamten auf der Gegenseite, worauf der sofort antwortete, sie habe Recht, er
würde dem BKA alle Erkenntnisse über den Mann berichten und die würden sich
wahrscheinlich bei den Hamburgern melden.
Es dauerte nicht lange, bis das BKA sich meldete. Die Oberkommissarin Hofmeister
von der Abteilung "Organisierte Kriminalität" fragte nach allen
Einzelheiten, die mit Nazemîn Schawais in Zusammenhang stünden, worauf Frau
Marcks von dem Mord an Gregor Sommer, seinem Verhältnis mit Schawais' Tochter
und ihren bisher ergebnislosen Ermittlungen berichtete. Nach einer halben Stunde klingelte Oberkommissarin Ina Hofmeister vom BKA an der
Tür und wollte von Nazemîn alles über die Verbindungen ihres Vaters zur PKK
wissen, worauf diese berichtete, wie sie bei einem Treffen mit wild aussehenden
Männern das Wort ‚Öcalan' gehört habe. "Haben Sie noch mehr in dieser
Richtung festgestellt?", wollte die Beamtin wissen, doch Nazemîn konnte
nur sagen, dass sie öfter gesehen hatte, wie solche Männer sich bei ihrem
Vater trafen, er habe diese Treffen aber stets akribisch abgeschirmt und sie
habe nie wieder irgendein Wort davon gehört. "Was hat denn Ihre Freund mit
der Sache zu tun?", fragte Frau Hofmeister weiter, worauf Nazemîn
berichtete, dass sie Gregor von ihrem Verdacht erzählt habe und er sich
möglicherweise darum gekümmert hat. "Ich weiß nicht, ob er wirklich
etwas unternommen hat, wenn ja, kann ich nicht ausschließen, dass die PKK das
mitbekommen und ihn ermordet hat." "Trauen Sie Ihrem Vater so eine Tat
zu", fragte die BKA-Beamtin, worauf Nazemîn nach einigem Überlegen leise
antwortete: "Er ist ein fanatischer Mensch und hasst alle, die gegen die
Kurden sind. Das habe ich oft von ihm selbst gehört. Falls Herr Sommer in
irgendeiner Weise dieser Organisation gefährlich geworden sein sollte, kann ich
nicht ausschließen, dass mein Vater ihn aus dem Weg geschafft hat."
"Nimm dir doch mal Gregors Laptop vor, ob du noch irgendwas Besonderes
findest", bat Jessica Jan Heinemann. "Ich habe dem Gerät zwar in
Hamburg schon allerlei Geheimnisse entlockt, aber vielleicht findest du noch
irgendwas, das ich übersehen habe." Jan meinte, das könne er besser bei
sich zu Hause und nahm das Gerät mit.Beim BKA rief Frau Hofmeister einen
Gesprächskreis zusammen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. "Wir
brauchen Einblick in Schawais' Konten, eine Liste seiner Telefonate und
Rechneraktivitäten, außerdem sollten wir versuchen, Bildaufnahmen von den
verschiedenen Kurdentreffen in Deutschland zu bekommen, ob er dabei ist. Seine
Festnetznummer kriegen wir sicherlich,
Überraschend schnell bekamen sie die Genehmigung zur Einsicht in die
Kontaktdaten und Konten, nur mit den Aufnahmen der Kameras mussten sie bis
morgen warten. Die Durchsicht der Telefonverbindungen über das Festnetz ergab
eine Unmenge geschäftlicher Telefonate zu Kunden und Lieferanten für
Reinigungsmaterial, aber keinerlei private Verbindungen. Eine Reihe von
Gesprächen waren auch zum Mobilphon geführt worden. Bei der genauen Prüfung
fiel Frau Hofmeister eine Mobilfunknummer auf, die zwar selten aber immer wieder
vom Festnetzanschluss kontaktiert worden war. Als sie auch für diese Nummer die
Freigabe bekamen, gingen ihnen die Augen auf: Der Besitzer hieß Milas Schawais
und sie bekamen aus den Meldedaten schnell heraus, dass Milas der zweite Vorname
von Nazemîns Vater war.
Dann nahmen sie sich die Konten des Verdächtigen vor. Das Geschäftskonto
diente offensichtlich nur geschäftlichen Transaktionen wie Einzahlungen von
Kunden und Auszahlungen an Mitarbeiter, Firmen für Reinigungsmaterial, das
Finanzamt und das Privatkonto. Dieses war interessanter. Neben Zahlungen per
EC-Karte in Lebensmittelmärkten, Kleidungsgeschäften und an Tankstellen gab es
immer wieder umfangreiche Zahlungen an eine Bank auf den Caymaninseln und die
Barauszahlung größerer Beträge.
"Da haben wir hier also ein umfangreiches kurdisches Netzwerk
aufgedeckt", sagte der Chef erschüttert, "was machen wir damit?"
"Ich denke, wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung und
die Geschäftsräume und müssen die Münchener dafür um Hilfe bitten",
schlug die Oberkommissarin vor. "Auf jeden Fall hat der Verdacht der
Tochter ins Schwarze getroffen, dass der Vater aktiv mit der PKK zusammen
arbeitet." Am Nachmittag hatten sie den Durchsuchungsbeschluss und
schickten die Münchener Spezialisten mit dem Auftrag zu Schawais' Wohnung,
Computer und andere Unterlagen mit Adressen und Mails, sowie vielleicht auch
Dateien mit kurdischem Hintergrund zu suchen.
In einem verschlossenen Fach seines Schreibtisches fanden sie
Fotografien eines Mädchens m, bis sie auf den
letzten Bildern in enger Umarmung mit einem Mann abgebildet war. Sie übertrugen
diese Bilder nach Berlin und erfuhren, das seien Nazemîn Schawais und Gregor
Sommer. "Sie wussten also von der Verbindung Ihrer Tochter mit Herrn
Sommer", warfen die Beamten dem Vater vor, "und stehen unter Verdacht,
deshalb seinen Tod in Auftrag gegeben zu haben. Außerdem wurden bei Ihnen
Verbindungen zur verbotenen PKK festgestellt, und wegen dieser beiden Punkte
verhaften wir Sie jetzt. Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet
werden." Dem Mann wurden Handschellen angelegt und er wurde in die
Haftanstalt des Bayerischen LKA gebracht. Da keine weiteren Unterlagen gefunden
wurden, nahmen die Beamten nur den Laptop mit. Auch die Durchsuchung der
Geschäftsräume ergab keine zusätzlichen Beweismittel. Im Büro versuchten die
Beamten, in den Laptop zu gelangen. doch er war durch ein Passwort geschützt.
Deshalb gaben sie ihn an die IT-Spezialisten und machten Feierabend, da es
ziemlich spät geworden war.
Als erstes
interessierten sie die E-Mails, in denen sie eine ganze Menge Briefverkehr zu
Empfängern in Deutschland und wiederum im Irak und der Türkei fanden. Die
meisten Texte waren auf Kurdisch und sie ließen eine Dolmetscherin kommen, um
sie zu übersetzen. Auch die übrigen Dateien waren meist in kurdischer Sprache.
Interessant waren jährliche Excel-Dateien mit Spalten für Einnahmen und
Ausgaben, die anscheinend das Konto auf den Caymaninseln betrafen. Die Einnahmen
waren meist Überweisungen vom Privatkonto und bei den Ausgaben standen kurdisch
klingende Namen. "Diese Tabellen befassen sich anscheinend nur mit der
PKK", meinte die Oberkommissarin nachdenklich, "wir sollten mal
versuchen, aus den Namen die Adressen der Empfänger heraus zu bekommen, dann
haben wir wohl die halbe PKK beisammen." "OK, machen Sie das",
entschied der Chef, ich beantrage inzwischen U-Haft für den Mann und dann
lassen wir ihn zu uns bringen."
Jan Heinemann rief aufgeregt bei Jessica an: "Ich habe auf Gregors Laptop
eine umfangreiche versteckte Worddatei mit Namen ‚diary' gefunden, die ich
nicht öffnen kann, weil sie passwortgeschützt ist. Dem Namen nach könnte es
sich um ein Tagebuch handeln, hast du vielleicht eine Ahnung über das
Passwort?" ""Anscheinend handelt es sich dabei um sehr
persönliche Dinge und ich meine immer noch, er schützt sie mit persönlichen
Daten", meinte Jessica und gab "Gregor170782" ein. "Das ist
sein Name und Geburtsdatum", erklärte sie, als sich die Datei unter der
Überschrift "Mein Tagebuch" öffnete. Es war ein riesiges
Word-Dokument mit über 700 Seiten, das sie gleich zu lesen begannen. Der erste
Eintrag war im Juli 1997 datiert:
17. 7. 1997
Zum Geburtstag habe ich heute einen Laptop bekommen, den ich mir schon lange
wünsche. Über das Modem kann ich
im Netz surfen und Vati bezahlt mir einen E-Mail-Account. Ich will sehen, ob
Mitschüler schon sowas haben und ich mit ihnen korrespondieren kann. Als mein
geheimes Tagebuch lege ich diese versteckte und besonders geschützte
diary-Datei an, wo ich alles notieren will, was ich erlebe, ohne dass es ein
anderer findet.
Doch zunächst will ich etwas zurück schauen. Ich wurde noch in der
verflossenen DDR geboren und kam im Sommer 1989 zur Schule, wo wir als erstes
das FDJ-Lied lernten und mit den Errungenschaften des Arbeiter- und
Bauernstaates vertraut gemacht wurden. Angefangen hatte das schon im
Kindergarten.esser waren. Nur allmählich lernten wir
wieder etwas Nützliches und ich war in allen Fächern ziemlich gut. Der
Großvater bekam schnell die Verfügungsgewalt über das Geschäft und Haus
zurück, in dem wir wohnten. Da die Zwangsmieter auszogen, hatten wir genug
Platz und ich bekam ein eigenes Zimmer. Leider setzten die notwendigen
Verhandlungen Opa so zu, dass er noch vor der Deutschen Einheit mit 68 Jahren
starb, und meine Eltern übernahmen das Geschäft. Weil der Bedarf an neuen
Elektrogeräten und Hausinstallationen groß war, stellten sie Mitarbeiter ein
und verdienten gut.
Mit 10 Jahren kam ich aufs Gymnasium und konnte den guten Stand der Grundschule
halten. Allerdings war ich der Kleinste und Schwächste in der Klasse. Das
nutzte ein Schlägertyp aus, der nur schlechte Leistungen brachte, und
verprügelte mich bei jeder Gelegenheit. An ein Ereignis erinnere ich mich noch
genau: Wir hatten einen Englisch-Test geschrieben und da das mein Spezialfach
war, erwartete ich ein gutes Ergebnis. Der Lehrer verteilte die Blätter in
aufsteigender Nummerierung und ich wunderte mich, bei den zweien nicht dabei zu
sein. Dann kamen die dreien, vieren und fünfen und zuletzt eine sechs für den
Schlägertyp. Mir war das Herz in die Hose gerutscht, ich konnte mir überhaupt
nicht vorstellen, so schlecht abgeschnitten zu haben. Und ich hatte Recht:
"Was ist denn das?", rief der Lehrer erstaunt, "Sommer null
Fehler, eins!" Ich war froh, aber der Schlägertyp nahm mir die Demütigung
übel und verprügelte mich bei der nächsten Gelegenheit. Zum Glück schaffte
er die Versetzung in die sechste Klasse nicht und ich hatte fortan Ruhe.
Letzte Ostern bin ich konfirmiert worden. Die Eltern haben mir dazu geraten und
ich habe zwar nicht viel mit der Kirche am Hut, finde aber den Christlichen
Glauben nicht schlecht, in dem ich aufgewachsen bin. Die Konfirmation ist auf
jeden Fall besser und geht viel tiefer als die gesichtslose Jugendweihe. Im
Konfirmandenunterricht ließ uns der junge Pastor neben anderen Texten das
Hohelied Salomos lesen und obwohl ich mit Mädchen noch nichts anfangen kann,
fand ich es schön, dass die ernste Bibel solche zarten Liebesverse enthält. In
der Klassengemeinschaft fühle ich mich inzwischen ganz wohl, ich bin ziemlich
gewachsen und kräftiger geworden. In drei Jahren will ich das Abitur machen,
womit ich jetzt in der Gegenwart angekommen bin.
"Was meinst du, sollten wir Nazemîn das mit lesen lassen, schließlich hat
sie Gregor doch auch sehr gut gekannt", meinte Jessica und als Jan
zustimmte, holten sie sie dazu und erklärten ihr, worum es ging, dann lasen sie
gemeinsam weiter.
22. 7. 1997
Gestern habe ich in der Klasse nach E-Mail-Teilnehmern gefragt und die meisten
staunten, dass ich einen Laptop habe. Nur Jan Heinemann hat auch einen, mit dem
er mailen kann. Nachmittags habe ich gleich mit ihm korrespondiert, das macht
Spaß. Heute hat er mich eingeladen, mit meinem Laptop zu ihm zu kommen, um
Erfahrungen auszutauschen, er weiß eine ganze Menge mehr als ich. Vor allem hat
er mich mit dem neuen und besonders sicheren Betriebssystem Windows NT vertraut
gemacht, das für kommerzielle Anwendungen konzipiert worden ist. Ich habe es
gleich runter geladen und installiert. Word war ja schon auf meinem Laptop und
Excel konnte ich von ihm kopieren. Jetzt will ich Vati überzeugen, sich für
das Geschäft einen neuen schnellen Computer mit diesem Betriebssystem
zuzulegen.
"Bist du dieser Jan?" fragte Jessica, "Gregor hat erzählt, dass
eure Freundschaft schon lange besteht." Jan bestätigte, dass ihre
Freundschaft da begonnen habe und sie seitdem immer in Kontakt geblieben seien.
14. 2. 1998
Die Eltern haben mich zur Tanzstunde angemeldet und gestern war der erste
Übungsabend. Erfreut stellte ich fest, dass Astrid Reimann auch dabei ist. Aber
als ich sie zum ersten Tanz auffordern wollte, bekam ich vor Aufregung feuchte
Hände und kaum ein Wort heraus, denn ich spürte eine natürliche Würde an
ihr, die mir in der Klasse nie aufgefallen ist. Mit ihren langen blonden Haaren
erschien sie mir so unnahbar wie eine Göttin. Doch ihre dunkelblauen Augen
blickten mich mit einer herzlichen Wärme an, da verflog meine Scheu. Sie ließ
sich gerne von mir in die Arme nehmen und ich roch einen wundervollen Duft, wie
nach frischen Blumen. Ich tanzte hauptsächlich mit ihr und hätte sie am
liebsten nicht mehr losgelassen, aber leider musste sie auch mit anderen Jungen
tanzen. Da sie in der Nähe wohnt, gingen wir zusammen nach Hause. Beim Abschied
konnte ich nicht anders, als meine Lippen auf ihren weichen Mund zu drücken.
Zärtlich strich sie mir mit der Hand über die Wange, bevor sie im Haus
verschwand. Ich war sagenhaft glücklich, zum ersten Mal in meinem Leben habe
ich ein Mädchen geküsst!
21. 2. 1998
In der zweiten Tanzstunde tanzte ich fast nur mit Astrid und genoss wieder ihren
Blumenduft, aber vor allem die wilden Drehungen mit ihr, die uns einen Tadel des
Tanzlehrers einbrachten. Nach den Übungen brachte ich sie natürlich wieder
nach Hause. Ich hätte sie gerne wieder geküsst, aber wollte sie das auch? Als
ich sie verlegen anschaute, drückte sie ihre Wange an meine, und ich fühlte
ihre weiche Haut. Das schien mir ein Zeichen, dass sie mich mag, und ich wagte
es, meinen Mund wieder auf ihre Lippen zu drücken. Da streichelte sie
plötzlich mit der Zunge meine Lippen. Überrascht öffnete ich sie und wie von
selber spielten unsere Zungen miteinander. Süß kam mir ihr Mund vor und ich
musste an das Hohelied denken: "Deine Lippen sind Honigseim; Honig und
Milch ist unter deiner Zunge." Ich war glücklich, diesem Mädchen so nahe
gekommen zu sein und wir genossen lange dies wundervolle Spiel.
7. 3. 1998
Nachdem
Astrid mich vorige Woche zu sich eingeladen hat, war es jetzt an mir, sie
einzuladen und meinen Eltern vorzustellen. Deshalb bat ich sie gestern bei den
Abschiedsküssen nach der Tanzstunde, mich heute Nachmittag zu besuchen und bat
meine Eltern um Kaffee und Kuchen für meine Freundin.
Als Astrid kam, wurde sie gleich zum Kaffee eingeladen, dann konnten wir uns
endlich in mein Zimmer verziehen. Wie vorige Woche lagen wir auf dem Bett und küssten
uns, doch in mir war eine Sehnsucht, ihre Brust anzuschauen, die ich vor einer
Woche unter der Bluse gefühlt hatte. Weil ich mich nicht traute, ihr das zu
sagen, führte ich nur behutsam eine Hand an den Ausschnitt der Bluse und
schaute dabei in ihr Gesicht. Lächelnd nickte sie und ich durfte ihr Bluse und
BH abstreifen, dann konnte ich die zierlichen Kugeln mit den roten Kreisflächen
und den Himbeerspitzen in der Mitte bewundern. Ich habe ja oft die Brust meiner
Mutter gesehen, aber Astrids ist schöner und ganz fest.
„Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen
weiden“, zitierte ich ergriffen das Hohelied Salomos, und ein Anflug von Röte
lief über das Gesicht meiner Liebsten, dann küsste sie mich lächelnd. Ich
streichele die Kugeln und staunte über ihre zarte Weichheit, dann setzte ich
auf jede Himbeere einen sanften Kuss. Das Ganze war ein unwahrscheinlich schönes
Erlebnis für mich und ich dankte meiner Liebsten, dass sie es mir gewährt
hatte.
„Ich möchte auch etwas mehr von dir sehen“, meinte Astrid darauf lächelnd,
legte die Hand auf den Reißverschluss meiner Jeans und schaute mich fragend an.
Als ich erfreut nickte, öffnete sie den Verschluss und zog die Jeans herunter.
Beim Slip zögerte sie einen Moment, bis sie ihn entschlossen über meine
aufgerichtete Männlichkeit hievte. „Das habe ich noch nie in Natur gesehen,
ich finde es schön“, flüsterte sie und umfasste „ihn“ vorsichtig mit der
Hand.
Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich die wundervolle Berührung einer
anderen Hand an meinem intimsten Organ. In der Hoffnung auf ihre Liebe bewegte
ich die Hand auf und ab und sie begriff schnell. Unsere Zungen tanzten wild
miteinander und während wir uns küssten, atmete ich immer heftiger, bis ich
mich stöhnend hin und her warf. Das war für sie wohl ganz unerwartet, sie küsste
mich leidenschaftlich und umarmte mich fest, dann flüsterte sie: „Jetzt liebe
ich dich noch mehr, wo ich dich so erlebt habe.“ Wir waren uns wieder ein
gutes Stück näher gekommen.
15. 3. 1998
Am nächsten Samstag war ich wieder bei Astrid. Nach dem obligaten Kaffee und
Kuchen lagen wir in ihrem Zimmer auf dem Bett und küssten uns, dann sagte sie
lachend: "Meine Mutter hat mir gute Ratschläge für den Umgang mit dir
gegeben: ‚Ihr müsst unbedingt ein Kondom benutzen, wenn ihr miteinander
schlaft', hat sie gesagt, worauf ich antwortete, daran dächten wir überhaupt
noch nicht, und sie entschuldigte sich. Da kannst du sehen, was die Erwachsenen
uns schon zutrauen." "Mein Vater hat vor deinem Besuch letzte Woche
ähnliche Bedenken geäußert, allerdings nicht so deutlich, und meine Mutter
hat ihn zurecht gewiesen, wir würden uns sicherlich damit noch viel Zeit
lassen. Sie ist eine kluge Frau und ich war ihr dankbar", erklärte ich.
Doch Astrid wurde ernst und sagte leise: "Ich habe dir neulich gesagt, dass
ich mir auch Lust verschaffen kann, und da du ehrlich warst, will mich dir auch
öffnen. Ich zeige dir, wie es geht und du mir dabei helfen kannst, lass' uns
dafür die Kleidung ablegen." Ganz unbefangen begann sie, sich auszuziehen,
es war aufregend für mich, nun auch ihr letztes Geheimnis schauen zu dürfen.
Zum ersten Mal konnte ich ihre makellose Schönheit vollkommen bewundern, ihren
schlanken Körper mit den herrlichen Brüsten und die zarten blonden Locken
zwischen den Schenkeln. Mir war, als sähe ich ein Opfer an, das sie unserer
Liebe brachte. Ich saß einfach auf dem Bett und staunte. "Du musst dich
auch ausziehen", mahnte Astrid lächelnd und ich erwachte aus meiner
Bewunderung. "Entschuldige bitte, du bist so wunderschön, dass ich es
völlig vergessen habe", antwortete ich und legte auch meine Sachen ab.
"Jetzt leg' dich bitte neben mich", bat die Geliebte und es war
herrlich, die zarte Haut ihres blühenden Körpers an meinem zu fühlen und
ihren Duft zu genießen. Dann griff sie meine Hand und führte sie zwischen ihre
Schenkel, wo ich zum ersten Mal in Natur fühlte, was mich nach der Abbildung im
Biologieunterricht zum Spiel mit mir selbst angeregt hatte. Doch Astrid führte
meine Finger weiter an eine Stelle, bei deren Berührung sie zusammenzuckte. Ich
streichelte diese Stelle und ihr leises Stöhnen war ganz neu und unbekannt für
mich, ich wusste ja noch nichts von den Geheimnissen der Frauen. Schließlich
konnte sie nicht mehr still liegen, sie bebte und stöhnte leise, bis sie sich
schließlich eng an mich drückte und heftig atmete, dann wühlte ihre Zunge
tief in meinen Mund.
Das war wohl ein Orgasmus und für mich so phänomenal, dass es mir von selbst
kam, denn meine Erregung war während der Aktion immer mehr angestiegen. Nachdem
Astrid mich letzte Woche liebevoll gestreichelt hatte, erlebte ich jetzt zum
ersten Mal ihren Höhepunkt nicht nur mit, sondern habe ihn sogar selbst
ausgelöst wie sie auch bei mir, und ich empfand ihn beeindruckend. Ich habe ja
nicht gewusst, dass Frauen auch einen Orgasmus haben, dies Gefühl hat uns die
Bio-Lehrerin verschwiegen. Eng umschlungen küssten wir uns, bis unsere Erregung
abgeklungen war. Dann legte ich den Kopf auf ihre Brust und hörte ihr Herz
schlagen. So etwas hatte ich noch nie gehört, und nun ihr Herz, von dem ich
weiß, dass sie mich darin bewahrt, das war überwältigend!
"Was Gregor hier erfahren hat, habe ich auch erst bei ihm gelernt, denn bei Marjanovi? bin ich nie zu einem Orgasmus gekommen, ich wusste gar nicht, dass ein Mann mich dazu bringen kann", schwärmte Jessica. "Manchmal haben Gregor und ich uns erst gegenseitig gestreichelt, um uns für die völlige Vereinigung genügend zu erregen. Die wurde dann für mich zu einem unwahrscheinlichen Genuss, weil es bei ihm länger dauerte. Solch vollendeten Liebhaber werde ich wohl in meinem Leben kaum wieder finden" "Entschuldige bitte, dass ich das Gleiche sage", fügte Nazemîn leise hinzu, "er hat mich ja überhaupt erst in die körperliche Liebe eingeführt und erst eben habe ich gelernt, dass ich mir auch selber diese Freude bereiten kann."
7. 6. 1998
In mir ist der Wunsch aufgekommen, in den Ferien mit Astrid zelten zu gehen,
damit ich mich nicht jeden Abend von ihr trennen muss. Ich würde sie so gerne
zur Nacht küssen und ihren Schlaf bewachen, bis wir uns morgens wieder finden.
Natürlich denke ich auch ein Stück weiter, aber das muss sie entscheiden. Ich
habe mich kundig gemacht, wo wir ein paar Wochen zelten können und kam auf
Gral-Müritz, wo es auf einem Campingplatz ein spezielles Jugendcamp für Zelte
direkt am Meer gibt. Nachdem wir uns bei mir wieder liebevoll gestreichelt
haben, schlug ich ihr meine Idee vor. "Ich muss mir darüber klar werden,
ob ich das schon will", sagte sie langsam, "lass' mir bitte etwas
Zeit." Da bleibt mir nichts anderes übrig, als auf ihre - hoffentlich
positive - Entscheidung zu warten.
"Da hat das kluge Mädchen genau gemerkt, worauf das gemeinsame Zelten hinaus laufen wird, als Frau verstehe ich sie gut, dass sie diese Entscheidung sorgfältig abwägen will", lachte Jessica, "sie war mit ihren sechzehn Jahren viel reifer als ich mit dreiundzwanzig."
21. 6. 1998
Letztes Wochenende hatte Astrid keine Zeit und bat mich, sie heute zu besuchen.
Nachdem sie mich innig geküsst hatte, sagte sie langsam und betonte jedes Wort:
"Du hast mir neulich vorgeschlagen, in den Ferien zusammen zu zelten. Da
werden wir auch die Nächte gemeinsam verbringen und wir wissen beide, was
daraus werden kann. Ich brauchte Zeit zum Überlegen, ob ich das schon will und
sage dir jetzt mit vollem Ernst: Ja, ich will mit dir zelten und freue mich
drauf." Ich war überwältigt von ihrem Ernst und konnte nur
"Danke" stammeln, als ich sie umarmte und herzlich küsste. Schnell
hatten wir uns ausgezogen, um uns Gutes zu tun. Doch zunächst küsste meine
Geliebte die Spitze meines Gliedes und sagte versonnen zu ihm: "Bald werde
ich dich noch inniger kennen lernen als bisher, aber ich gebe dir schon einen
Vorschuss", dann liebkoste sie es wundervoll zärtlich.
Nach dem Erfolg dachte ich: "Das kann ich auch", legte ich mich
zwischen ihre Beine und küsste sie, wobei ich erstaunt feststellte, dass die
weichen Schamlippen genauso blauviolett sind wie meine Eichel unter der Vorhaut.
Mit einem Mal kam mir die Idee, ich könnte sie doch auch mit der Zunge reizen,
was sie mit "ah" und "oh" genoss, bis sie am ganzen Körper
bebte und schließlich wieder heftig atmete. Als sie zur Ruhe gekommen war,
flüsterte sie: "Das hast du wunderschön gemacht." Noch lange
streichelten wir uns, wir hatten wieder etwas Neues entdeckt.
"Ja", unterbrach Jessica versonnen die Lesung, "ich weiß, wovon
er schreibt, auf diesem Gebiet war Gregor ein Meister." "Auch ich
kenne das sehr gut", fügte Nazemîn versonnen hinzu, dann lasen sie
weiter.
"Ich muss dir noch etwas berichten", sagte Astrid leise, "ich
habe meine Mutter um Erlaubnis gebeten, mit dir drei Wochen zelten zu gehen, da
hat sie mich eine Weile angesehen, dann sagte sie: ‚Du wirst zur Frau werden,
wenn du mit diesem Jungen zelten gehst. Aber weil du in diesen Ferien 16 wirst,
bist du alt genug dafür, du musst dich nur schützen. Ich mache dir einen
Termin beim Frauenarzt, er wird dich untersuchen, ob alles in Ordnung ist, und
dir die Pille verschrieben, die du dann regelmäßig nehmen musst. Ich wünsche
dir viel Freude bei dieser neuen Erfahrung, die jede Frau einmal machen muss.'
Ich bin meiner Mutter um den Hals gefallen und habe ihr herzlich gedankt. Du
siehst also: Ich bin bereit für unser großes Abenteuer."
Ich habe die Geliebte umarmt und zu ihr gesagt: "Ich will alles dafür tun,
dass dieses Abenteuer auch für dich schön wird." Nachdem ich ihr im
Internet das Camp in Gral-Müritz gezeigt habe und wir uns einig waren, gleich
am ersten Ferientag, dem 9 Juli für drei Wochen zu fahren, haben wir den Platz
telefonisch reserviert. Nächsten Samstag wollen wir das nötige Zeltzeug
kaufen. Als Astrid gegangen war, konnte ich mein Glück kaum fassen: Wir werden
drei Wochen zusammen sein und mein Traum wird wahr, mit ihr ganz zueinander zu
finden!
9. 7. 1998
Nachdem wir gestern problemlos unsere Versetzungszeugnisse in die elfte Klasse
bekamen und Astrid mich dankbar küsste, hat Vati uns heute mit dem Zeltzeug
nach Gral-Müritz kutschiert. Das Jugendcamp liegt direkt am Wasser und als wir
das Zelt aufgebaut und eingeräumt hatten, rief Astrid ihre Mutter über mein
Handy an, danach gingen wir schwimmen und im Restaurant Mittag essen.
Anschließend kauften wir in dem kleinen Supermarkt für das Frühstück und
Abendbrot ein, frische Brötchen gibt es dort jeden Morgen. Um uns zurecht zu
finden, erkundeten wir den ganzen Platz und waren froh, dass die Wohnwagen weit
entfernt von unserem Zelt stehen.
Nachdem wir noch einmal geschwommen waren, setzte ich mich mit dem Laptop vors
Zelt, um den Tag im Tagebuch zu vermerken. Natürlich wollte Astrid wissen, was
ich tat und ich zeigte ihr das Tagebuch, das sie gleich lesen wollte. Es war mir
nun doch peinlich, was ich alles über uns geschrieben habe, aber um keine
Geheimnisse vor ihr zu haben, gestattete ich es ihr. Nach einer Stunde war sie
durch und merkwürdig still. Hatte ich sie mit meinen intimen Notizen über uns
verschreckt? Zum Glück nein! Sie sah mich lange an, bevor sie leise sagte:
"Ich glaubte, dich zu kennen, aber erst jetzt weiß ich, was für ein
wertvoller Mensch du bist. Es ist einzigartig, wie du es verstehst, unsere
innersten Gefühle auszudrücken. Hab Dank, dass ich das lesen durfte, es darf
aber auf keinen Fall jemand anders sehen." Ich versicherte ihr, dass die
Datei versteckt und zusätzlich geschützt ist, da war sie zufrieden.
10. 7. 1989
Zum Abendbrot tranken wir gestern ein kleines Glas Rotwein, dann
krochen wir nach dem Waschen ins Zelt. Ich konnte meine Aufregung kaum
verbergen. Wir wussten beide, dass jetzt die letzte Schranke zwischen uns fallen
und wir zu einem einzigen Körper verschmelzen würden. Behutsam zogen wir uns
aus und streichelten uns liebevoll. "Liebste, wenn du es auch willst,
können wir uns ganz finden", flüsterte ich, "du weißt, ich werde
dir nie etwas gegen deinen Willen tun." Astrid tat einen kleinen Seufzer
und antwortete lächelnd: "Ich will es doch auch schon lange."
Zum ersten Mal spürte ich, wie ihre wunderbare Wärme mich umfing und blieb ich
eine Weile ruhig, doch meine Spannung stieg immer mehr an und bald konnte ich
mich nicht mehr zurück halten. Als Astrid meine Ekstase spürte, drückte sie
mich ganz fest an sich und küsste mich wie unersättlich.
Seit ihrer Zustimmung hatten wir kein Wort mehr gesprochen. Wenn zwei sich ganz
nahe sind in großer Liebe, bedarf es keiner Worte. Denn sie und ich fühlten
beide das Gleiche, weil wir nicht mehr zwei Wesen waren, sondern eines. Kein
Dichter hat das Wunder der körperlichen Gemeinschaft Liebender so wunderbar
beschrieben wie Jesus: "Und sie werden sein ein Fleisch". Glücklich
schliefen wir nach einer Weile miteinander ein, denn nun merkten wir, dass der
anstrengende Tag uns ermüdet hat.
Als ich heute früh aufwachte, war mir, als hätte ich einen wunderschönen
Traum gehabt. War diese Nacht wirklich wahr gewesen? Hatte Astrid mir das
Größte und Wertvollste geschenkt, das eine Frau nur einmal verschenken kann,
ihre Unberührtheit? Ich wusste, ich hatte um sie geworben, aber ohne ihre
Zustimmung, dies feine, nur wertvollen Frauen eigene Entgegenkommen wäre ich
nie so weit gegangen. Vorsichtig fragte ich sie. Doch statt einer Antwort
küsste sie mich zärtlich, dann sang sie leise:
"Guten Morgen, guten Morgen,
guten Morgen, Sonnenschein!
Diese Nacht blieb dir verborgen,
doch du musst nicht traurig sein!"
Unendlich groß ist ihre Liebe! Würde ich ihr jemals genug danken können für
die Größe ihres Herzens? Es war wunderschön gewesen, viel schöner, als ich
es mir jemals hatte vorstellen können. Ich war glücklich, dass sie es auch
gewollt hatte. Jetzt bin ich ein richtiger Mann und sie eine richtige Frau, wie
ihre Mutter gesagt hat. Ich wusste, dass ich diese großartige Nacht nie
vergessen werde.
"Ich staune immer wieder, wie zartfühlend Gregor diese Begegnungen beschreibt; bevor ich ihn traf, habe ich nie gedacht, dass ein Mann ebenso viel Gefühl dabei entwickelt wie wir Frauen", meinte Nazemîn versonnen, "damit hat er mich sofort gewonnen." "Ja, du hast Recht", fügte Jessica hinzu, "bei mir war es doch ebenso, deshalb hat er mich sofort bezaubert. Schauen wir, wie es weiter geht."
11. 7. 1998
Neben uns zeltet ein Pärchen aus Rostock, der Junge heißt Kolja und ist etwas
älter als ich, das Mädchen Alina so alt wie wir. Dass sie ebenso verliebt sind
wie wir, hatten wir in der Nacht schon geräuschvoll mitbekommen. Wir
verabredeten für den Abend ein kleines Lagerfeuer, wofür wir eine Genehmigung
der Verwaltung bekamen. Kolja hatte eine Gitarre dabei und leise, um die anderen
nicht zu stören, sangen wir alle möglichen Lieder. Ein paar andere junge Leute
kamen für eine Weile dazu und sangen mit, aber zuletzt waren wir wieder zu
viert und saßen noch lange bis nach Mitternacht am Feuer.
"Wer kommt mit ins Wasser?", fragte Kolja und wir waren alle dafür.
Ohne sich zu genieren, streifte er seine Sachen ab und lief in die Wellen, und
als Alina es ihm nachtat, folgten auch wir ihrem Beispiel. Bewundernd schaute
ich das Mädchen an, sie ist ebenso schön wie meine Astrid, nur ist ihre Brust
etwas größer und ihre Haare sind dunkel. Es war herrlich, im Mondschein nackt
zu schwimmen, ich freute mich, dass Astrid das ebenso genoss wie ich. Nach einer
Weile verließen wir das Wasser und die Rostocker umarmten und küssten sich
ungeniert am Strand. Doch dabei blieb es nicht, sie legten sich auf den Sand und
waren bald intensiv miteinander beschäftigt. Ich schaute fasziniert zu, das
hatte ich noch nie gesehen und es erregte mich natürlich, doch als ich Astrid
umarmen wollte, zog sie mich schnell ins Zelt. "Das gehört uns ganz
alleine" flüsterte sie und drückte sich an mich, wodurch wir sofort
zueinander fanden und bald einschliefen.
14. 7. 1998
Gestern feierten wir Astrids 16. Geburtstag und ich gratulierte ihr schon im
Zelt herzlich. Als Geschenk hatte ich einen hübschen Anhänger mitgenommen,
über den sie sich freute. Natürlich fanden wir vor dem Aufstehen erst mal
innig zusammen. Zum Mittag luden wir die Rostocker ins Camp-Restaurant ein, und
meine Geliebte bestellte zur Feier des Tages eine Flasche Sekt. Die gebratenen
Flundern, die uns die Wirtin offerierte, schmeckten vorzüglich, nachdem Kolja
uns gezeigt hatte, wie wir mit den Gräten fertig werden konnten.
Abends hatten wir wieder ein Feuer und badeten anschließend nackt. Als unsere
Freunde sich danach wieder am Strand liebten und ich erregt ins Zelt kriechen
wollte, sagte Astrid plötzlich "Komm!", und zog mich neben die
beiden. Ich staunte über sie, freute mich aber auf das Erlebnis. Die Reaktionen
der beiden hautnah mit zu bekommen, machte unsere Begegnung noch intensiver als
bisher. Als sie fertig waren, beobachteten sie uns interessiert und wiederholten
ihr Spiel nach kurzer Zeit, worauf es uns dann ebenso ging. Ich war Astrid
dankbar, dass sie uns dieses Erlebnis ermöglicht hatte. Als wir danach alle
erschöpft nebeneinander lagen, sagte Alina lachend: "Willkommen im Club,
die Liebe ist etwas so wundervolles, dass man sie nicht vor Freunden verbergen
sollte, gemeinsam ist es doch viel aufregender." Wir konnten ihr nur
zustimmen, denn wir hatten das Miteinander-Erleben schön gefunden.
"Ich wusste gar nicht, dass Gregor sich daran erfreuen kann, denn wir
hatten nie die Gelegenheit, es mit anderen zu tun, aber ich kann es mir gut
vorstellen, soviel Freude wie er immer am Sex hatte", lachte Jessica.
31. 7. 1998
Heute ist der letzte Tag im Camp. Es war einfach herrlich, das Schlafen neben
der Geliebten und unsere innigen Begegnungen im Zelt, das Schwimmen gleich
morgens im Meer, das tägliche Surfen mit den Rostocker Freunden, bei dem wir
immer sicherer wurden, das Mittagkochen auf dem kleinen Campingkocher, jeden
Abend das Singen am Feuer und das anschließende Nacktbaden, dazu in der letzten
Zeit die völlig neue Erfahrung der gemeinsamen Liebe am Strand. Astrids Fuß
ist recht schnell geheilt, so dass sie nach einer Woche frei laufen und
schwimmen konnte. Nur zu Surfen traute sie sich noch nicht, aber nicht, weil sie
Angst hatte, sondern um den Fuß zu schonen. Gestern Abend haben wir mit den
Rostocker Freunden zu einem Abschiedstrunk zusammen gesessen, bevor wir zum
letzten Mal nackend badeten und anschließend die Liebe am Strand genossen. Die
beiden wollen noch eine Woche hier bleiben.
In einer Stunde holt Vati uns ab, wir haben das Zelt abgebaut und alles
zusammengepackt. Ich überlege, ob ich Jan berichten soll, dass ich jetzt kein
Spätentwickler mehr bin, denn ich glaube nicht, dass er schon mit einem
Mädchen geschlafen hat. Doch dann wurde mir klar, dass diese innige Begegnung
Astrids und mein Geheimnis bleiben muss, das niemand anderen etwas angeht, auch
den Blutsbruder nicht. Soll Jan ruhig glauben, dass er weiter ist als ich.
"Gregor hat es mir zwar nicht direkt berichtet, aber ich wusste es
trotzdem", sagte Jan lachend. "Wenn ein Junge in diesem Alter drei
Wochen mit einem Mädchen zelten geht, liegt es doch auf der Hand, dass sie
zueinander finden. Wirklich war er mir dadurch ein Stück voraus, ich habe ihn
aber noch im selben Jahr eingeholt." "Gratuliere", lachte
Jessica, "bei uns beiden Frauen hat es erheblich länger gedauert.
In der ersten Zeit meines Wehrdienstes haben Astrid und ich uns ein paar Mal in
der Woche gemailt und uns versichert, wie sehr wir uns lieben und einander
vermissen, ich habe die Mails ins Tagebuch kopiert. Meine wenigen Urlaubstage
feierten wir ausgiebig mit allen Fasern unserer Körper. Auch der Geist kam
nicht zu kurz, wir besuchten Vorstellungen im Theater. Doch mit der Zeit wurden
die Mails seltener, denn meine Tauchausbildung ließ mir wenig Zeit und Astrid
war durch den Schichtdienst ausgefüllt, im letzten Monat lief überhaupt nichts
mehr. Vorgestern schrieb ich ihr eine herzliche Mail zum Geburtstag, in der ich
meine Freude sagte, ab Ende Juli Zeit für sie zu haben. Doch heute bekam ich
eine Antwort, die mich zu Boden schlug:
"Lieber Gregor, Dank für Deine Geburtstagsgrüße, die mir ein schlechtes
Gewissen verursachen. Denn was ich Dir jetzt mitteilen muss, hätte ich längst
schreiben sollen: Ich habe mich in einen anderen Mann verliebt. Seit April ist
ein junger Assistenzarzt bei uns, der mich von Anfang an ziemlich beeindruckt
hat. Er ist stets freundlich, unheimlich kompetent und immer um das Wohl der
Patienten besorgt, was lange nicht bei allen der Fall ist. Allmählich begann
er, sich um mich zu bemühen und ich habe nichts dagegen getan, denn er war mir
sympathisch. Gelegentlich haben wir uns schon heimlich geküsst. Gestern an
meinem Geburtstag sagte er mir, dass er mich sehr liebe, und ich antwortete, mir
gehe es schon lange ebenso, da fanden wir uns zu einer innigen Begegnung in
einem leeren Krankenzimmer.
Ich weiß, dass ich Dir mit dieser Mitteilung Schmerzen bereite, doch um der
Ehrlichkeit willen muss ich es Dir sagen. Wisse aber bitte noch eines: Die Zeit
mit Dir war wunderschön, ich möchte keinen Tag davon in meiner Erinnerung
missen. Doch die Welt dreht sich weiter. Ich hoffe, dass Du über meinen
Abschied hinweg kommst und wünsche Dir zum nahen Geburtstag viel Glück und
Freude im neuen Lebensjahr, und dass Du wieder eine würdige und liebevolle
Partnerin findest."
Das ist ein Hammer, aber ich hätte es merken müssen, dass unser Mailwechsel
immer flauer wurde. Auf der einen Seite bin ich traurig, doch ich freue mich
auch für sie. Ein weiser Mann hat mal geschrieben: "Wenn etwas Schönes
vorbei ist, klage nicht über das Ende, sondern erinnere dich dankbar, so viel
Schönes erlebt zu haben." Daran will ich mich halten, ich antwortete
Astrid mit Worten des Dankes für die schöne Zeit mit ihr und fügte aus vollem
Herzen die besten Wünsche für ihre neue Liebe an.
"Ich bewundere Gregor, wie liebevoll er auf die Trennung durch die Freundin
reagiert hat, die doch seine erste große Liebe war", meinte Jessica,
"aber er war immer ein sehr großzügiger Mensch." "Ja, das war
er auf jeden Fall", antwortete Nazemîn: "Aber ich würde jetzt gerne
erst mal wissen, was Gregor über die Zeit mit mir geschrieben hat, lasst uns
diese Zeit suchen." Bevor sie weiter lesen konnten kam Meike dazu und
verkündete, er habe Hunger. Überrascht schaute Jessica auf die Uhr und rief:
"Wir haben die Zeit völlig vergessen, es ist ja schon halb drei. Ich haue
schnell ein paar Eier in die Pfanne und danach lesen wir die Zeit mit dir, damit
du noch rechtzeitig nach Hamburg kommst."
Nach dem Essen gab Jessica "Hamburg" in die Suchleiste ein, worauf sie
zum Jahr 2016 kamen.
15. 2. 2016
Nachdem ich vor zwei Wochen den Auftrag zur Bildung der geheimen Arbeitsgruppe
für neue Technologien bekommen habe, beginne ich heute, mich hier in Hamburg zu
etablieren. Die Gruppe ist so geheim, dass nicht mal ihr Ort bekannt sein darf.
Offiziell arbeite ich in Erlangen und leider muss ich Jessica belügen.
Siemens hat mir von eine möblierte Dreizimmerwohnung in Eimsbüttel vermittelt,
deren Einrichtung ich in Grenzen mitbestimmen kann; leider muss ich auch das vor
Jessica geheim halten. Jetzt fange ich schon damit an, Lebensläufe und
Beurteilungen potenzieller Mitarbeiter durchzusehen, aus denen ich die Gruppe
zusammenbauen will. Einige gute Angebote habe ich schon, aber das genügt mir
noch nicht für ein schlagkräftiges Team.
Weil ich jetzt immer wieder tagelang von Jessi getrennt sein werde, hatte ich
das Bedürfnis, ihr meine Liebe zu versichern, denn ich bin nicht sicher, ob ich
ihr stets treu bleiben kann. Eines Abends, nachdem wir uns innig geliebt haben,
sagte ich sehr ernst zu ihr: "Ich werde niemals einen anderen Menschen so
sehr lieben wie dich und dich niemals verlassen." Als sie fragte, wie ich
plötzlich zu dieser Aussage komme, überlegte ich einen Moment, dann erklärte
ich ihr das Bedürfnis der Männer nach vielen Kontakten gegen den nötigen
Willen zur Treue. "Ich hoffe, solchen Versuchungen widerstehen zu können,
wenn ich wochenlang nicht bei dir bin, aber wenn es mir mal nicht gelingen
sollte, werde ich dich trotzdem stets mehr lieben als eine kurze
Versuchung", versprach ich ihr, worauf sie mich herzlich küsste.
"Jetzt bin ich richtig glücklich zu wissen, warum Gregor mir seinen
Aufenthalt in Hamburg verschwiegen hat, Siemens hat ihn dazu verdonnert. Und an
diese Liebeserklärung kann ich mich noch gut erinnern", freute Jessica
sich, "aber wir wollen dich ja suchen", fuhr sie fort und gab
"Nazemîn" in die Suchleiste ein.
11. 4. 2016
Gestern kam mir eine interessante Personalakte auf den Tisch: Eine Frau
Nazemîn Schawais ist seit knapp zwei Jahren bei der Firma und ihre Mitarbeit an
Entwicklungsaufgaben wird hervorragend beurteilt. Heute habe ich sie zu einem
Vorstellungsgespräch geladen und war überrascht, als sie vor mir saß. Sie ist
27 Jahre alt und außergewöhnlich schön mit langen, tiefschwarzen Haaren und
Augen wie Kohlenstücken, schlank und etwas kleiner als die deutschen Frauen,
aber in einem weinroten Kostüm perfekt gekleidet. Um den Hals trug sie eine
wertvolle orientalische Kette. Ich fragte sie nach ihrer Herkunft und sie
berichtete, ihre Eltern seien Kurden, 1988 aus dem Irak geflohen, aber sie sei
in Deutschland geboren und voll als Deutsche aufgewachsen.
Da ich die Gruppe aber nicht nach Schönheit, sondern nach Können aufbauen
will, fragte ich sie intensiv aus und stellte fest, dass die Beurteilungen voll
ins Schwarze treffen. Diesen Wissensumfang und die Klarheit des Denkens habe ich
einer so jungen Frau nie zugetraut. Ich bin froh, sie gefunden zu haben, sie
wird die Gruppe bereichern. Da sie bat, eine laufende Tätigkeit in ihrem
Bereich erst noch beenden zu dürfen, wird sie erst Anfang Juni bei uns
anfangen.
"Donnerwetter!", rief Nazemîn, "ich habe ja überhaupt nicht
gewusst, was für einen Eindruck ich da auf Gregor gemacht habe, jetzt wird mir
einiges klar. Aber lasst uns im Juni weiter lesen, wenn ich ihm in Hamburg
wieder begegne und wir zueinander finden."
17. 6. 2016
Um die Einzelheiten ihrer Tätigkeit zu besprechen, lud ich Frau Schawais
chabends wieder zum Essen in die SternChance und anschließend in meine Wohnung
ein. Als wir vor den Unterlagen auf der Couch im Arbeitszimmer saßen, fragte
sie, ob ich wieder so ein herrliches Getränk hätte wie am Montag, und ich
holte schnell den Cognac. Wir stießen miteinander an, dabei schaute sie mir mit
ihren schwarzen Augen ins Gesicht und dann auf den Mund. Kennt sie die
geheimnisvolle Symbolik der Frauen?
Ich ließ mich jedenfalls nicht lange bitten, drückte meine Lippen auf ihre und
streichelte sie mit der Zunge. Spontan öffnete sie die Lippen und unsere Zungen
fanden sich, als ob sie nie etwas anderes getan hatten. Erst nach einer langen
Weile ließ sie schwer atmend von mir ab. "Ich habe nie gewusst, dass man
so herrlich küssen kann", flüsterte sie ergriffen, und auch mich hatten
die innigen Küsse mit dieser aufregenden Frau begeistert. Da sie aber
anscheinend völlig unerfahren war, wollte ich sie nicht verschrecken und strich
ihr nur über die Haare. "Auch ich habe deine Küsse sehr genossen, du bist
eine wundervolle Frau und sicherlich zu großer Liebe fähig", sagte ich
leise, "wir sollten die Küsse oft wiederholen, aber in der Gruppe braucht
niemand etwas davon zu wissen, dort bleiben wir beim ‚Sie'".
Lange konnte ich nicht einschlafen, weil diese Frau in meinen Gedanken war.
Über das Wochenende will sie nach München und ich nach Berlin heimkehren, aber
am Montag können wir uns vielleicht wieder etwas näher kommen, mir ist klar,
dass ich sehr behutsam vorgehen muss. In Berlin wartet Jessica auf mich, der ich
den Aufenthalt in Hamburg verschweigen muss. Wahrscheinlich werde ich sie mit
Nazemîn betrügen, muss ich dabei ein schlechtes Gewissen haben? Nein, ich
werde sie immer viel mehr lieben, als andere Frauen, das habe ich ihr vor Beginn
der Reisen gesagt und es ist mir ein heiliges Versprechen.
22. 6. 2016
Gestern trug Nazemîn kein Kleid, sondern eine weiße Bluse mit hellblauem
Blättermuster und einen dunkelblauen knielangen Rock. Nach der Gruppensitzung
fragte sie, ob wir abends bei mir noch etwas zu arbeiten hätten und ich stimmte
gerne zu. Bis zum Abendessen bereiteten wir ein paar Kleinigkeiten für die
nächste Sitzung vor. Als wir danach wieder nebeneinander auf der Couch saßen,
umarmte und küsste sie mich leidenschaftlich, dann flüsterte sie:
"Entschuldige bitte meine Zurückhaltung gestern, es ist alles so neu und
ungewohnt für mich, ich hatte ja noch nie eine Liebesbeziehung. Aber dir
vertraue ich, dass du behutsam und liebevoll mit mir umgehst. Ich überlasse
mich ganz dir."
Ich führte sie ins Schlafzimmer und zog ihr vorsichtig die Bluse und den BH
aus, jetzt konnte ich ihre herrlichen Brüste vollkommen bewundern und die
Spitzen küssen. Der Rock war einfach auszuziehen, aber die Strumpfhose
bereitete mir Schwierigkeiten, so dass sie mir schließlich half. Als ich ihr
dann den Slip herunter ziehen wollte, hielt sie meine Hände fest. Da wurde mir
klar, dass ich noch voll bekleidet war und ich zog mich auch aus, legte mich
neben sie und streichelte sie am ganzen Körper, was sie mit immer heftigerem
Atmen zu genießen schien. Nun durfte ich ihr den Slip ausziehen, zog mir ein
Kondom auf und bewegte mich sehr vorsichtig, bis sie immer lauter stöhnte,
schließlich leise aufschrie und mich unersättlich küsste. Aneinander
geschmiegt lagen wir lange und streichelten uns, wir hatten unsere Liebe
gefunden.
"Gregor hat unsere erste Begegnung wundervoll zart beschrieben", schwärmte Nazemîn, "mich durchrieselt jetzt noch ein wohltuender Schauer, wenn ich daran zurückdenke. Ich habe mir dann sofort die Pille verschreiben lassen und ohne den Gummi war es noch viel schöner.
31. 7. 2017
Heute hat Nazemîn mich sehr überrascht, ich hätte ihr wohl von Anfang an klar
machen müssen, dass ich mich niemals von meiner Familie trennen würde. Gestern
Abend kam sie gleich vom Flughafen zu mir und wir hatten eine herrlich Nacht.
Doch heute beim Frühstück fragte sie plötzlich: "Kannst du dich nicht
von deiner Frau trennen und mich heiraten? Es wird mir immer schwerer, unsere
Beziehung vor den Eltern zu verheimlichen, und der Wunsch nach einer festeren
Bindung wird immer stärker in mir. Da du, obwohl du verheiratet bist, hier
schon ein Jahr lang eine Liebesbeziehung mit mir hast, dürfte deine Ehe wohl
nur noch auf dem Papier bestehen und sich leicht trennen lassen. Ich kann mir
eine fantastische Ehegemeinschaft mit dir vorstellen." Ich war schockiert,
nie hatte ich unsere Beziehung anders als eine reine Romanze gesehen, an der wir
beide Freude haben und uns Erfüllung geben. Statt einer Antwort sagte ich nur:
"Komm, es ist Zeit, zur Arbeit zu fahren", und wir verließen die
Wohnung. Bis Ende der Woche muss ich ihr ganz klar sagen, dass ich nur Jessica
über alles liebe, und wie ich über unser Verhältnis denke. Bis dahin nehme
ich sie auf keinen Fall mit in die Wohnung.
4. 8. 2017
Wie immer brachte ich Nazemîn von der Arbeit zum Flughafen und weil wir bis zum
Abflug noch etwas Zeit hatten, bat sie mich ins Café. Als ich noch überlegte,
was ich ihr zu ihrem Vorschlag vom Montag sagen sollte, sprach sie selbst das
Thema an: "Du hast am Montag meine Bitte nicht beantwortet, mit mir eine
dauerhafte Verbindung einzugehen, für mich ist es aber lebenswichtig zu wissen,
wie du darüber denkst. Du hast mich in die Liebe eingeführt und ich liebe dich
so grenzenlos, dass ich mein ganzes Leben mit dir zusammen sein will. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass das alles für dich nur ein Spiel war. Bitte, gib mir
doch eine Antwort, die mir zeigt, dass du mich auch liebst."
Jetzt musste ich Farbe bekennen und wusste, dass ich ihr damit sehr wehtun
würde. Langsam antwortete ich: "Leider hast du in unserer Verbindung mehr
gesehen, als ich. Sicherlich hätte ich dir von Anfang an sagen müssen, dass
ich nur meine Frau und meine Tochter über alles liebe und mich nie von ihnen
trennen werde. Es war meine Schuld, in dir falsche Hoffnungen geweckt zu haben,
ich hätte bedenken müssen, dass du in der Liebe vollkommen unerfahren warst.
Sicherlich habe ich auch die Liebe mit dir genossen, es durfte aber keine
Verpflichtung daraus werden. Aus deiner Frage am Montag habe ich zum ersten Mal
gesehen, dass dir das nicht genügt, deshalb müssen wir uns jetzt
trennen."
Tränen stürzten Nazemîn aus den Augen, dann flüsterte sie mit erstickter
Stimme: "Du hast mich tief erniedrigt, denn anscheinend hast du mich nie
geliebt, sondern immer nur als Sexobjekt gesehen und nie an eine ernsthafte
Verbindung gedacht, ich komme mir vor wie eine Hure." Traurig und meiner
Schuld bewusst antwortete ich: "Du darfst nicht vergessen, dass ich
überhaupt erst eine selbstständige Frau aus dir gemacht habe, denn bevor du
mich trafst, warst du ein verklemmtes kleines Mädchen unter der Fuchtel deines
Vaters. Bitte bedenke das und vergib mir meine Schuld." Sie sah mich starr
an und wischte die Tränen aus dem Gesicht, dann stand sie wortlos auf, ging mit
dem Koffer zum Check in und verschwand in der Sicherheitsschleuse, ohne sich
noch einmal umzusehen.
Habe ich ihr falsche Hoffnungen bereitet? Aber wo sie jetzt Forderungen stellt,
ist es an der Zeit, klare Verhältnisse zu schaffen. Schade, denn ich habe die
Liebe mit ihr sehr genossen, aber dabei hätte es bleiben müssen. Sie war nicht
nur eine fantastische Geliebte, sondern auch eine wertvolle Gefährtin in dieser
Zeit. Ich muss nur verhindern, dass unsere Arbeit unter der Trennung leidet.
Morgen früh fahre ich nach Hause und freue mich schon mächtig, mit Jessi
zusammen zu sein. Sie ist mir doch die Liebste und ich weiß, dass ich sie immer
am meisten geliebt habe. Nur Astrid habe ich ebenso innig geliebt, aber sie war
damals meine erste Liebe und dies völlig neue Gefühl hat mich überfallen wie
ein Orkan. Wenn sie sich nicht von mir getrennt hätte, wären wir sicherlich
noch heute zusammen.
"Immerhin hat es ihm auch leidgetan, sich von mir zu trennen, das macht mir
den Abschied erträglicher", sagte Nazemîn leise, dann fuhr sie fort:
"Jessica, herzlichen Dank, dass ich das lesen durfte, aber ich würde gerne
alles über meine Zeit mit Gregor lesen. Kannst du mir dieses Jahr auf meinen
Stick kopieren?" "Gerne", antwortete Jessica, kopierte das letzte
Jahr in eine neue Datei und diese auf den Stick. "Du bist wirklich ganz
lieb, danke", meinte Nazemîn, "aber allmählich wird es Zeit für
mich, nach Hamburg zu fahren, rufst du mir bitte eine Taxe?" "Ich will
auch weg und kann dich zur Bahn fahren", bot Jan an und Nazemîn
verabschiedete sich. "Was für eine Frau!", murmelte Jan beim
Abschieds-Wangenkuss bei Jessica, "kein Wunder, dass Gregor sich in sie
verliebt hat."
"‚Ich liebe nur meine Frau und meine Tochter über alles und werde mich nie
von ihnen trennen', hat Gregor der Frau ganz klar gesagt", dachte Jessica
erleichtert, als die beiden gegangen waren, "es war also richtig, dass ich
mir stets seiner Liebe sicher war. Trotzdem war es schäbig von ihm, mit
Nazemîn ein Jahr lang intim zu werden, ohne sie zu lieben und sie nur als Weib
anzusehen. So liebevoll und zärtlich wie er immer auf mich eingegangen ist,
kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen und ich bin mir nicht sicher, ob er
sie nicht auch ein bisschen geliebt und die Trennung nur provoziert hat, um mich
nicht zu verlieren." Nach dem Abendbrot ging Meike ins Bett und weil
Jessica noch lesen wollte, wie es Gregor in Berlin gegangen war, gab sie diesen
Begriff ein:
7. 9. 2008
Gestern habe ich die Frau für mein Leben gefunden! An einem Tisch
saß eine junge Frau alleine, die mich faszinierte. Sie schien etwas jünger zu
sein als ich und sah blendend aus, dabei strahlte sie etwas aus, das ich vor
zehn Jahren bei Astrid gefühlt hatte, aber lange nicht so intensiv wie jetzt
bei dieser Frau: Es war eine Mischung aus weiblicher Herzlichkeit, neugieriger
Sehnsucht, aber auch jugendlicher Unschuld. Ich fragte, ob ich mich zu ihr
setzen dürfe und sie antwortete: "Ja, gerne, aber sehen Sie sich vor, mein
Begleiter hockt dort an der Bar." Ich blickte hinüber und sah einen
unordentlich gekleideten Mann. "Er lässt Sie alleine hier sitzen und
säuft sich dort einen an?", fragte ich erstaunt, worauf sie flüsterte:
"Ja, das ist seine Art, er hält nichts von Geselligkeit." "Ich
glaube, Sie haben Besseres verdient", sagte ich entschieden und forderte
sie zum Tanz auf. Sie tanzte wundervoll leicht, als hielte ich eine Feder im Arm
und sie wusste genau, wohin die nächste Drehung gehen sollte. Schon lange hatte
ich nicht so herrlich getanzt.
Nachdem wir mindestens 15 Minuten getanzt hatten, wurde meine Zuneigung zu
dieser außergewöhnlichen Frau immer stärker und ich schlug ihr vor zu gehen.
"Wir müssen vorsichtig sein, dass er es nicht merkt", flüsterte sie,
doch der Mann war so in sein Schnapsglas vertieft, dass er uns nicht bemerkte.
Ich hatte das Gefühl, mich erst mal in Ruhe mit dieser interessanten Frau
unterhalten zu müssen und lud sie in ein kleines Café in der Nähe ein. Dort
nannte ich meinen Namen und erzählte ihr ein bisschen von meiner Herkunft und
meinem Job bei Siemens, worauf sie stolz berichtete, sie habe nach dem Studium
seit zwei Monaten eine Stelle in einer Werbeagentur, wo sie sich in Werbemittel
und digitale Medien einarbeiten muss, ihr Name ist Jessica Parker. Das klang
auch interessant und ich fragte sie nach ihrem Begleiter, worauf sie traurig
antwortete: "Diese Verbindung ist der größte Fehler meines Lebens, aber
er war der erste Mann, den ich näher kennen lernte und begeisterte mich zuerst,
wie er mich in die Liebe einführte. Doch seine Zuwendung war schnell vorbei.
Sie haben ja sein Interesse an mir gesehen und ich habe schon lange vor, mich
von ihm zu trennen. Die Begegnung mit Ihnen ist eine gute Gelegenheit
dafür."
Das klang verheißungsvoll, ich hatte eine tiefe Sehnsucht, diese Frau zu
küssen und sie ließ es sich nicht nur gerne gefallen, sondern küsste intensiv
zurück, ich schmeckte wieder den Honigseim. Damit war der Bann gebrochen, und
ohne weiter an Alina zu denken, lud ich sie ein, mit mir in meine nahe Wohnung
zu kommen. Wir konnten gar nicht schnell genug die Sachen vom Leib kriegen, da
waren wir schon zusammen. Erstaunt realisierte ich, was für eine zärtliche und
auf meine Erfüllung bedachte Partnerin ich gewonnen hatte und nahm gerne ihr
Angebot an, zusammen zu bleiben. Ich hoffe, dass Alina das nicht zu schwer
nimmt. Jessica meinte, wie ich ja in der Disco sehen konnte, habe ihr Partner
eh' kein Interesse mehr an ihr. Da ich genug Platz in der Wohnung habe, kann sie
schon morgen bei mir einziehen und ich freue mich bannig, sie gewonnen zu haben.
Ich bin sicher, sie wird mir eine fantastische Lebensgefährtin sein, die ich
möglichst bald heiraten will, denn ich weiß, dass ich sie über alles liebe.
"Donnerwetter", dachte Jessica, "ich habe gar nicht gewusst,
welchen Eindruck ich auf Gregor gemacht habe. Weibliche Herzlichkeit, neugierige
Sehnsucht, und jugendliche Unschuld hat er in meinem Gesicht gesehen, unschuldig
war ich ja nach dem Jahr mit Nikolaj nun wirklich nicht mehr, aber mir die
körperliche Erfüllung zu schenken, ist erst ihm gelungen. Erst er hat mir
liebevoll und zärtlich gezeigt, wie schön und erfüllend die Liebe sein kann.
Zum ersten Mal im Leben habe ich einen wahnsinnigen Höhepunkt erlebt, ich hatte
das Gefühl, in den Weltraum zu fliegen. Nie habe ich geahnt, dass es so etwas
geben kann. Und danach liebkosten wir uns noch lange, das kannte ich überhaupt
nicht. Deshalb beschloss ich, bei ihm zu bleiben, denn auch ich liebte ihn
sofort innig."
6.4.2009
Wir warteten schon im Trauungssaal, als Jessis Eltern mit ihr kamen und der
Vater sie neben mich setzte. Sie trug ein zauberhaftes Brautleid, ein knappes
Oberteil mit einem langen, schlanken Rock, alles mit weißer Spitze abgesetzt.
Auf einen Schleier hatte sie bewusst verzichtet: "Da denken die Leute ja,
dass ich noch Jungfrau bin!" Für den Brautstrauß hatte ich weiße Rosen
mit einem ganz leichten Gelbschimmer und ein paar rosa Rosen dazwischen
gewählt. Die Standesbeamtin war sehr nett, erklärte alles genau und hielt eine
akzeptable Rede. Sie bedauerte, dass wir hier keine Ringe tauschen wollten, und
als wir uns küssen durften, küsste ich Jessi so herzhaft, dass die Beamtin
sagte: "Aber Herr Sommer!", und alle lachten.
Dann fuhren wir alle zur Johanneskirche. Als wir eintraten, wurde Mendelssohns
Hochzeitsmarsch gespielt, dann begrüßte der Pastor uns mit einem Bibelwort.
Den Trauspruch hatte Jessica aus dem Hohelied Salomos ausgewählt, mit dem ich
sie vertraut gemacht habe: "Denn Liebe ist stark wie der Tod und ihr Eifer
ist fest wie die Hölle. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben
wollte, so gölte es alles nichts." Doch ich hatte noch um einen weiteren
Text gebeten, das schöne Wort aus Saint Exupérys Kleinem Prinz: "Man
sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen
unsichtbar." In der Predigt verband der Pastor diese beiden Worte sehr
schön, indem er das Herz als Zentrum der Liebe definierte. "Erst wenn sich
Herz zu Herzen findet, entsteht eine tiefe Liebe, die stärker ist als der
Tod", sagte er, als er die Ringe segnete, die wir uns dann gegenseitig
aufsteckten. Diesmal küsste ich meine frisch angetraute Frau sehr zivilisiert.
In der Fischerhütte war der Tisch festlich gedeckt und nach dem vorzüglichen
Menü fuhren wir mit den Eltern und Jan in die Wohnung zum Kaffee trinken. Als
Jessicas Torte verzehrt war, klönten wir noch etwas, bis die Gäste sich
verabschiedeten und wir uns zum ersten Mal als Eheleute unsere ganze Liebe geben
konnten. Morgen fahren wir für drei Tage nach Venedig.
6. 4. 2010
Spät abends klagte Jessi über Schmerzen. Ich beobachtete sie: die Schmerzen
traten kurzzyklisch auf, das waren Wehen! Obwohl es noch zwei Wochen zu früh
ist, trieb ich sie fast mit Gewalt aus dem Bett und fuhr sie zum
Hubertus-Krankenhaus, wo sie angemeldet war Noch während der Fahrt platzte die
Fruchtblase, zum Glück hatte sie ein Handtuch eingesteckt. Sie wurde sofort in
den Kreißsaal gebracht und ich durfte sie begleiten. Man wies mir einen Platz
neben dem Bett an, ich konnte nichts tun, als ihren Kopf streicheln, während
sie immer wieder vor Schmerzen aufschrie. Zwanzig Minuten nach unserer Ankunft
sah ich ein Köpfchen zwischen ihren Beinen erscheinen, dann erblickte unsere
Tochter vollständig das Licht der Welt und wurde ihr nach dem Abnabeln und einer
kurzen Reinigung in den Arm gelegt. Das Wunder dieses Kindes bewegte mich
zutiefst, wie aus zwei winzigen Zellen ein so wunderbarer, vollkommener Mensch
geworden ist. Ich werde immer für sie da sein, schwor ich mir, und mich
gemeinsam mit der Mutter bemühen, ihre Entwicklung zu einer erwachsenen
Persönlichkeit begleiten. Ganz kurz durfte ich meine Jessi küssen und ihr für
dieses wundervolle Geschenk danken, dann musste ich gehen.
Zu Hause dankte ich Gott von Herzen für unser Kind und seine wundervolle
Mutter. Als sie das Baby im Arm hatte, bemerkte ich eine erstaunliche
Veränderung an ihr, sie war viel reifer geworden als noch auf dem Weg zur
Klinik. Aus ihr strahlte eine Mütterlichkeit, die ich noch nie an ihr
beobachtet hatte, die mich aber an meine Mutter erinnerte. Es ist wohl so, dass
die Natur in Frauen, die ein Kind geboren haben, diese Instinkte hervorruft, die
ihr ganzes Wesen auf das neu geborene Kind ausrichten. Ich bin froh über diese
Entdeckung und weiß, dass Jessi unserer Tochter eine wunderbare Mutter sein wird.
"Die Entbindung war so schlimm, dass ich glaubte, sterben zu müssen, da
war es beruhigend, dass Gregor meine Hand hielt und mir immer wieder den Kopf
streichelte, bis mir klar war, dass ich am Leben geblieben bin und das Baby in
den Arm nehmen durfte", dachte Jessica wehmütig zurück. "Was er
über meine frisch erwachte Mütterlichkeit schreibt, kam mir selbst erst nach
einer Weile zum Bewusstsein, er hat es in seiner unendlichen Liebe sofort
bemerkt. Und er war ein wundervoller Vater. Als ich aus der Klinik kam, war die
Wohnung festlich geschmückt und er hat mir viel Arbeit abgenommen, das Kind
gewaschen und gewindelt und mich getröstet, wenn es in der ersten Zeit auch
nachts trinken wollte. Für mich war ja alles neu, doch langsam gewöhnte ich
mich mit seiner Hilfe an die richtigen Handgriffe.
Wir waren beide sehr bemüht, alles richtig zu machen. So hockten wir uns mit
einem Buch neben die Windel unserer Tochter und verglichen, ob ihr Stuhlgang die
richtige Farbe hat. Es war eigenartig für Gregor, dass meine Brust, die er so
gerne küsste, mit einem Mal Milch gab. Er trank gerne davon, bis ich lachend
sagte: ‚Willst du deine Tochter verhungern lassen?' Und er war äußerst
rücksichtsvoll mit meinem Körper, was ich ihm mit zärtlichem Streicheln
dankte, es erregte mich immer wieder, dabei seine Zuckungen zu fühlen. Zwei
Monate nach der Entbindung fühlte ich mich fit genug, ihm wieder meine ganze
Liebe zu schenken und es war herrlich für uns beide, uns wieder zu finden. Für
Meike war er stets ein liebevoller Vater, der stets die Persönlichkeit der
Tochter achtete, auch wenn er ihn manchmal überzeugen musste, dass dessen
Meinung nicht die beste war. Auch für Meike hoffe und bete ich, noch
einmal solche einen tollen Mann zu finden." Mit diesen Gedanken ging sie
beruhigt ins Bett und fand noch etwas Schlaf.
Am Morgen fand
Ina Hofmeister im Berliner BKA-Büro eine lange Liste mit entschlüsselten
Mail-Partnern von Dogan Milas Schawais in ganz Deutschland, und auch die
Telefonkontakte seines zweiten Smartphones waren aufgelistet. Der Verdächtige
war nach Berlin überstellt worden und wartete auf seine Vernehmung, doch die
Beamten wollten sich erst einen Überblick über sein wahrscheinlich kriminelles
Umfeld verschaffen. Sie fanden bald heraus, dass viele Namen zu Mitgliedern der
verbotenen PKK gehörten. Was sie trotz intensiver Suche nicht fanden, war eine
Verbindung zum Mord an Gregor Sommer. Um vielleicht direkt von ihm etwas
darüber zu erfahren, ließen sie ihn zum Verhör bringen.
"Sie haben heraus bekommen, dass Ihre Tochter mit einem deutschen
Siemens-Ingenieur in wilder Ehe lebte", begann die Oberkommissarin das
Verhör. "Das hat Sie in Ihrem Wunsch gestört, sie mit einem kurdischen
Mann zu verheiraten, was Ihnen sicherlich geschäftliche Vorteile gebracht
hätte. Haben Sie den Deutschen deshalb umbringen lassen oder ist er Ihren
Verbindungen zur PKK auf die Schliche gekommen? Das sind zwei gute Gründe für
den Mord, den wir ihnen wahrscheinlich nachweisen werden. Aber zunächst wollen
wir mit Ihnen über Ihre vielfältigen Kontakte zur verbotenen PKK
sprechen."
Die Hamburger Kollegen und wir sind weiterhin auf der Suche nach dem Mörder des
Liebhabers Ihrer Tochter. Nach den Berichten Ihrer Tochter über Ihre
restriktiven Erziehungsmethoden in Bezug auf Kontakte mit Männern stehen Sie in
erheblichem Verdacht, für Herrn Sommers Tod verantwortlich zu sein, zumindest
als Auftraggeber. Aus den bei Ihnen gefundenen Fotografien Ihrer Tochter in
enger Umarmung mit ihm konnten wir sehen, dass Sie über das Verhältnis der
beiden Bescheid wussten und dadurch Ihre kurdischen Heiratspläne wertlos
wurden. Das genügte Ihnen, um ihn umbringen zu lassen."
"Natürlich, ich musste doch wissen, wie es Nazemîn geht und habe sie
ständig beobachten lassen", antwortete der Verdächtige erregt. "Ich
war maßlos verärgert, dass sie sich mit diesem Kerl eingelassen hat. Aber mit
seinem Tod habe ich nichts zu tun. Ich war ja glücklich, als mein Beobachter
mich informierte, dass der Deutsche sich von meiner Tochter trennen wollte, und
ich hoffte, die Enttäuschung über diese Zurückweisung würde sie allmählich
zur Vernunft bringen. Sein Tod ist viel schlimmer für meine Absichten, denn ich
fürchte, sie wird noch lange um ihn trauern und sich nicht für einen anderen
Mann interessieren.
Nazemîn rief Jessica aufgeregt aus Hamburg an: "Ich lese gerade Gregors
letzte Tagebuchnotizen und da ist mir etwas Seltsames aufgefallen. nimm dir doch
mal den 3. August vor." Erstaunt las Jessica den Eintrag dieses Tages:
3. 8. 2017
Heute habe ich etwas Seltsames mitbekommen. Um einen klaren Kopf zu bekommen,
wie ich spätestens morgen das Problem mit Nazemîn lösen kann, ohne ihr zu
sehr weh zu tun, ging ich in die kleine Grünanlage hinter dem Haus. Da hörte
ich aus dem offenen Fenster der Hochparterrewohnung über dem Ausgang einen
lauten Wortwechsel. "Du hast mir nicht gebracht, was ich bestellt habe, du
bist ein Versager", schimpfte ein anscheinend älterer Mann. Ein jüngerer
antwortete in gebrochenem Deutsch: "Ich habe genau getan, was du
geschrieben hast: 10 Kilo Ware in kleinen Päckchen am Körper versteckt aus
Diyarbak?r nach Deutschland bringen. Wenn mir deine Lieferanten statt weißem
Heroin braunes mitgegeben haben, ist das nicht meine Schuld, die Ware war doch
schon in den Päckchen. Das Problem musst du mit denen ausmachen. Ich habe mich
dafür 4.000 Kilometer durch die Türkei und den Balkan geschlagen und hier als
Flüchtling registrieren lassen, damit ich mich frei bewegen kann. Jetzt will
ich auf jeden Fall meinen Botenlohn haben und das Geld, mit dem ich die
Schlepper bezahlt habe."
"Gar nichts kriegst du!", schrie der Ältere, worauf der Jüngere
ebenso laut zurückgab: "Dann nehme ich die Ware wieder mit!" Offenbar
gab es dann eine Schlägerei, denn der Ältere schrie plötzlich laut auf. Ich
versuchte noch, das Ganze einzuordnen, als ein schwarzhaariger Mann mit
mongolischem Gesicht aus dem Fenster blickte und mich wütend ansah, dann schlug
er das Fenster zu. Wenn der mich gesehen hat, muss er ahnen, dass ich den Streit
mitbekommen habe, vielleicht hat er seinen Auftraggeber umgebracht und ich bin
in Gefahr.
‚Soll ich jetzt die Polizei benachrichtigen und mich mit dem Drogenmilieu
anlegen?', dachte ich, ‚dazu habe ich keine Lust, denn das kann gefährlich
werden.' Auf jeden Fall verbarg ich mich so gut es ging und verließ die Anlage
auf einem Umweg, um durch den Haupteingang wieder ins Haus zu kommen. Jetzt habe
ich auch noch diese Sache am Hals, denn Nazemîn muss ich morgen ganz klar
sagen, dass unsere Beziehung am Ende ist, weil ich ihre Forderungen nicht
erfüllen kann. Es wird Zeit, dass ich mich am Wochenende zu Hause ausruhen und
klare Gedanken fassen kann. Ich habe Sehnsucht nach Jessica, mit der ist das
Leben so schön einfach. Leider muss ich sie immer noch belügen, dass ich in
Erlangen bin.
"Das ist eine völlig neue Situation", sagte Jessica, "hat der
Mann vielleicht Gregor erkannt und am nächsten Tag umgebracht?" "Eben
deshalb rufe ich dich an, der Verdacht ist durchaus real. Willst du die
Hamburger Kripo informieren oder soll ich das gleich hier machen", fragte
Nazemîn. "Ich glaube, du bist näher dran und kannst ihnen den Text direkt
zeigen, aber halt' mich bitte auf dem Laufenden", meinte Jessica. Nazemîn
rief die Mordkommission an und bekam Frau Helmer an den Apparat, die sofort
interessiert war, als sie ihr den Tagebucheintrag vorlas. "Vielen Dank, das
könnte eine heiße Spur sein", sagte sie, "schicken Sie mir bitte den
Text als Mailanhang, wir kümmern uns dann drum und informieren Sie."
Nachdem die Oberkommissarin kurz danach den Mailanhang gelesen hatte, fuhr sie
mit Kommissar Markowski zur Rentzelstraße und ging durch den Hausflur und den
Hinterausgang zur Grünfläche, um die betreffende Wohnung zu orten. Als sich
dann an der Wohnungstür niemand auf ihr Klingeln meldete, ließen sie die Tür
vom Schlüsseldienst öffnen und fanden im rückwärtigen Raum einen älteren
Mann mit einem Messerstich in der Brust. "Da hat Herr Sommer also wirklich
einen Mord gehört", sagte Frau Helmer erschüttert zu ihrem Kollegen,
"und wir können nicht ausschließen, dass der Mörder dieses Mannes auch
Herrn Sommer umgebracht hat." Der herbeigerufene Rechtsmediziner stellte
fest, dass der Erstochene schon mindestens eine Woche tot war.
Im Kommissariat stellten die Beamten fest, dass es sich bei dem Toten um einen
sechzigjährigen, wegen Drogenhandels vorbestraften, gebürtigen Ukrainer mit
deutschem Pass handelte. Die Spurensicherung fand keine Tatwaffe, doch der
Drogenhund führte sie zu einem gut versteckten Geheimfach, in dem sich eine
geringe Menge Heroin und 87.365,- Euro fanden. Am Fenster wurden deutliche
Fingerabdrücke gefunden, die aber in keiner Datei vermerkt waren. Markowski
hatte schließlich eine Idee: "Die Spusi hat doch auf dem Ast noch einen
anderen, verwischten Abdruck gefunden, den sollen sie mit denen am Fenster
vergleichen. Er erfuhr bald , dass die gefundenen Abdrücke eine hohe
Ähnlichkeit mit dem auf dem Ast gefundenen verwischten Abdruck aufwiesen, der
Mann also sehr wahrscheinlich den Ast in der Hand gehabt und Herrn Sommer damit
erschlagen hatte.
Sie starteten bei den Mobilfunkanbietern eine Abfrage nach dem Namen des
Ermordeten. Interessanter waren seine Bankdaten, allerdings brachten sie auch
keine neuen Erkenntnisse. Es zeigte häufige Barauszahlungen, außerdem bestand
ein lebhafter Geldverkehr mit einem Konto auf den Cayman-Inseln, auf das sie
keinen Zugriff hatten, und bei dem größere Beträge hin und her geschoben
wurden. Dieses Konto war offensichtlich der eigentliche Verschiebebahnhof für
seine internationalen Geldströme. "Auch wieder ein Schuss in den
Ofen", klagte Frau Helmer.
Nach dem Mittagessen bekamen sie die erste positive Nachricht: Ein
Mobilfunkbetreiber meldete eine Handynummer des Toten und lieferte gleich die
Gesprächsliste mit. "Lass' eine Ortung vornehmen, vielleicht hat der
Mörder das Handy eingeschaltet gelassen", wies die Chefin den jungen
Kommissar an, der das sofort in die Wege leitete. Leider war das Gerät nicht
eingeschaltet, doch er richtete einen Alarm bei Aktivierung ein. Die
Gesprächsliste war hochinteressant. Neben vielen Verbindungen mit deutschen und
europäischen Teilnehmern gingen immer wieder Gespräche nach Diyarbak?r im
Osten der Türkei. "Sag' mal, das ist doch die heimliche Hauptstadt der
Kurden in der Türkei. Anscheinend gibt es dort einen Umschlagplatz für
Rauschgift, um die Finanzen der PKK zu unterstützen, und der Bote hat das
Heroin dort abgeholt, das sollten wir dem BKA melden", meinte
Hauptkommissarin Marcks.
Mittwoch früh meldete sich bei der Hamburger Mordkommission plötzlich das
Handy des toten Drogendealers Kabakow aus Langenhorn und bewegte sich in
Richtung Stadt, wurde aber bald wieder ausgeschaltet. Anscheinend hatte der
Mörder es jetzt zum ersten Mal benutzt. "Schau doch mal nach der letzten
Verbindung, vielleicht finden wir ihn da", schlug die Oberkommissarin vor
und Markowski fand eine kürzlich angerufene Hamburger Festnetznummer mit einem
türkischen Namen. In den Meldelisten fanden sie den Namen an der Ottensweide in
Wilhelmsburg. "Versuchen wir mal, ob wir ihn da finden", rief die
Oberkommissarin und machte sich mit Kommissar Markowski auf den Weg. Weil der
Ortsteil Kirchdorf Süd in Wilhelmsburg als sozialer Brennpunkt mit vielen
Immigranten gilt, beorderten sie die örtliche Polizei in die Nähe.
Als sie an der Adresse in der Ottensweide eintrafen, stand der Wagen des
ermordeten Drogendealers vor der Tür des Hauses. "Na also", meinte
die Oberkommissarin, "schaun wir mal und nehmen die Polizei mit hoch."
Da die Wohnung im zehnten Stock lag, war eine Flucht durch das Fenster
ausgeschlossen. Als sich auf ihr Klingeln niemand meldete, traten die Polizisten
die Tür ein und stürmten mit gezogenen Pistolen in die Wohnung. Im Wohnzimmer
saßen drei Männer, die überrascht die Hände hoben, und auf dem Tisch lagen
kleine Päckchen. "Vertickern Sie jetzt die Ware, die Sie bei Herrn Kabakow
nicht los geworden sind, an andere Kunden?", sprach die Oberkommissarin den
Jüngsten an, in dem sie wegen der schwarzen Haaren und des mongolischen
Gesichts den Mörder vermutete. Auf die Frage nach seinem Ausweis zeigte er
einen Registrierungsbescheid vom BAMF auf den Namen Assadullah Rabbani, da
wussten sie, dass er der Gesuchte war.
"Sie sind wegen doppelten Mordverdachts vorläufig festgenommen, und
zusätzlich auch wegen Drogenhandels. Dieser Vorwurf gilt ebenso für die beiden
anderen hier", teilte Frau Helmer den dreien mit. Bei der Durchsuchung des
Mannes fanden sie den Autoschlüssel, die Zulassung und das Mobilphon von
Wolodymyr Kabakow. Außerdem hatte er 2.575,- Euro in bar und ein Prepaidhandy
mit leerem Akku bei sich. "Weil sein Akku leer war, musste er das
gestohlene Mobilphon benutzen", freute sich der Kommissar. Die Polizisten
legten den Männern Handschellen an und brachten sie in den Streifenwagen. Die
Heroinpäckchen nahmen sie mit und Frau Helmer informierte die Drogenfahndung.
Dann schickte sie die Spurensicherung mit einem Drogenhund in die Wohnung.
Kommissar Markowski fuhr den gefundenen Mercedes auf den Sammelplatz der
Polizei.
Beim BKA stellte man aufgrund der aus Hamburg erhaltenen Listen fest, dass nicht
nur viele von Schawais' Telefon- und Mailkontakten mit den übermittelten
Kontakten des ermordeten Drogendealers identisch waren, sondern auch zwischen
seinem Konto auf den Caymaninseln und dem des Drogendealers bei derselben Bank
immer wieder Zahlungen stattfanden. Also hatte Schawais nicht nur die PKK
finanziell unterstützt, sondern war auch in ihre Heroin-Aktivitäten
verwickelt, mit denen sie ihren Kampf finanziert. "Das bricht ihm
endgültig das Genick, auch wenn er wohl mit dem Mord am Liebhaber seiner
Tochter nichts zu tun hat", freute sich Frau Hofmeister.
Sie ließen Schawais kommen und legten ihm die Beweise vor: "Im
Kandil-Gebirge im Nordirak lebt die PKK recht ungestört", erklärte er.
"Um den Kampf gegen die türkischen Behörden zu finanzieren, wurden dort
Labore eingerichtet, die Mohn aus Afghanistan zu Heroin destillieren. Kuriere
bringen den Stoff auf geheimen Wegen in geschützte Verstecke in Diyarbak?r, der
Hauptstadt der Kurden, von wo er in Europa verteilt wird. Ja, mir ist dieses
Verfahren bekannt, aber ich habe noch nie mit Drogen gehandelt, sondern trage
nur finanziell zu dem Unternehmen bei. Deshalb habe ich auch in Deutschland
Kontakte zu türkischen Mittelsmännern des Unternehmens." "Immerhin
reicht Ihr Geständnis, ihre Angelegenheit dem Staatsanwalt zu übergeben, der
Sie wohl wegen Unterstützung der verbotenen PKK anklagen und bis zum Prozess
weiter in Untersuchungshaft behalten wird", entschied Frau Hofmeister.
Nachdem Jessica an den nächsten Tagen alle Einträge im Tagebuch ihres Mannes
gelesen hatte, wurde ihr noch klarer, welchen wertvollen Menschen sie verloren
hatte, und sie überlegte, wie ihr und Meikes Leben jetzt weiter gehen
könnte: "Will ich denn meine Tochter ohne männliche Bezugsperson aufwachsen
lassen und will ich selbst ewig alleine bleiben?", fragte sie sich.
"Mit meinen 32 Jahren bin ich noch jung genug, um mich nach einem neuen
Partner umzusehen, aber der müsste ebenso liebevoll und zuvorkommend sein, wie
Gregor war, und voll auf Meike eingehen. Solch Mann ist sicherlich nicht
leicht zu finden.
Wäre es vielleicht mit Jan Heinemann denkbar?", setzte sie ihre
Überlegungen fort, "der hat sich doch in den letzten Wochen so
fürsorglich um mich und Meike gekümmert und uns in allen Problemen
unterstützt. Auch als Gregor noch überwiegend in Berlin war, hatten wir ein
sehr herzliches Verhältnis zu ihm, wie es oft zwischen alten Freunden besteht,
und sind oft zusammen gewesen. Vor allem nach seiner Scheidung vor zwei Jahren
hat er uns oft besucht und Gregor ihn getröstet. Ganz besonders habe ich es
immer geschätzt, dass Jan mir nie in irgendeiner Weise zu nahe getreten ist,
auch nicht nach Gregors Tod. Ich werde ihn mal einladen und sehen, wie er sich Meike und mir gegenüber verhält", beschloss sie und ging ins Bett,
weil es wieder spät geworden war.
Mitten in der Nacht wachte sie auf und sofort waren diese Gedanken wieder in
ihrem Kopf. "Einladen und sein Verhalten prüfen ist eine Sache",
dachte sie, "aber wie geht es weiter, wenn die Prüfung positiv verläuft?
Wäre ich in der Lage, mich ihm irgendwann vollkommen hinzugeben und vielleicht
eine Gemeinschaft mit ihm aufzubauen? Im Moment bin ich ganz sicher noch nicht
dazu bereit, dafür ist die Erinnerung an die wundervolle Liebe mit Gregor noch
viel zu stark in mir, auch wenn er mich mit Nazemîn betrogen hat. Also werde
ich Jan ab und zu einladen, ohne ihm irgendwelche Aussichten zu geben, aber ihn
dabei näher kennen lernen und sehen, wie er sich verhält." Mit diesem
Entschluss schlief sie schnell wieder ein.