Ernst-Günther Tietze: "Himmelsspione", Leseproben
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Ernst-Günther Tietze
Mit einem Ruck hielt der Fahrstuhl an, er schien laut zu stöhnen
und aus der Anzeige ging hervor, dass er zwischen dem 14.und 13. Stockwerk hing.
Ferdinand Wagner erstarrte. Im ersten Moment wollte er den Alarmknopf drücken,
doch noch rechtzeitig kam ihm zum Bewusstsein, dass damit seine geheime Mission
in der Helios AG offenbar würde. Instinktiv fasste er in die Innentasche seiner
Jacke, die kleine USB-Platte war noch da. „Verdammt“, dachte er, „bisher
ist alles so schön gelaufen und im letzten Augenblick kommt mir dieser Scheißfahrstuhl
in die Quere“.
Ferdinand
hatte schon früher kleinere DV-Aufträge für das russische Generalkonsulat
erledigt. Vor drei Wochen hatte ihn der Vizekonsul gefragt, ob er bei der Helios
AG die Konstruktionsdaten der neu entwickelten Kampfdrohne Heliofighter
entwenden könne. Neben dem recht hohen Preis von 95.000,- € hatte Ferdinand
dem Russen die Voraussetzungen genannt: Er müsse einen offiziellen Auftrag für
„Planung und Einrichtung einer DV-Anlage beim Generalkonsulat“ mit Angabe
des Preises erhalten, außerdem müsse er die Schlüsselkarte des Leiters der
DV-Abteilung kopieren und möglichst an sein Passwort kommen. Vor einer Woche
lief der Auftrag bei ihm ein, kurz darauf rief der Vizekonsul an, er habe eine
Dame aufgefordert, den DV-Chef ins Bett zu locken, derweil könne Ferdinand die
Schlüsselkarte kopieren und nach dem Passwort suchen.
Freitag
war es der attraktiven Betsy gelungen, in der Venus-Bar Dr. Otto Luising, den
DV-Chef der Helios-Werke für sich zu interessieren, so dass er sie für Samstag
zu einer Dampferfahrt einlud. In den teuren Seeterrassen dinierten sie
hervorragend und nach der Rückfahrt bestellte Dr. Luising eine Taxe, um Betsy
nach Hause zu bringen. Als er sich verabschieden wollte, bat sie ihn auf ein
Glas Wein zu sich und hängte in der Wohnung seine Jacke an die Garderobe. Beim
Anstoßen blickte sie ihm auf den Mund, da nahm er sie in die Arme und küsste
sie, was sie natürlich gerne erwiderte. Immer heißer wurden die Küsse, bis
sie sich im Schlafzimmer von ihm entkleiden ließ und ihn streichelte, was er
gerne erwiderte. Sie musste Zeit gewinnen, denn Ferdinand durchsuchte inzwischen
Dr. Luisings Jacke nach seiner Schlüsselkarte. Er fand sie in der Brieftasche
und kopierte den Chip mit einem Spezialgerät. Im Adressbuch fand er unter
Helios den Begriff „1siulorD“,
die Ziffer am Anfang und der große Buchstabe am Ende brachte ihn auf die Idee,
das sei das rückwärts geschriebene Passwort und er las von hinten: „Droluis1“,
darin war der Name versteckt. Auf dem Hof pfiff er den River Kwai Marsch als
Zeichen für Betsy. Sie zog ihrem Gast ein Kondom auf und bereitete ihm große
Lust, das war sie ihrer Ehre schuldig. Er blieb noch eine Stunde bei ihr, dann
verabschiedete er sich freundlich.
Heute fuhr Ferdinand mit dem Fahrstuhl in den 15 Stock und
kam mit Dr. Luisings Schlüsselkarte problemlos in die zentrale Rechenanlage. Im
Raum der Programmierer fand er eine Übersicht über das Rechnernetz des Hauses
mit 473 Rechnern, das in die Gruppen Entwicklung, Konstruktion, Fertigung,
Vertrieb und Verwaltung eingeteilt war, der Internetzugang war über Router
geschützt. Ferdinand schaltete den Bedienrechner ein und öffnete damit das
gesamte Datensystem. In den Konstruktionsdateien fand er die Dateien des
Drohnensystems „Helioguard“ und kopierte die 500 GB Daten auf seine Platte.
Zuletzt hinterlegte er in der Routingtabelle des Routers einen geheimen Zugang
aus dem Internet für sich und verließ frohgemut die Anlage. Über diesen
Zugang würde er jederzeit auf die Daten zugreifen können.
Und nun steckte er in dem blöden Fahrstuhl. In der Decke
der Kabine gab es eine Klappe für Wartungszwecke, er duckte sich und schnellte
mit aller Kraft gegen die Platte, so dass er die Öffnung mit beiden Händen
greifen und sich auf das Dach der Kabine ziehen konnte. Er stieg die Leiter im
Fahrstuhlschacht hoch, bis er das Gebäudedach über dem 15. Stock erreichte. Über
die Brüstung sah er ein angekipptes Fenster, diese Möglichkeit musste er
nutzen, wobei ihm die Gefahr bewusst war, dass er bei der geringsten
Ungeschicklichkeit fünfzehn Stockwerke hinab stürzen könnte. Er zog das Hemd
aus und drehte daraus ein Band, das er mit einem Spezialknoten an einem Bügel
befestigte, dann kletterte er über die Brüstung und ließ sich soweit hinab
gleiten, bis er auf dem unteren Rahmen des Fensters stand. Sich mit der einen
Hand an seinem Hemd zu halten und mit der anderen das angekippte Fenster zu öffnen,
war dann kein Problem mehr für ihn. Er kletterte hindurch, und fand sich in
einer Toilette im Rechnergeschoss. Fünf Minuten später brauste er mit seinem
BMW davon.
Als
Ferdinand am nächsten Morgen im russischen Generalkonsulat erschien, saßen im
Konferenzraum neben dem Vizekonsul Andropow der Militärattaché und zwei
Fachleute von der Botschaft in Berlin. Ein Beamer stand bereit, an den Ferdinand
seinen Laptop mit der externen Platte anschloss, um seine erfolgreiche
„Datenverarbeitung“ zu präsentieren, wobei er den geheimen Zugang in das
Datensystem der Helios verschwieg. Ausrufe des Erstaunens und der Anerkennung
kamen aus den Mündern der Berliner, dann stellte der Vizekonsul Gläser und
eine Flasche Wodka auf den Tisch. Mit den Worten: „Herr Wagner, ich gratuliere
Ihnen zu Ihrer tadellosen Arbeit, das muss gefeiert werden!“, goss er jedem
ein Glas voll. Ferdinand erhob sich und dankte, doch er hatte etwas zu sagen:
„Es ist mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich ohne die hervorragende
Vorarbeit der Agentin Betsy, die ja bis zum körperlichen Einsatz gegangen ist,
nie in das Datensystem der Helios hinein gekommen wäre.“
Nachdem
die Berliner die Platte kopiert hatten, begab man sich in den Speiseraum des
Konsulats, wo Ferdinand zu seinem Erstaunen Betsy vorfand und herzlich begrüßte,
denn er war ihr durchaus dankbar. Befrackte Diener servierten ein opulentes
russisches Menü mit viel Alkohol, bei dem sich Ferdinand aber zurück hielt,
weil er mit dem BMW gekommen war. Immer wieder musterte er verstohlen die
attraktive Frau, die ihm an der Tafel gegenüber saß. Sie machte einen
lebhaften Eindruck, der noch stärker wirkte als ihre Schönheit. Die Frau
merkte natürlich auch, wie intensiv ihr Gegenüber sie betrachtete, sie war
sich ihres Eindrucks auf Männer durchaus bewusst. Wenn er sich mit dem
Vizekonsul unterhielt, betrachtete sie ihn heimlich, denn sie hatte ihn schon
bei ihrem ersten Treffen interessant gefunden. Nachdem man zwei Stunden getafelt
hatte, bekamen Betsy und Ferdinand ihre Schecks und verließen zufrieden das
Generalkonsulat.
„Haben
Sie Lust zu einem Spaziergang? Wir haben uns ja in unserem Vorbereitungsgespräch
kaum richtig kennen gelernt“, fragte Ferdinand, als er mit Betsy das
Generalkonsulat verließ. „Gerne“, antwortete sie, „ich möchte mich auch
noch bei Ihnen bedanken, Sie müssen ja wahre Lobeshymnen über mich gesungen
haben.“ „Nun ja, Sie haben mir doch durch Ihre Aktivität erst die Möglichkeit
gegeben, meine Aufgabe zu erfüllen“, antwortete er. „Ich habe eine Frage,
die sie nicht beantworten müssen“, brachte er nach einer Weile heraus. „Ich
weiß schon, was Sie fragen wollen“, lachte Betsy, „nämlich, wie eine
attraktive und einigermaßen intelligente junge Frau zu solch einem Job kommt.
Ich werde Ihnen die Frage beantworten, wenn Sie mir im Gegenzug erklären, wie
ein DV-Spezialist dazu kommt, für die Russen Industriespionage zu betreiben. Übrigens,
Betsy ist nur mein Pseudonym, im normalen Leben bin ich Bankmanagerin und heiße
Tatjana, aber meist werde ich nur Tanja genannt.“
Da sie
gerade an einem kleinen Café vorbei kamen, sah Ferdinand die Gelegenheit, das
Gespräch hier fortzusetzen und lud die Frau zu einer Tasse Kaffee ein. „Es
ist seltsam“, begann sie, nachdem sie tief Luft geholt hatte, „ich hatte
schon bei unserem ersten Treffen Vertrauen zu Ihnen und deshalb will ich Ihnen
jetzt etwas von mir erzählen: Ich bin vor 30 Jahren in Minsk geboren worden und
es war selbstverständlich, dass ich das Abitur machen und studieren würde. Ich
war 18, als ich mich mit einigen Mitschülern über die politischen Verhältnisse
ereiferte. Über das Internet informierten wir uns über demokratische Werte und
posteten Proteste gegen die Diktatur von Lukaschenko. Später zogen wir
friedlich zum Präsidentenpalast und hielten Schilder hoch, auf denen wir
Lukaschenko zum Rücktritt aufforderten. Ein paar hundert Meter vor dem Ziel prügelten
plötzlich vermummte Milizionäre mit Schlagstöcken auf uns ein. Zwei von ihnen
griffen mich, fuhren mich in einem Mannschaftswagen zum Vostrau-Park und
vergewaltigten mich nacheinander am Ufer. Danach fuhren sie weg und ließen mich
liegen.
Nach
einiger Zeit rappelte ich mich auf und ging nach Hause. Ich hatte genug von
diesem Land und wollte nur weg, möglichst nach Deutschland. Auf jeden Fall
musste ich durch Polen und da es hieß, dass die Österreicher viel lockerer
seien als die Deutschen, entschied ich mich, über Tschechien nach Wien zu
kommen und von dort nach München weiter zu fahren. Im Dunkeln ging ich
über die Grenze und weiter bis kurz vor dem nächsten Dorf. Bis zum Morgen
schlief ich im Wald, fuhr mit dem nächsten Bus nach Wien und von dort weiter
nach München. Doch bei der Ausländerbehörde fand ich eine Druckschrift, dass
politische Flüchtlinge nur aus Ländern anerkannt würden, die an die
Bundesrepublik angrenzen. Das war zu viel für mich, ich war an den letzten
Tagen sechzehnhundert Kilometer durch Europa gefahren, hatte einen Fluss
durchschwommen und drei Nächte im Wald geschlafen, jetzt war ich vollkommen
fertig.
Ich irrte durch die Stadt, bis ich die Frauenkirche fand.
Weinend warf ich mich vor der Schutzmantelmadonna auf den Boden und flehte sie
um Hilfe an. Dort fand mich die Ausländerbeauftragte, die meine Verzweiflung
erkannte. Sie fragte vorsichtig und ich erzählte ihr alles. Noch am selben Tag
brachte sie mich zu einer Ärztin, die die noch erkennbaren Spuren der
Vergewaltigungen dokumentierte. Das Attest und meine guten Deutschkenntnisse
sprachen für mich, so dass diese Dame zunächst eine befristete
Aufenthaltsgenehmigung für mich und nach einem halben Jahr die Anerkennung als
politischer Flüchtling erreichte. Mit zwei Jahren Zeitverlust machte ich das
Abitur und absolvierte danach eine Banklehre. Seit sieben Jahren bin ich
Bankbetriebswirtin, leite inzwischen das Investmentgeschäft eines mittelgroßen
Instituts und besitze die deutsche Staatsbürgerschaft.
Doch die
Erinnerung an Minsk machte es mir unmöglich, eine auch nur lose Beziehung zu
einem Mann einzugehen. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, dieses Ereignis zu
verarbeiten, kam ich mit einer Dame ins Gespräch, die mir erzählte, dass sie
nebenberuflich als freie Edelprostituierte arbeite. Ich fasste Vertrauen und
berichtete von meinen seelischen Problemen mit Männern nach den Erlebnissen in
Minsk. ‚Mach‘ es wie ich‘, sagte sie lachend, ‚da hast du die Herrschaft
über die Männer, sie werden ganz klein, wenn du sie richtig behandelst.‘ So,
das war‘s von mir und jetzt sind sie dran.“
Ferdinand
berichtete ausführlich, wie er nach einer Zeit bei der GSG 9 eine eigene Firma
als DV-Berater gegründet hatte und dadurch Auftragnehmer des Generalkonsulats
wurde. Erst nach einer Stunde gingen sie. Auf
dem Parkplatz fragte er, ob er sie mitnehmen solle. „Nein, ich bin selber mit
dem Wagen hier“, antwortete sie, „aber geben Sie mir Ihre Telefonnummer,
vielleicht rufe ich Sie mal an.“
Ein paar
Tage später traf Ferdinand Tanja in einer Buchhandlung, wo sie das Buch „Die
Republik der Frauen“ kaufte. „In meiner augenblicklichen Stimmung ist dies
Buch Balsam auf die Seele“, sagte sie nachdenklich. Bei
einem Kännchen Kaffee fragte Ferdinand, was sie damit gemeint habe. Tanja
seufzte tief, dann antwortete sie: „Ich war immer der Meinung, mit meinem
Handeln sei ich Herr über die Männer, die zu mir kommen. Gestern habe ich mein
Waterloo erlebt. Ich war mit einem Geschäftsmann im Bayerischen Hof verabredet.
Als wir nach einem guten Menü ins Bett gehen wollten, holte er plötzlich ein
paar Bänder heraus und wollte mich fesseln. Ich wollte fliehen, doch die Tür
war verschlossen. Lachend zeigte er mir den Schlüssel, er hatte heimlich
abgeschlossen. ‚Ich habe dich bezahlt und du kommst hier nicht raus, bevor du
tust, was ich will’, sagte er ziemlich laut. ‚Ich brauche noch etwas’,
sagte ich und ging zu meiner Handtasche, er stellte sich hinter mich. Ich griff
meinen Elektroschocker und stieß ihm das Ding auf den Bauch. Stöhnend sank er
zusammen. Ich schmiss ihm mein Honorar auf das Bett, zog mich an und lief aus
dem Zimmer. Schnell war ich in der Garage, fuhr nach Hause und verriegelte die Tür
hinter mir.
Ich warf
mich aufs Bett und heulte wie ein Schlosshund, weil mir die Szene in Minsk
wieder in Erinnerung kam, die ich längst überwunden glaubte. Ich hatte mich ja
sicher gefühlt, dachte, ich sei die Herrin über die Männer, und nun hatte mir
dieses Schwein gezeigt, dass ich doch nur eine schwache Frau bin. Als ich mich
beruhigt hatte, rief ich die Agentur an, ich sei an weiteren Vermittlungen nicht
mehr interessiert, dann erinnerte ich mich an eine Buchbesprechung über ‚Die
Republik der Frauen‘. Da wurde erzählt, dass die Frauenregierung
Vergewaltiger eine Woche lang nackend in Käfigen auf dem Marktplatz ausstellt.
Nach der Arbeit ging ich zu Thalia, es war genau das Richtige für mich. Dadurch
haben Sie mich getroffen und ich bin froh darüber.“
Ferdinand bestellte noch einen Cognac, den sie schweigend
tranken, dann zahlte er. Beim
Herausgehen fiel Tanja ihm plötzlich um den Hals und küsste ihn heftig „Ich
glaube, du bist der erste feine Kerl, der mir in den letzten Jahren begegnet
ist“, sagte sie, während ihr die Tränen aus den Augen strömten. Ferdinand
war völlig perplex, doch er sah, dass sie einen Menschen brauchte, dem sie
vertrauen konnte. „Ich will für dich da sein und du kannst mir alles sagen,
was dich bedrückt“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Danke“, antwortete Tanja
und küsste ihn noch einmal herzlich. „Soll ich dich irgendwo hin
bringen?“, fragte er vorsichtig. „Ja bitte, zu meinem Wagen“, schluchzte
sie immer noch. Vor ihrem Porsche küsste sie ihn noch einmal und gab ihm einen
Zettel. „Das ist meine Telefonnummer, ruf’ mich mal an, wenn du magst und
entschuldige bitte mein unbeherrschtes Benehmen vorhin.“
Dienstag
rief Vizekonsul Andropow an, ob Ferdinand nach Berlin kommen könne, einige
Spezialisten aus Russland hätten noch Fragen an ihn und wollten ihn in der
russischen Botschaft treffen. Er antwortete, er hätte frühestens Samstag Zeit.
Gut, sagte der Russe, dann solle er am 16. Juni um 13 Uhr dort sein und bis
Sonntag bleiben, er würde ein Zimmer im Adlon für ihn buchen. Er rief Tanja
an, ob sie ihn begleiten wolle. Nach kurzem Überlegen stimmte sie zu und bot
ihren Porsche an.
Samstag
holte sie Ferdinand um 6 Uhr ab und fragte, was sie eigentlich in Berlin
wollten. „Das weiß ich selbst nicht“, meinte Ferdinand, „aber es scheint
dem Vizekonsul wichtig zu sein, sonst würde er mich nicht nach Berlin zitieren
und im Adlon übernachten lassen.“ Kurz nach 12 Uhr erreichten sie das Hotel.
Ferdinand bot Tanja an, für sie ein getrenntes Zimmer zu buchen, doch als der
Boy die Tür aufschloss, staunten sie: Eine zweiräumige Juniorsuite mit einer
Couchecke im Wohnraum und ein Schlafzimmer mit breitem Doppelbett lag vor ihnen.
„Nicht schlecht für den Anfang“, lachte Tanja, „das reicht vollkommen für
uns beide.“ Schnell packten sie ihre wenigen Sachen aus und machten sich
frisch, dann ging Ferdinand zur russischen Botschaft.
Ein
Diener führte ihn in ein Restaurant mit gedecktem Tisch, in dem der Vizekonsul
ihm vier andere Männer vorstellte, sie seien Spezialisten aus der
Flugzeugfertigung, sprächen aber leider kaum Deutsch. Livrierte Kellner trugen
das Menü auf, dazu wurde trockener Rotwein gereicht. Die Russen ließen die Gläser
immer wieder nachfüllen, aber Ferdinand trank nur wenig, um einen klaren Kopf
zu behalten. Um 15 Uhr wechselten sie in einen Konferenzraum, wo der Vizekonsul
gleich zur Sache kam: „Sie haben uns zwar die Konstruktionspläne des
Heliofighter geliefert, aber meine Freunde haben festgestellt, dass die gesamte
Software der Drohne fehlt.“
„Mein
Auftrag bezog sich auf die Konstruktionspläne, und die habe ich Ihnen vollständig
geliefert“, antwortete Ferdinand, „welche Software meinen Sie denn?“
„Nun, die Drohne braucht doch Software zur Steuerung, zum Identifizieren von
Objekten, zur Kommunikation mit der Heimstation, zum Errechnen der notwendigen
Flugrichtung und zum Verfolgen des Zielobjektes. Die können Sie sicherlich in
einer weiteren Aktion beschaffen, Sie haben ja wohl noch die Schlüsselkarte.“
Ferdinand hatte nicht die geringste Lust, noch einmal Datendieb zu spielen.
„Nach meiner Ansicht ist die spezielle Software für die einzelnen
Bauelementen in ihnen integriert und wir sollten uns das einmal genau
anschauen.“ Der Vizekonsul schloss einen Laptop an den Beamer an und steckte
die Festplatte an den USB-Anschluss.
Ferdinand
rief einige Zeichnungen auf, auf denen er Angaben über die Software in den
Prozessoren der Steuerung, Objekterkennung, Bilderstellung, Kommunikation und
Flugrichtungseinstellung fand. „Welche Software fehlt Ihnen denn?“, fragte
er lächelnd. Die Russen machten verdutzte Gesichter, als der Vizekonsul ihnen
Ferdinands Worte übersetzte. „Mit den Einzelheiten haben Sie recht, und meine
Kollegen haben einiges übersehen“, sagte er zu Ferdinand, „aber die
Koordination der einzelnen Prozessoren und die Auswertung ihrer Ergebnisse muss
doch an einer Stelle erfolgen, und dafür dürfte der zentrale Computer dienen.
Und für den haben wir nirgends eine Software gefunden.“ Ferdinand suchte eine
Antwort, die die Russen beruhigen konnte: „Die zentrale Software wird
aufgabenbezogen erstellt und erst eingespielt, wenn die Drohne eingesetzt wird,
denn die Aufgaben können ja sehr vielfältig sein. Deshalb wird sie nicht bei
den Konstruktionsplänen geführt und gehört nicht zu meinem Auftrag.“
Der
Vizekonsul machte ein Gesicht, als hätte er Essig getrunken, dann schaute er
auf die Uhr. „Es ist jetzt 18 Uhr und ich glaube, wir sollten die Sitzung an
dieser Stelle beenden und morgen früh um 9 Uhr fortsetzen. Ich habe für heute
Abend einen Tisch im Adlon bestellt. Würden Sie bitte mit Betsy um 20 Uhr ins
Restaurant kommen, damit wir uns einen schönen Abend machen können?“
„Herzlich gerne“, erwiderte Ferdinand, „ich glaube, sie wird sich freuen,
Sie mal wieder zu sehen.“ Als er Tanja von der Einladung erzählte, meinte
sie, sie sie brauche einige Zeit, um sich herzurichten. Er wollte schamhaft das
Zimmer verlassen, doch sie lachte: „Bleib
ruhig hier und erzähl’ mir von deinem Treffen. Ich denke, du weißt, wie eine
Frau aussieht, und du bist mir viel mehr wert als die vielen Männer die mich
schon so gesehen haben.“ Ehrfürchtig bewunderte er ihre schlanke Gestalt mit
den kleinen festen Brüsten. „Na, Prüfung bestanden?“, fragte sie lachend
und küsste ihn. „Du bist wunderschön“, konnte er nur leise antworten,
„noch viel schöner als in einem eleganten Kleid.“
Pünktlich um 20 Uhr trafen sie im Speisesaal die Russen,
die vor Bewunderung erstarrten, als sie Tanja sahen. Nach dem Essen sprach der
Vizekonsul Ferdinand an, ob er sich schon entschieden habe. Ferdinand
antwortete: „Ich denke, wir haben uns darauf geeinigt, morgen weiter zu
verhandeln.“ Doch der Russe, der eine ganze Menge getrunken hatte, ließ nicht
locker. Ferdinand solle nicht vergessen, dass man ihn mit den bisher gelieferten
Daten in der Hand habe. Da wandte sich Tanja, die bisher geschwiegen, erregt an
den Vizekonsul: „Herr Andropow, haben Sie bei Ihrer versteckten Erpressung
bedacht, welchen diplomatischen Skandal Sie riskieren, wenn bekannt wird, auf
welche Weise Sie sich geheime deutsche Konstruktionsdaten beschaffen? Ihren schönen
Job in München wären Sie doch ganz schnell los. Also lassen Sie die Drohungen
und kehren Sie zu normalen Geschäftsgesprächen zurück.“ „Du warst großartig“,
lobte Ferdinand seine Begleiterin, als sie ihre Suite erreicht hatten. „Ich
war noch ganz perplex von der Drohung, da hattest du den Kerl schon abgebürstet.“
Am nächsten
Morgen wurde Ferdinand gleich in den Konferenzraum geführt, wo ihn die
Russen schon erwarteten. Andropow fragte, ob er sich ihre Anfrage noch einmal überlegt
habe. Ferdinand formulierte die Antwort als Gegenfrage: „Wissen Ihre Fachleute
denn überhaupt, welche Software sie brauchen? Wir haben ja gestern
festgestellt, dass vieles in den Konstruktionsdaten verborgen ist, man muss nur
genau hinschauen.“ Der Vizekonsul diskutierte lange mit den Fachleuten, bevor
er fragte, was denn dieser Zusatzauftrag kosten solle. „Das kommt auf den
Umfang an“, antwortete Ferdinand. „Wenn Sie mir genau sagen, was Sie haben
wollen, kann ich Ihnen einen Preis machen“, dann verabschiedete er sich.
Im Hotel wartete Tanja schon mit gepacktem Koffer und sie
fuhren gleich los. Als Ferdinand sich in München vor seiner Haustür
verabschieden wollte, zögerte Tanja einen Moment, dann überwand sie sich:
„Ich möchte gerne mal deine Wohnung sehen.“ Mit den Worten: „Ich habe ein
ganzes Apartment, die Wohnung geht nahtlos in mein Rechenzentrum über. Wenn du
dich nicht an einer leichten Unordnung störst, herzlich gerne“, nahm
Ferdinand sie mit hinein. Nach der Besichtigung bot er ihr einen Cognac an, den
sie gerne nahm. „Inspektion zur Zufriedenheit verlaufen?“ fragte er lächelnd.
„Das ist gemein“, antwortete sie, „ich wollte doch nur wissen, wie der
Mensch lebt, mit dem ich im Begriff bin, mich einzulassen.“ „Was hast du
eben gesagt, du willst dich mit mir einlassen?“ Ferdinand sprang auf und
bedeckte Tanjas Gesicht mit Küssen, bis sie um Gnade bat. „Ja, ich habe das
gnädig in Erwägung gezogen, aber noch lange nicht entschieden“, lachte sie,
„und bevor du mir noch gefährlicher wirst, will ich lieber gehen.“
Freitag
nannte der Vizekonsul Ferdinand die Wünsche der Fachleute, es handelte sich um
die Flow Charts und Beispiele ausgeführter Programme im zentralen Computer.
Ferdinand meinte: „Das sind etwa 150 GB. Wenn Sie mir eine mobile Festplatte
beschaffen, werde ich in der Nacht zum Sonntag noch einmal versuchen, in die
Anlage einzudringen und diese Sache als kostenlose Nachbesserung ansehen,
vorausgesetzt, ich bekomme die bindende Erklärung, dass weitere Anforderung in
dieser Angelegenheit definitiv ausgeschlossen sind.“ Noch am selben Tag
brachte der Vizekonsul die Platte und die gewünschte Erklärung.
Tanja
ging jeden Abend verzweifelter ins Bett, gerne würde sie sich Ferdinand
hingeben, denn sie glaubte, dass er sehr zärtlich sein würde. Aber wie sollte
es dann weiter gehen, ein ständiges Miteinander konnte sie sich noch nicht
vorstellen. Lange grübelte sie, bis ihr siedend heiß ihr Vorleben einfiel. Würde
er denn mit einer Frau glücklich sein, die als Prostituierte Männern gedient
hatte? Der Gedanke stieg in ihr auf, mit Schlaftabletten ihrem verpfuschten
Leben ein Ende zu machen. Als sie gerade die Jacke überzog, um zur Apotheke zu
gehen, klingelte das Telefon, Ferdinand wollte ihr berichten; dass er in der
Nacht zum Sonntag die gewünschten Daten aus dem Helios-System abziehen wolle.
Doch er merkte sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmte und fragte nach ihrem
Befinden. Tanja sah seinen Anruf als Wink des Himmels und bat schluchzend, ob
sie ihn besuchen dürfe.
Bei der
Begrüßung fiel sie ihm um den Hals und schluchzte: „Ich bin völlig
durcheinander. Ich habe dir gesagt, dass ich mich mit dir einlassen will, aber
ich weiß überhaupt nicht, ob es mit uns etwas werden kann, denn etwas
Schlimmes macht mich so verzweifelt. Wärst du denn bereit, eine Frau zu lieben,
die schon mit vielen Männern geschlafen hat?“ Da nahm Ferdinand sie in
den Arm. „Du bist ein törichtes kleines Mädchen“, sagte er liebevoll.
„Ich kenne doch deine Vergangenheit und weiß, dass du sie brauchtest, um
wieder Achtung vor dir zu haben. Sie würde mich in einer Gemeinschaft überhaupt
nicht stören, denn das muss ich dir jetzt sagen: Ich liebe dich schon seit
unserer ersten Begegnung und hoffe immer mehr, dich einmal ganz zu gewinnen.
Also lass uns dein Vorleben ganz schnell vergessen und nie wieder hervor
holen.“ Glücklich sagte Tanja, er solle morgen gegen 16 Uhr bei ihr sein.
Abends
loggte Ferdinand sich in das Helios-System ein und zog die erwünschten Daten
auf die Festplatte des Vizekonsuls. Sonntag um 16 Uhr klingelte er mit
klopfendem Herzen an Tanjas Wohnung und streckte seinen Rosenstrauß vor: „Die
soll ich hier abgeben.“ „Ach kommen Sie doch für einen Moment herein“,
nahm sie den Scherz auf, „Sie müssen ja ganz erschöpft sein.“ Als er drin
war, fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn stürmisch. „So geht eine
gesittete Frau aber nicht mit einem Blumenboten um“, tadelte er, worauf sie
schallend lachte. Sie stellte die Rosen ins
Wasser, und meinte: „Ich glaube, wir trinken erst mal Kaffee und versuchen
meinen Kuchen.“ Nach dem Kaffee zeigte sie ihm die Wohnung, wobei er am
meisten über das perfekt mit Digitaltechnik ausgestattete Arbeitszimmer
staunte.
Nach dem
Abendessen sagte Tanja verträumt: „Ich freue mich auf einen wunderschönen
Abend mit dir.“ Er hob sie auf, legte sie im Schlafzimmer auf das Bett und zündete
die Kerze auf dem Nachttisch an. Behutsam zog er sie aus und betrachtete
verliebt ihren schönen Körper. Seine zärtlichen Hände streichelten sie, bis
sie sich seufzend unter seinen Liebkosungen wand. Das hatte sie noch nie so
erlebt und eine ungewohnte Wärme durchflutete sie, die sie bald wie eine
brennende Flamme vollständig ausfüllte. Es schien unfassbar, zum ersten Mal
erlebte sie voller Glück die körperliche Gemeinschaft mit einem Mann, den sie
liebte. Schwer atmend ließen die beiden erst nach langer Zeit voneinander ab.
Tanja fragte: „Wo bin ich gewesen?“ „Im siebenten Himmel“, antwortete
er, glücklich ihr das gegeben zu haben. „Ich habe das Gefühl, aus einer
Ohnmacht zu erwachen“, flüsterte sie, „jetzt weiß ich erst, dass ich eine
Frau bin.“ Glücklich umarmte Ferdinand sie und sie blieben lange so
miteinander liegen. Keiner von ihnen dachte an die Zukunft, keiner fragte den
anderen, wie es weiter gehen würde mit ihnen.
Montag früh fragte Ferdinand bei einem Juwelier nach einem
Schmuckstück für eine junge Frau. Der bot er ihm einen goldenen Armreif aus
zwei ineinander verschlungenen Schlangen an, deren farbig emaillierte Köpfe
sich an der Öffnung berührten, die Augen bestanden aus Rubinen. Ferdinand
kaufte den Reif sofort. Als er dann nach
Hause kam, fand er die Tür aufgebrochen und alle Schränke durchwühlt. Sein Laptop
fehlte und der Bedienrechner
war eingeschaltet, man hatte vergeblich versucht, an die Daten zu kommen. „Was
haben sie gesucht?“, überlegte er, „hängt das mit der Helios-Sache
zusammen?“ Wie gut dass er die Platte mit den Helios-Daten vorgestern im
Konsulat abgegeben hatte. Wegen der Versicherung musste er die Polizei
benachrichtigen. Er rief seinen Freund, den Kriminalhauptkommissar Andreas
Belzig an. Der erschien bald darauf mit einem jüngeren Beamten, der
alles sorgfältig fotografierte und auf Fingerabdrücke prüfte..
Schon
bald rief Andreas zurück. „Wir haben den Einbrecher und auch deinen Laptop
bei ihm gefunden“, verkündete er freudig erregt. Sie hatten auf der Tastatur
Fingerabdrücke eines Chinesen gefunden, der schon einmal mit der Polizei zu tun
gehabt hatte. In seinem Kleiderschrank fand man Ferdinands Laptop. Auf die Frage
nach dem Grund des Einbruchs gab er finanzielle Probleme an. Ferdinand
untersuchte den Laptop gründlich, der Dieb war an der Sicherungssoftware
gescheitert. Er überlegte, wer an den Helios-Daten interessiert sein könnte,
hatte ein chinesischer Dienst über die Russen von seinem Fischzug erfahren und
wollte ihn jetzt ebenfalls ausnehmen? Nun, ihm war nichts nachzuweisen, solange
die Russen den Mund hielten und die wären schön dumm, über ihre Aktivitäten
zu plaudern.
Am späten
Nachmittag stand Tanja mit einem Strauß oranger Lilien vor der Tür und er begrüßte
sie mit herzlichen Küssen. Mit ihrer Hilfe schufen sie schnell Ordnung, dabei
erzählte Ferdinand von den Ermittlungen der Kriminalpolizei.
Beim
Abendessen hob Ferdinand das Glas mit den Worten: „Ich hoffe, dass ich Dir
einen annähernd so schönen Abend bereiten kann, wie du mir gestern. Dafür möchte
ich eine Zeile aus dem Hohelied Salomos zitieren: ‚Freunde, esset und trinket
und berauscht euch an der Liebeslust!‘“ Tanja war rot geworden, als sie
antwortete: „Es ist doch jetzt schon wunderschön mit dir, ich habe mich noch
nie so geborgen gefühlt und die Lust soll nachher auch nicht zu kurz kommen.“
Dann entdeckte sie die Schmuckschatulle und fragte erstaunt: „Was ist denn
das?“ „Das soll dich immer an unsere erste gemeinsame Nacht erinnern“,
schmunzelte Ferdinand. Tanja öffnete die Schatulle und nahm den Reif heraus,
dann bedeckte sie Ferdinands Gesicht mit Küssen. „Das ist ein wunderschönes
Stück“, sagte sie, „hab‘ vielen Dank, mein Geliebter. Es passt für mich
genau zu dem herrlichen Erleben, das du mir in der letzten Nacht geschenkt
hast.“ Da nahm Ferdinand die Geliebte hoch und trug sie ins Schlafzimmer, wo
sie wieder alle Freuden erlebten, die zwei liebende Menschen einander schenken können.
Dienstag
rief Andreas Belzig an, sie hätten den Einbrecher verhört und dabei hätte
sich heraus gestellt, dass er einen Teilzeitjob bei der chinesischen Im- und
Exportfirma Chinatrans habe. Sie wollten das weiter untersuchen, möglicherweise
säße dort der Auftraggeber für den Einbruch. Ferdinand vermutete, dass die
Chinesen Interesse an seinen Helios-Daten und einen Spitzel im russischen
Generalkonsulat hätten. Sein Verdacht verstärkte sich, als er am Mittwoch
Besuch von Herrn Deng Liu Satoshi bekam, dem Geschäftsführer der Firma
Chinatrans. Sie hätten gehört, dass es ein Abrechnungs- und
Lagerhaltungssystem auf modernen Computern gebe und überlegten, so etwas einzuführen.
Auch hätten sie viel Gutes über Ferdinands Firma gehört, ob er ihnen
vielleicht geeignete Vorschläge zur Einrichtung eines solchen Systems machen könne.
Abends
erzählte Ferdinand Tanja die Neuigkeiten und sie war ebenso überzeugt, dass
die Chinesen hinter den Helios-Daten her seien. „Ich habe den Verdacht, dass
sie einen Spitzel im Generalkonsulat haben, aber das nicht an die Öffentlichkeit
bringen wollen“, meinte Ferdinand. „Ich kann versuchen, etwas über diese
Firma heraus zu bekommen“, schlug Tanja vor. Donnerstag teilte sie Ferdinand
das Ergebnis ihrer Recherche mit: „Chinatrans ist eine vor anderthalb Jahren
gegründete OHG, an der neben dem Geschäftsführer Deng Liu Satoshi eine
chinesische Behörde zu 51 % beteiligt ist. Das Eigenkapital beträgt nur
5.000,- Euro, der Umsatz im letzten Jahr rund eine Million Euro, ein Gewinn
wurde nicht ausgewiesen. Das Ganze scheint mir eine windige Angelegenheit zu
sein.“ Ferdinand bedankte sich: „Im Moment bereite ich gerade eine Präsentation
über ein kleines SAP-System vor, die ich morgen bei Chinatrans vorführen
will“, erklärte er.
Freitag
fuhr Ferdinand zu Chinatrans. Mr. Satoshi zeigte ihm die Büroräume und das
umfangreiche Lager mit chinesischen Importwaren aller Art. Ferdinand
interessierte sich vor allem für die datentechnische Ausrüstung und fand drei
alte, miteinander vernetzte PC mit Windows 2000, auf denen chinesische
Mitarbeiter mit Excel alle möglichen Datei- und Berechnungsarbeiten ausführten.
Da wusste er genug. „Ich habe eine Präsentation über ein kleines SAP-System
mitgebracht“, sagte er, „wer soll sie denn sehen?“ „Es genügt, wenn Sie
sie mir zeigen“, meinte Mr. Satoshi und führte Ferdinand in sein chinesisch
ausgestattetes Büro.
Er
unterbrach die Vorführung immer wieder mit Zwischenfragen, die Ferdinand
zeigten, dass er sowohl sein Geschäft als auch die gebotenen Leistungen des
Systems verstand. Nach der Präsentation räumte er ein, er müsse das mit
seinen Teilhabern besprechen, ob Ferdinand ihm die Präsentation da lassen könne.
Dann fragte er plötzlich, ob die Helios AG auch zu Ferdinands Kunden gehöre.
In Ferdinands Kopf leuchtete eine rote Lampe auf, aber todernst sagte er, er
habe bisher nichts von dieser Firma gehört.
Abends
erzählte Ferdinand Tanja die Frage nach der Helios AG. „Die Chinesen wissen
also etwas von deinem Fischzug“, sagte sie nachdenklich, „das ist nicht
ungefährlich. Die Chinatrans ist nur ausführendes Organ einer viel höheren
Stelle, die wohl an den Heliofighter heran will. Und sie können das nur aus dem
russischen Generalkonsulat haben, wahrscheinlich haben sie dort einen Spitzel.
Du solltest mal mit Andropow darüber sprechen.“
Am nächsten
Tag fuhr Ferdinand zum Generalkonsulat und bat den Vizekonsul in einen abhörsicheren
Raum. Der war zunächst erstaunt, aber als Ferdinand ihm von dem Kontakt mit
Chinatrans unter besonderem Hinweis auf die Frage nach der Helios AG berichtete,
wurde er sichtlich unruhig. „Es muss in ihrem Hause einen Spitzel der Chinesen
geben, der sie darüber informiert hat, und jetzt wollen sie vermutlich von mir
dasselbe haben“, sagte Ferdinand deutlich verärgert. Andropow dankte ihm für
die Warnung, er habe schon einen bestimmten Verdacht. Mittwoch rief er zurück,
sie hätten den Spitzel gefunden und ihn schon unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen
nach Moskau expediert.
Als
Ferdinand in der folgenden Woche die Angebote zu Chinatrans brachte, dankte ihm
der Chef und brachte unvermittelt wieder das Gespräch auf die Helios AG. Er
habe aus sicherer Quelle gehört, dass Ferdinand Pfingsten mit dieser Firma zu
tun gehabt hätte. Ferdinand antwortete verärgert: „Ich habe Ihnen doch schon
gesagt, dass ich mit dieser Firma keinerlei Geschäftsbeziehungen habe. Und
jetzt möchte ich genau wissen, warum Sie mich schon zum zweiten Mal danach
fragen, verbinden Sie irgendwelche Absichten damit?“
„Mein
Geschäftspartner in der Regierung hat mich gebeten, unverbindliche Beziehungen
zur Helios AG aufzunehmen, weil er meint, evtl. Wissen über die
Flugzeugkonstruktion von ihnen beziehen zu können. Da habe ich gedacht, Sie könnten
mir vielleicht die Tür zu dieser Firma ein wenig öffnen.“ Als Ferdinand das
Wort „Tür öffnen“ hörte, musste er an sich halten, um eine ernste Miene
zu bewahren. Mit Dr. Luisings Schlüsselkarte könnte er den Chinesen jede Tür
bei der Helios AG öffnen. Doch er musste noch nachhaken. „Falls es Ihnen möglich
ist, Ihre Quelle zu nennen, wäre ich Ihnen dankbar. Solche falschen Gerüchte
schädigen mein Geschäft.“
Montag
bat Mr. Satoshi Ferdinand in sein Büro. Dort saßen zwei Chinesen, die der Chef
als seine Partner aus der Regierung vorstellte. Einer von ihnen sagte; „Wir
wissen aus sicherer Quelle, dass Sie dem russischen Generalkonsulat Daten einer
Kampfdrohne beschafft haben, die wollen wir auch von Ihnen haben.“ „Mr.
Satoshi hat mir neulich schon denselben Blödsinn erzählt“, antwortete
Ferdinand lachend, „aber er konnte mir nicht Ihre Quelle nennen.“ „Haben
Sie nicht am Pfingstmontag im russischen Generalkonsulat eine Festplatte mit den
gestohlenen Daten übergeben?“, fragte der Chinese ziemlich scharf.
„Jetzt
weiß ich, woher sie Ihre Fehlinformation haben“, lachte Ferdinand.
„Offenbar haben Sie dort einen Spitzel, der etwas falsch verstanden hat. Ich
habe vor Pfingsten für das Generalkonsulat einen umfangreichen DV-Auftrag für
die Einrichtung einer neuen Anlage ausgeführt und am Pfingstmontag haben wir im
Generalkonsulat den Abschluss der Arbeiten gefeiert. Dabei habe ich den Russen
eine Sicherungsplatte mit den Daten der Anlage übergeben. Fragen Sie Ihren
Spitzel doch, was er wirklich gehört hat.“ „Wenn Sie nicht mit uns
kooperieren“, sagte der Chinese drohend, „werden Sie das bald bitter
bereuen. Vor allem Ihre Freundin könnte Probleme bekommen.“ „Hüten Sie
Ihre Zunge“, antwortete Ferdinand erbost. „Wenn Sie noch etwas von mir
wollen, besuchen Sie mich in meinen Geschäftsräumen und melden sich vorher an.
Ich verhandle mit Ihnen nur noch im Beisein von Zeugen.“
Samstag
saßen die beiden beim Frühstück, als es klingelte und Andreas Belzig mit zwei
Beamten vom BKA vor der Tür stand. Ferdinand hatte kaum Zeit, ihm Tanja als
seine Freundin vorzustellen, da legte er schon seinen Auftrag dar: Es war ihnen
endlich gelungen, den Einbrecher zum Reden zu bringen und der hatte eine haarsträubende
Geschichte erzählt: Ferdinand sei in das Datensystem der Helios AG eingedrungen
und habe für das russische Generalkonsulat Daten einer Drohne entwendet. Die Übergabe
habe am Pfingstmontag im Generalkonsulat stattgefunden. Obwohl ihre Herzen
schneller schlugen, lachten Ferdinand und Tanja lauthals über diese Vermutung.
„Ja“
sagte Andreas beschönigend, „mir kommt das ja auch vor wie eine Geschichte
aus 1001 Nacht, aber der Staatsanwalt sieht Handlungsbedarf und hat uns
beauftragt, deine Räume und Anlage daraufhin zu untersuchen, hier ist der
Durchsuchungsbeschluss. Ich habe zwei Spezialisten mitgebracht und bitte dich,
ihnen den Zugriff zu ermöglichen. Unter uns gesagt, glaube ich, dass der
Einbrecher sich eine Story ausgedacht hat, um seine Tat zu begründen, aber der
Staatsanwalt muss einem begründeten Verdacht nachgehen.“ „Kein Problem“,
meinte Ferdinand und öffnete den beiden mit seinem Passwort den Zugriff auf das
System.
„Wer
soll denn den Einbrecher beauftragt haben, die Daten bei mir zu suchen“,
fragte er dann scheinheilig. „Als wir ihn in die Mangel nahmen, gestand er,
dass sein Chef von der Chinatrans ihn damit beauftragt habe“, antwortete der
Freund nachdenklich. „Schau an“, sagte Ferdinand, „der Chef ist ja auf
mich zugekommen, ich soll ihm ein SAP-System anbieten. Dabei hat er mich schon
zweimal nach Verbindungen zur Helios AG gefragt, was ich verneinen musste, da
diese Firma viel zu groß für mich ist. Und dann haben zwei seiner Genossen
mich sogar bedroht, wenn ich ihnen nicht die Daten liefern würde.“
Tanja
lud die drei zu einer Tasse Kaffee ein, als Andreas‘ Handy klingelte. „Ich
glaube, du hast Recht“, sagte der nach dem Gespräch zu Ferdinand, „das
DV-System bei Helios ist sauber, weder in den Daten noch in den Protokollen sind
irgendwelche Einbruchsspuren zu finden.“ „Sprich doch mal das russische
Generalkonsulat an“, erdreistete sich Ferdinand vorzuschlagen. „Keine
Chance“, antwortete der Kommissar, „wir haben es versucht, sie berufen sich
auf ihre diplomatische Immunität. Entschuldige bitte, dass wir dich am heiligen
Samstag belästigt haben.“
„Puh!“,
rief Tanja aus, als die Beamten weit genug weg waren, „das war ja eng. Ich
hatte schon gefürchtet, sie würden in deinem System irgendwas finden, aber
meine Hochachtung, du hast alle Spuren sorgfältig getilgt.“ „Ich habe ja
schon bei der GSG9 gelernt, nicht die geringste Spur zu hinterlassen. Deshalb
habe ich sämtliche Spuren der Helios-Drohne in meinen Daten vollkommen
beseitigt und mir vom Konsulat einen offiziellen Schein-Auftrag für ein
DV-System erteilen lassen, ihn kunstvoll in den Daten nachgebildet und das
Honorar verbucht und versteuert.
Weißt
du, wenn ich diese ganzen Folgen geahnt hätte, sowohl bei der Kripo als auch
bei Chinatrans, hätte ich die Finger von der Sache gelassen. Hier scheinen sie
ja erst mal zufrieden zu sein, aber bei den Chinesen habe ich das Gefühl, dass
sie noch nicht locker lassen.“ „Wir müssen damit leben“, antwortete Tanja
langsam, „und wir wissen nicht, wie ernst die Polizei den Einbrecher auf die
Dauer nimmt. Aber sieh‘ doch mal, ohne diese Aktion hätten wir uns nicht
kennen gelernt. Ich denke, unser Glück ist einige Probleme wert.“ „Da hast
du vollkommen recht!“, rief Ferdinand und küsste die Geliebte herzlich.
Montag
erschien Mr. Satoshi unangemeldet bei Ferdinand. „Über das Angebot kann ich
noch nichts sagen, ich habe noch kein Placet aus China“, meinte er, „aber
ich möchte mich für den Einbruch meines Mitarbeiters bei Ihnen entschuldigen,
den ich zwar nicht beauftragt, aber durch die leichtsinnige Weitergabe eines Gerüchtes
mit verschuldet habe.“ Ferdinand wusste nicht, ob er lachen oder sich ärgern
sollte. „Mr. Satoshi, ob Sie Ihren Mitarbeiter mit dem Einbruch beauftragt
haben oder nicht, will und kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall müssen Sie
in dem Prozess gegen den Mann die Wahrheit sagen, sonst machen Sie sich nach
deutschem Recht strafbar“, sagte er dann mit mühsamer Beherrschung.
„Aber
ich möchte immer noch gerne die Quelle Ihres Ondit von Ihnen erfahren, das, wie
ich inzwischen gehört habe, mir einen Diebstahl geheimer militärischer Daten
unterstellt. Vorgestern wurde deshalb meine gesamte Anlage vom BKA durchsucht,
natürlich ohne Ergebnis. Ich nehme an, dass der Geheimdienst Ihres Landes
dahinter steckt und einer gezielten Fehlinformation aufgesessen ist, mit der
sich irgendjemand wich-tigmachen wollte.“ Der Chinese wurde bei Ferdinands
Standpauke immer kleiner und entschuldigte sich noch einmal, das sei alles ein
furchtbares Missverständnis,
Mittags
kamen der SAP-Vertreter und Mr. Satoshi zu ihm. Der Vertreter lud die beiden zum
Essen ein und der Chinese bat ihn, die Preise noch einmal zu überdenken.
„Weil Sie ein Erstkunde sind und uns vielleicht helfen können, einen neuen
Markt zu öffnen, sind wir bereit, Ihnen einen Rabatt von 10 % zu gewähren. Außerdem
werden wir Ihre Mitarbeiter zwei Tage in die Übernahme der Daten einführen“,
sagte der Vertreter nach kurzer Rücksprache mit seiner Zentrale. Der Chinese
bedankte sich und unterschrieb den Leasingvertrag, worauf Ferdinand einen Code
bekam, mit dem er die Software über das Internet herunter laden konnte. Von Mr.
Satoshi bekam er den unterschriebenen Installationsauftrag.
Dienstag
nahm Ferdinand die Anlage in Betrieb und verband die Fritzbox mit dem
DSL-Ausgang des Telefonanschlusses. Dann zeigte er dem Chef und den Angestellten
die allgemeine Benutzung. Mittwoch und Donnerstag kam ein Trainer von SAP, der
die Mannschaft in der Nutzung der Programme einwies und ihnen zeigte, wie sie
mit geringem Aufwand die Excel-Dateien aus den alten Rechnern in das neue System
übertragen konnten. Freitag begannen die Mitarbeiter von Chinatrans mit der Übertragung
der Daten in das neue System, sie wollten die Arbeit über das Wochenende
fortsetzen, um Montag mit dem Probebetrieb beginnen zu können.
Ferdinand
und Tanja hatten beschlossen, am Wochenende in München zu bleiben. Tanja küsste
ihn zärtlich und streichelte ihn sanft von den Füßen aufwärts über die
Leistenbeuge bis zum Hals, bis sie sah, dass er so weit war. Dann unterbrach sie
ihre Küsse und fuhr mit den Lippen langsam über seinen Hals, die Brust und den
Bauch, bis sie schließlich das Zentrum seiner Lust erreichte und er dankte
seiner Geliebten mit tiefen Küssen. „Es war doch auch für mich schön, dich
so zu erleben. Wenn ich selbst engagiert bin, kann ich doch gar nicht darauf
achten“, antwortete Tanja, während Ferdinand ihre Brustspitzen küsste.
„Und jetzt zitiere ich auch das Hohelied Salomos“, fuhr sie zärtlich fort:
„Ein Apfelbaum unter Waldbäumen ist mein Geliebter unter den Burschen. Wie süß
schmeckt seine Frucht meinem Gaumen!“
Danach
konnte Ferdinand auch noch einmal das Hohelied zitieren: „Dein Schoß ist ein
runder Becher, würziger Wein mangelt ihm nicht. Dein Leib ist ein Weizenhügel,
mit Lilien umstellt. Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge
einer Gazelle.“ Liebevoll strich Tanja ihm über die Haare. Sie standen nur
zum Abendessen auf und holten alles nach, was sie in der Woche miteinander versäumt
hatten.
Aus Kapitel 7 „Kampf“
Seitenanfang
Ferdinand
entschloss sich, Andreas Belzig über die Forderungen und Drohungen der Chinesen
zu informieren. Der fragte noch einmal, ob irgendetwas an der Helios-Sache wahr
sei, was Ferdinand wieder entschieden verneinte. Er nannte ihm den Verdacht,
dass sie einen Spitzel im russischen Generalkonsulat haben, der die Übergabe
der Sicherungsplatte falsch verstanden hatte. Andreas meinte: „Zum ersten Mal
haben die Chinesen eine Drohne von Helios genannt, offenbar wollen sie eine
geheime deutsche Militärproduktion ausspionieren, da muss ich den Militärischen
Abschirmdienst informieren und deine Freundin sollte in der nächsten Zeit
vorsichtig sein und nie alleine ausgehen.“
Ferdinand
dankte ihm und rief Tanja noch einmal an, um ihr Andreas' Warnung mitzuteilen.
Doch sie lachte nur: „Immerhin habe ich dir bei der Sache geholfen, da muss
ich jetzt auch die Folgen mit tragen. Und vergiss nicht, dass ich seit der Sache
im Bayerischen Hof schon eine ganze Menge Jiu Jitsu gelernt habe.“ Ferdinand
war kaum zu Hause, da erschienen zwei Beamte der Abteilung III, Spionageabwehr
des MAD und ließen sich das Gespräch mit den Chinesen berichten. „Sind Sie
ganz sicher, den Begriff ‚Kampfdrohne‘ gehört zu haben“, fragte einer der
Beamten und fügte hinzu, als Ferdinand nickte: „das kann nur der Heliofighter
sein, mich wundert, dass die Chinesen diesen Namen nicht genannt haben, die
Helios macht doch im Internet Reklame damit.“
Dienstag
fuhr Tanja wie üblich nach der Arbeit in ihrem Porsche zu Ferdinands Apartment.
Unterwegs hatte sie manchmal das Gefühl, dass die Bremsen nicht richtig zogen
und beschloss, den Wagen am nächsten Tag in die Werkstatt zu geben. Am
Stiglmaierplatz stand ein Mercedes vor einer roten Ampel und sie wollte hinter
ihm anhalten, doch nun funktionierten die Bremsen überhaupt nicht mehr und sie
schoss dem Wagen voll ins Heck. Ihr Gurt hielt zwar den Körper, doch durch den
Aufprall flog ihr Kopf vorwärts und sie verlor die Besinnung. Fünf Minuten später
rief ein Polizist bei Ferdinand an, ob er eine Frau Novikova kenne, man habe
seine Nummer bei ihr gefunden.
„Was
ist mit ihr?“, fragte Ferdinand ängstlich. „Sie ist am Stiglmaierplatz an
einer roten Ampel ungebremst auf einen Wagen aufgefahren und wird von der
Feuerwehr ins Klinikum rechts der Isar gebracht“, war die Antwort. „Das
sieht nach einem Attentat aus“, rief Ferdinand in den Hörer, „sie ist schon
bedroht worden. Lassen Sie den Wagen unberührt stehen, ich benachrichtige die
Kriminalpolizei.“ Der Beamte meinte, er müsse die Kreuzung räumen, doch
Ferdinand hatte schon mit seinem zweiten Apparat Andreas angewählt und
berichtete ihm seinen Verdacht. Er hörte, wie Andreas dem Polizisten auftrug,
den Porsche unberührt stehen zu lassen und den Verkehr umzuleiten. Dann war er
wieder für Ferdinand da. „Nach den Schilderungen des Streifenbeamten sieht es
nach Manipulation der Bremsen aus. Kann sein, dass die Chinesen sich bei dir
melden und Forderungen stellen. Ich lasse dein Telefon überwachen, halte sie möglichst
lange fest und gehe noch auf keine Forderung ein.“
Kurz
nach 22 Uhr klingelte Ferdinands Telefon am nächsten Abend. „Na, haben Sie
sich die Helios-Sache noch mal überlegt?“, hörte er die Stimme des dicken
Chinesen, „Sie merken wohl, dass mit uns nicht zu spaßen ist, ich denke, Ihre
Bereitschaft zur Kooperation wird sich verbessert haben. Wir wollen genau die
Daten der Kampfdrohne von Helios, die Sie den Russen geliefert haben, und weiter
nichts.“ „Ich habe Ihnen schon mehrfach gesagt, dass ich weder Daten einer
Drohne besitze noch sie an irgendjemanden geliefert habe. Da Sie mich aber
derart unter Druck setzen, könnte ich mir vorstellen, über das Internet in die
Helios AG einzudringen. Rufen Sie mich am besten morgen Abend um dieselbe Zeit
wieder an.“
Mittwoch
meldete sich Andreas: „Die Bremsleitungen des Porsche sind eindeutig
angeschnitten worden. Wahrscheinlich werden die Chinesen dir heute Abend sagen,
wo du ihnen die Daten übergeben sollst. Die Helios AG hat sich bereit erklärt,
mit uns zusammen zu arbeiten und du bekommst eine Festplatte mit falschen Daten
von ihnen, was sie aber erst in China erkennen können. Diese Platte kannst du
ihnen anbieten und sie werden dir einen Treffpunkt für die Übergabe nennen. Spätestens
da nehmen wir sie hoch, wenn wir es nicht aufgrund der Anrufe schon eher können.“
Pünktlich
um 22 Uhr klingelte Ferdinands Telefon „Haben Sie die Daten?“, hörte er den
Dicken. „Ja, es war zwar sehr schwierig, aber ich denke, ich habe alle Ihre Wünsche
erfüllt. Wohin soll ich die Platte bringen?“ „Fahren Sie jetzt gleich die
Cosimastraße nach Norden. Biegen Sie gegenüber der Lohengrinstraße rechts ab,
biegen Sie in den nächsten Querweg links ein und fahren sie dort 100 Meter
weiter, dort steigen sie mit der Platte in der Hand aus. Sehen Sie zu, dass Sie
los kommen, Sie werden mindestens 15 Minuten brauchen“, sagte der Chinese,
dann war die Verbindung unterbrochen. „Herr Belzig möchte Sie
sprechen“, sagte der Beamte am Handy, dann hörte Ferdinand auch schon den
Freund: „Hallo, mein Lieber, nun geht das Abenteuer los. Das ist eine ziemlich
wilde Gegend dort mit freien Flächen und ein paar Büschen. Wir werden mit dem
SEK dort sein und die Wagen verstecken, es ist ja dunkel und niemand kann uns
sehen.
Ferdinand
nahm die Platte und fuhr los. Der genannte Abzweig war ein Feldweg, nach dem
Tacho fuhr er 100 Meter weiter, hielt an einem Busch und stieg aus. Nach zehn
Minuten näherte sich ein Kleinbus und ein Mann stieg aus, Ferdinand konnte im
Dunkeln den dünnen Chinesen erkennen. „Haben Sie die Platte?“, rief er, und
als Ferdinand bejahte, „bringen Sie sie her!“ Ferdinand ging zu ihm und
wurde in den Kleinbus komplimentiert. Auf einem kleinen Tisch stand ein Laptop
und an einem Haken sah er ein kleines Gerät mit einem roten Druckknopf hängen,
das wie ein Fernauslöser aussah. Der Chinese stöpselte die Platte in die
USB-Schnittstelle des Laptops, sah sich die Ordnerstruktur an und rief auch
einige Dateien auf. „Scheint ja, als ob Sie alles herausgeholt haben, was wir
brauchen. Jetzt hauen ganz schnell ab.“
Ferdinand
ging gemächlich zu seinem Wagen, den er in der Dunkelheit kaum sehen konnte.
Der Gedanke an den Fernauslöser beunruhigte ihn. Er öffnete die Tür, schlug
sie aber nach fünf Sekunden von außen wieder zu und sprang nach links in die Büsche,
wo er sich auf den Boden warf. Im nächsten Augenblick explodierte der Wagen und
einige Teile flogen über ihn hinweg. Er sprang auf und sah den Bus abfahren,
aber von zwei Seiten versperrten ihm Einsatzwagen den Weg.
Andreas Belzig, kam angelaufen. „Mensch, das war knapp,
ich dachte schon, du wärst mit drauf gegangen“, rief der Freund. „Nein“,
lachte Ferdinand, „der Kerl hatte den Fernauslöser offen an der Wand hängen,
das war mir Warnung genug. Habt ihr ihn?“ „Ja sicher, und der andere wird
gerade in seiner Behausung hochgenommen. Vielen Dank für Deine grandiose
Mitarbeit, die ohne deine Aufmerksamkeit mächtig ins Auge gegangen wäre.
Komm’, ich bringe dich nach Hause. Die Reste deines Wagens nehmen wir zur
Untersuchung mit.“
Aus Kapitel 8 „Heroin“
Nach der aufregenden Sonntagnacht bahnte sich ein nicht
weniger aufregender Montag an. Schon um 7 Uhr rief Andreas Belzig an. „Wir
wollten gerade Mr. Satoshi festnehmen, weil wir überzeugt sind, dass er in der
Sache mit drin steckt, doch er ist schon um 6 Uhr fluchtartig nach China
geflogen“, berichtete er verärgert. „Da hat der sich ja noch rechtzeitig
aus dem Staube gemacht“, grinste Ferdinand, „und wahrscheinlich wird er nie
wieder nach Deutschland zurückkommen. Ich werde gleich mal sehen, wie sie mit
dem neuen System klar kommen.“
Bei
Chinatrans herrschte helle Aufregung, weil sie jetzt keinen Chef hatten, und
Ferdinand riet den Leuten, erst mal so weiter zu machen wie bisher. Er
kontrollierte die Funktionalität der einzelnen Programme und zeigte ihnen, wie
sie täglich die Arbeitsergebnisse auf dem Server zu sichern hatten. Im Chefbüro
fand er den Laptop, den sich Mr. Satoshi vorbehalten hatte, hier waren nur hier
die Finanz- und Personaldaten hinterlegt. Die Firma machte einen erheblichen
Gewinn, der aber so geschickt gegen die laufenden Kosten und vor allem die
Abschreibungen verrechnet wurde, dass nichts für die Steuer übrig blieb.
Trotzdem gingen erhebliche Zahlungen an eine chinesische Bank. Dann fand er
einen Ordner mit einem Namen in chinesischer Schrift, der mit einem Passwort
gesichert war.
Da der
Ordner geschützt war, könnten er vielleicht illegale Waren wie Heroin
enthalten und dieses Wort war richtig. Die jüngste Datei in diesem Ordner war
eine Excel-Tabelle mit Spaltenüberschriften in chinesischer Schrift. Die erste
Spalte enthielt chinesische Namen, die zweite Datumsangaben, in der dritten gab
es Mengenangaben und in der vierten Geldbeträge. Aus den hohen Geldbeträgen zu
geringen Mengen ließ sich schließen, dass es sich wahrscheinlich um Rauschgift
handelte. Ferdinand rief Andreas an und erzählte von seinem Fund. „Ich
besorge einen Durchsuchungsbefehl, mit dem wir den Laden offiziell auf den Kopf
stellen können und bringe die Drogenfahndung mit.“, sagte der ziemlich
erregt. Als Andreas mit den Beamten kam, verließ Ferdinand die Firma.
Später
bestätigte ein chinesisch sprechender Beamter Ferdinands Vermutung. „Das
sieht aus wie die Abrechnung über An- und Verkauf kleiner Mengen eines Stoffes
zu immensen Preisen.“, resümierte er. „Aber wir haben im ganzen Laden kein
Rauschgift gefunden“, warf Andreas ein. „Habt ihr schon Satoshis Wohnung
oder die der beiden anderen Gauner durchsucht?“, fragte Ferdinand. „Ist in
Arbeit“, meinte Andreas stolz, „aber was versteckt sich hinter den Namen?“
Beim weiteren Suchen fanden sie eine Datei mit Adressen und
Telefonnummern der in der ersten Spalte genannten Namen und Ferdinand fuhr nach
Hause. Bald danach rief
Andreas an: Sie hatten in einem geheimen Versteck im Keller von Mr. Satoshis
Wohnung fast 10 kg Heroin im Schwarzmarktwert von 800.000,- Euro gefunden und
gingen jetzt daran, die Leute aus der Liste hochzunehmen.
Nach
Abendbrot sagte Tanja leise. „Ich hatte gestern Abend ein ganz ängstliches
Gefühl um dich, wie ich es sonst nicht kenne. Ich ahnte, dass du in Gefahr
schwebst, und habe Gott gebeten, dich mir zu erhalten, damit ich nicht schon
wieder alleine bin. Erst später kam mir der Gedanke, dass das ein sehr
egoistisches Gebet war und dann habe ich für dich gebetet. Du bist solch ein
wundervoller Mensch, da kann Gott doch deinen Tod nicht wollen.“
Ferdinand
küsste sie zärtlich. „Ich bin sicher, dass dein Gebet mir geholfen hat,
nicht ins Auto zu steigen. Und ich habe auch Gott gedankt, dass er mich so gut
behütet hat.“ „Ja“, antwortete Tanja nachdenklich, „Gott war immer eine
Realität in meinem Leben, aber mit dem, was in der Kirche gepredigt wird,
konnte ich nie etwas anfangen. Sicherlich hat Jesus gelebt und die Menschen viel
Wertvolles gelehrt, aber ich konnte ihn mir nie als einen Gott vorstellen. Und
sicherlich ist Maria seine Mutter, deshalb habe ich sie ja damals in der
Frauenkirche auch als mütterliche Frau um Hilfe gebeten, aber sie wird ihn doch
ganz normal von ihrem Mann empfangen haben. Ich habe manchmal das Gefühl, dass
die Kirchen all diese seltsamen Dinge predigen, um Macht über die Menschen zu
haben.“
„Du
sprichst mir aus der Seele“, meinte Ferdinand. „Auch ich habe schon aus den
Erfahrungen der Kindheit nicht viel mit der Kirche am Hut. Wenn ich nur an die
Verteufelung der Sexualität denke, weiß ich, warum ich mich von diesem Verein
abgewandt habe.“ „Ja, Schatz, das hängt doch alles zusammen“, warf
Tanja ein. „Schau mal: Die Sexualität ist ein wundervolles Geschenk Gottes,
damit die Menschen sich aneinander erfreuen können. Und die Kirche tut seit
Jahrhunderten nichts anderes, als dieses Gottesgeschenk zu verteufeln, weil sie
den Menschen die Freude am Körper nehmen und ihnen vorschreiben will, wie sie
mit dieser wundervollen Gabe umzugehen haben.“
„Es
ist schön, mit dir so offen darüber sprechen zu können, das konnte ich noch
mit keinem Menschen. Und ich freue mich, dass wir dieselben Ansichten haben“,
schloss Ferdinand das Thema ab, „aber jetzt sollten wir die Theorie abschließen
und zur Praxis übergehen.“ Lachend beugte sich Tanja über ihn und
streichelte seinen Körper. „Du hast Recht“, flüsterte sie und zog ihn an
sich.
Dienstag
früh klingelte das Telefon. „Mein Name ist Felix Maurer, ich bin der
Sicherheitschef der Helios AG, entschuldigen Sie die frühe Störung, aber wie
wir vom MAD gehört haben, sind Sie in eine Art Spionagefall involviert, der mit
unseren Daten zusammen hängt. Dr. Luising, unser DV-Chef, ist an Ihren Ratschlägen
interessiert, um die Sicherheit seiner Anlage zu verbessern. Würde es Ihnen
irgendwann passen?“ „Um 14 Uhr kann ich bei Ihnen sein“, antwortete
Ferdinand.
Dr.
Luising fragte, was es mit der Datenplatte auf sich habe, die der MAD von Helios
haben wollte und Ferdinand erzählte dieselbe Geschichte von seinem Auftrag für
das russische Konsulat und wie er den Russen die Sicherungsplatte übergeben
hatte. Ein Spitzel musste daraus die Übergabe von Daten einer Drohne verstanden
und an die Chinesen gegeben haben. „Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Platte
mit den falschen Daten zur Verfügung gestellt haben, die der Chinese bei der Übergabe
für echt hielt.“
„Wir würden gerne die Sicherheit unserer Daten gegen
Angriffe von außen mit Ihnen besprechen“, nahm der Sicherheitschef das Wort.
„Wie überwachen Sie denn die Router gegen Manipulationen durch Ihre
Mitarbeiter?“, wollte Ferdinand wissen. „Wenn ein Bösewicht unbemerkt eine
schädliche IP-Adresse hinein schmuggelt, hat diese Adresse jederzeit Zugriff
auf das System. Nur wenn Sie die Integrität der Router sicher überwachen, können
Sie so etwas ausschließen.“ Das sahen die beiden Herren ein und vereinbarten
mit Ferdinand, ihnen eine Studie über die Sicherung des-Systems gegen unerwünschten
Zugriff zu erarbeiten. Sein Preis von 3.000,- € wurde problemlos akzeptiert
und er ließ sich die Routingtabellen geben.
Zu Hause berichtete Ferdinand lachend Tanja von dem
Auftrag. „Als ich vor neun Wochen dort eingebrochen bin, habe ich mir nie träumen
lassen, dass ich jetzt für diese Firma über die bessere Sicherheit ihrer
Anlage nachdenken soll, die ich neulich selber geknackt habe. Ich bin nur froh,
nach der letzten Aktion für Andropow meinen geheimen Zugang gelöscht zu
haben.“
Aus Kapitel 10 „Iran“
Seitenanfang
Als Ferdinand
die Routingtabellen von Helios miteinander verglich, fand er in der Tabelle des
Clusters 2 die Adresse 134.175.227.23, die weder in der Liste noch im anderen
Cluster enthalten war. Er gab sie in ein Suchprogramm ein und fand ein
Forschungsinstitut im Industriegebiet Shamsabad im Iran, doch als er die Adresse
anwählte, wurde er als nicht berechtigt abgewiesen. Sein
Verdacht hatte ihn nicht getrogen, außer seinem Einbruch gab es noch andere,
die bei Helios spionierten. So arbeitete er die Empfehlung aus, wie sie ihr Netz
gegen Angriffe von außen besser sichern könnten:
- Regelmäßiger
Vergleich der Routingtabellen beider Cluster mit dem in einer Liste hinterlegten
Sollzustand,
-
Zugriff auf die Routingtabellen nur mit Passwort,
-
Offene Protokollierung jeder Änderung in diesen Tabellen,
-
Striktes Verbot an alle Mitarbeiter, ihre Smartphones oder Tablets
mit den Rechnern zu verbinden.
Montag
früh erläuterte Ferdinand den Helios-Leuten seine Entdeckung. Ein Blick in die
Routingliste des Cluster 2 zeigte, dass dieser Zugriff noch immer aktiv war.
„Einer von Ihren Leuten muss die Routingliste heimlich erweitert haben“,
sagte Ferdinand, „und da Sie sie nicht regelmäßig prüfen, wurde das nicht
entdeckt.“ „Ein Programmierer hat sich krank gemeldet, gleich nachdem Sie
bei uns waren“, erinnerte Dr. Luising sich, „er ist ein Exiliraner mit Namen
Sadegh Korduan.“
„Wo
wohnt der Mann?“, fragte Herr Maurer, „ich schicke sofort jemanden hin.“
Dr. Luising wollte den Zugriff im Router sperren, doch Ferdinand warnte ihn:
„Wenn Sie diesen Zugriff sperren, merken die Iraner, dass sie entdeckt worden
sind. Ich halte es für besser, den Zugriff auf falsche Daten umzuleiten und zu
beobachten.“ Er versprach, innerhalb von zwei Tagen ein Konzept zu erarbeiten,
wenn Helios ihm einen Überblick über die gesamte Datenstruktur geben könne.
Dr. Luising hatte Bedenken, doch der Sicherheitschef drang darauf und Ferdinand
erhielt die Daten und den Auftrag.
Dr.
Luising ließ die Protokolle der Server untersuchen, der Zugriff hatte hauptsächlich
den Konstruktionsdaten der Abfangrakete Helioguard gegolten. „Das ist ganz
schlimm“, sagte er niedergeschlagen, „denn diese Daten sind streng geheim,
das ganze Projekt ist ja noch in der Planung. Ich muss den Vorstand informieren
und der wird nicht begeistert sein.“
Zu Hause
wollte Ferdinand in die Adresse des Forschungsinstituts im Iran eindringen. Weil
er bei solchen Aktionen nie mit seiner eigenen Adresse arbeitete, schaltete er
sich wieder einen Umweg über mehrere ausländische Server. Er überlegte, welch
Passwort der iranischen Mentalität am nächsten käme, sicherlich etwas Religiöses.
„Nicht immer seid ihr Männer am wichtigsten“, lachte Tanja,
„Mohammeds Tochter Fatima wird sehr verehrt. Versuche es doch mal mit diesem
Namen.“ Ferdinand gab ihn ein und das Dateisystem einer Forschungseinrichtung
der Bonyads öffnete sich, das sind religiöse Stiftungen, die die Wirtschaft
beherrschen und dem obersten Religionsführer unterstehen. Ferdinand rief
Andreas an, der den MAD informieren wollte.
Abends
klingelte das Telefon. „Sind Sie der Rechnerfachmann, der in der letzten Woche
bei der Helios AG Routinglisten mitgenommen hat? Ich bin dort Programmierer und
war krank, aber da ich morgen wieder zum Dienst kommen will, möchte ich wissen,
ob Sie Unregelmäßigkeiten festgestellt haben“, sagte der Fremde. „Ja, ich habe festgestellt, dass die
Routinglisten nicht mit der Liste der zugelassenen Adressen übereinstimmen“,
war Ferdinands nur teilweise richtige Antwort. „Und sonst haben Sie keine
Abweichung gefunden?“ „Ich kann Ihnen dazu nichts sagen“, antwortete
Ferdinand und legte auf.
„Das
war sicherlich der Iraner“, meinte Tanja, „er wollte wissen, ob seine
Manipulation bemerkt worden ist. Vermutlich wird er morgen wieder bei Helios
erscheinen und kann dann hochgenommen werden.“ „Da muss ich gleich noch den
Sicherheitschef warnen“, sagte Ferdinand und ließ sich mit Herrn Maurer
verbinden. Der lag schon im Bett, war aber hell wach, als Ferdinand ihm von dem
Anruf und seiner Fahndung in dem iranischen System erzählte. Auch seine
Anregung, den MAD zu informieren, nahm Herr Maurer an. „Wir leben ja fast nur
noch für Helios“, klagte Tanja lachend, als sie zu Bett gingen. „Aber wir
verdienen nicht schlecht daran“, war Ferdinands Antwort.
Als Ferdinand Dienstag früh zu Helios kam, erwarteten ihn
schon die Herren Dr. Luising und Maurer sowie ein Beamter des MAD. Der Iraner
sei pünktlich mit einer Gesundschreibung zur Arbeit gekommen, sie hätten ihn
aber nichts merken lassen, sondern nur überwacht. Sobald es ihm möglich war,
hatte er sich in den Router des Cluster 2 eingewählt und die Fremdadresse geprüft,
da habe der MAD ihn festgenommen.
Abends
stand ein Mann mit persischem Aussehen vor Ferdinands Tür, der sich als
Rechtsanwalt Dr. Madinedschad vorstellte. „Kennen Sie Herrn Korduan?“ fragte
er, und als Ferdinand verneinte, fügte er hinzu: „Er ist Programmierer bei
der Helios AG, der aus dem Büro heraus
unschuldig festgenommen wurde, weil er
am Abend vorher von Ihnen eine falsche Auskunft erhalten hat. Ich bin sein
Anwalt.“ Ferdinand überlegte einen Moment, bevor er weiter sprach: „Ich war
vor neun Tagen bei Helios, weil sie einen Rat haben wollten, wie sie ihr System
gegen Angriffe von außen besser schützen können.
Montag
sagte ich Ihnen, dass ihre Liste nicht mit den aktuellen Tabellen übereinstimmt.
Dabei hörte ich, dass sich kurz nach meinem ersten Besuch ein Programmierer
krank gemeldet hat und seitdem verschwunden war. Am selben Abend rief mich ein
Programmierer von Helios an, wahrscheinlich war er es, und fragte nach den
Ergebnissen meiner Untersuchungen. Ich sagte ihm nur etwas von den Diskrepanzen
zwischen der Liste und den Tabellen, weitere Auskünfte verweigerte ich, denn
die Helios AG ist mein Kunde und ich informierte sie selbstverständlich über
das Gespräch. Ich habe dem Mann also keine falsche Auskunft gegeben sondern so
gut wie keine. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.“
„Warum
ist der Herr denn inhaftiert worden?“, wollte Tanja wissen. „Das weiß weder
er noch ich“, klagte der Anwalt. „Und warum ist er unmittelbar nach meinem
ersten Besuch, als ich die Routingtabellen mitgenommen habe, spurlos
verschwunden?“, fragte Ferdinand ziemlich scharf. „Ich habe den Verdacht,
dass er die Router manipuliert hat, um jemandem von außen Zugriff auf das
System zu verschaffen, und deshalb zunächst verschwunden ist. Die Helios-Leute
werden wohl etwas Schädliches festgestellt und die Polizei benachrichtigt
haben, die ihn dann am festgesetzt hat. Ihr Mandant hat sich durch sein
Fernbleiben verdächtig gemacht. Und wenn er etwas in dieser Richtung getan hat,
hat er einen Auftraggeber, der hauptverantwortlich ist. Fühlen Sie ihm mal auf
den Zahn, es ist für einen Anwalt immer gut, genau Bescheid zu wissen.“
Aus Kapitel 11 „Helios“
Freitag früh berichtete Ferdinand Andreas Belzig von dem
Gespräch und fuhr zu Dr. Luising. Das Adressbuch im Mailaccount des Programmierers zeigte unter anderen die
Adresse des Vertriebsdirektors für den Nahen Osten und Asien. „Da muss ich
gleich Herrn Maurer verständigen“, rief der DV-Chef. Ferdinands Handy
klingelte, Andreas war am Apparat: „Wir haben im Rechner des Iraners
Informationen über seine Hintermänner gefunden, die in den höheren Rängen
der Helios AG angesiedelt sind. Weißt du, wer dort für die Sicherheit zuständig
ist?“ „Ja, das ist Herr Maurer und der steht neben mir“, sagte Ferdinand
lachend, „ich gebe ihn dir mal.“ „Vielen Dank für die Information, wir
sind schon auf dem Weg“, sagte der Sicherheitschef, „ich soll zu ihm kommen
und Sie mitbringen.“
Im
Polizeipräsidium begrüßte Andreas sie aufgeregt, den Experten der Polizei war
es gelungen, Korduans privates E-Mailkonto zu öffnen. Dort gab es einen
lebhaften Mailverkehr mit Tayyip Şanlıbay in Istanbul, den Herr Maurer
als Vertriebsdirektor der Helios AG für den Nahen Osten und Asien erkannte und
aus dem hervorging, dass dieser Herr den Programmierer beauftragt hatte, die
IP-Adresse des iranischen Instituts in die Routingliste einzusetzen. Heute Abend
wollte er nach München kommen. „Was sagen Sie dazu?“, fragte Andreas den
Sicherheitschef. „Ich muss sofort den Vorstand informieren“, antwortete der,
„können Sie den Kerl bei der Einreise festnehmen?“ „Ich denke schon“,
meinte der Beamte.
Herr
Maurer stellte Ferdinand dem Vorsitzenden Dr. Newi vor. „Ich habe gehört,
dass Sie sich um die Sicherheit unserer Daten verdient machen, die anscheinend
jeder über das Internet abrufen kann“, begann der Vorsitzende ärgerlich.
„Und die Sache mit Herrn Şanlıbay ist ja nur die Spitze des
Eisberges, denn gestern erhielt ich vom MAD eine vertrauliche Mitteilung, dass
die Russen in Novosibirsk unsere Drohne Heliofighter nach unseren Plänen
nachbauen. Wie sind die an unsere Daten gekommen? Haben wir noch einen Maulwurf
bei uns oder steckt da auch Şanlıbay mit drin?“
Ferdinand
musste sich beherrschen, sich nichts anmerken zu lassen. Da hatten die Russen
die Daten also nicht genügend sorgfältig verborgen. Nun war er richtig froh über
das Eindringen der Iraner, da konnte man die Heliofighter-Sache auch auf die
mangelnde Sicherheit der Router schieben. „Das gefällt mir nicht“, wandte
sich Dr. Newi an den DV-Chef, „wir haben durch diese Spionage einen
erheblichen Vertrauensverlust und möglicherweise auch wirtschaftlichen Schaden
erlitten, der hauptsächlich auf die nicht ausreichende Sicherung in Ihrem
Bereich zurück zu führen ist. Ich möchte unser gesamtes Rechnersystem von
einem unabhängigen Experten auf mögliche Fehlerquellen und Verbesserungen überprüfen
lassen. Würden Sie das übernehmen, Herr Wagner?“
„Dazu
muss ich sagen, dass Ihr DV-System in einer Reihe von Komponenten überaltert
ist, so dass die Sicherheit erst nach einer teilweisen Erneuerung verbessert
werden kann“, sagte Ferdinands langsam. „Ich muss alle Module prüfen und
ein umfassendes Konzept für das gesamte System erstellen. Bis Mitte nächster
Woche kann ich Ihnen ein Angebot über meine Anforderungen, den Zeitaufwand und
die Kosten machen.“ Mit den Worten: „Ich warte darauf, wenn möglich, schon
zum Anfang der Woche“, schloss der Vorsitzende das Gespräch ab.
Ferdinand
wusste, dass er ohne gute Kooperation mit Dr. Luising hilflos war und bat ihn um
ein Gespräch. „Sie wissen, dass ich mich nicht um diesen Auftrag reiße, und
wenn Sie dagegen sind, werde ich kein Angebot abgeben“, beruhigte er den
DV-Chef. „Aber der Vorstand scheint wild entschlossen zu sein, diese
Untersuchung durchführen zu lassen, und wenn Sie mich nicht wollen, wird er
jemand anderes beauftragen, den Sie nicht kennen. Wenn Sie mit mir kooperieren,
werde ich jeden Winkel Ihres Systems unter die Lupe nehmen und vielleicht
springt dabei manche Verbesserung heraus. Rufen Sie mich doch bitte bis morgen
gegen 10 Uhr an, denn ich brauche das Wochenende für das Angebot.“
Sonntag
stellte Ferdinand seinen Arbeitsplan für die nächsten fünf Wochen zusammen:
1. Erfassen
aller Hardwaremodule und ihres Zusammenspiels incl. Netzwerk und
Betriebssysteme,
2.
Erfassen der
gesamten Anwendersoftware auf allen Systemen
3.
Feststellen von
Engstellen und Problemen und Erarbeiten von Verbesserungsvorschlägen,
4.
Entwurf eines
Ablaufplans für die Erneuerung ohne Störung des laufenden Betriebs,
5.
Zusammenfassung
aller Einzelergebnisse in einem Bericht.
Insgesamt
schätzte er den Zeitaufwand auf 300 Arbeitsstunden und wollte die Arbeit
innerhalb 5 Wochen fertig stellen. Dafür setzte er Kosten von 90.000,- Euro mit
50 % Anzahlung an.
Montag
früh gab Ferdinand eine Kopie seines Angebots in den Posteingang für den DV-Chef
und brachte das Original direkt ins Vorstandssekretariat. „Moment“, sagte
die Sekretärin, „Dr. Newi ist hier. Ich frage ihn, ob er Sie gleich sprechen
will.“ Einen Moment später bot Dr. Newi ihm einen Platz am Besprechungstisch
an und setzte sich zu ihm, eine Geste, die Ferdinand zu schätzen wusste. Der
Vorstandschef überflog Ferdinands Schreiben, dann meinte er: „Billig sind Sie
ja nicht gerade, aber es war schon immer etwas teurer, etwas Gutes haben zu
wollen. Ich glaube, bei Ihnen sind wir in guten Händen.“
Um 17
Uhr war Dr. Luising bei Ferdinand, man sah förmlich den Schreck in seinem
Gesicht, als er Tanja erblickte. „Darf ich Ihnen meine Assistentin, Frau
Novikova vorstellen“, sagte Ferdinand höflich, als Tanja dem Gast die Hand
reichte. Dr. Luising war vollkommen verwirrt, er erinnerte sich noch gut an
Betsys zärtliche Behandlung und ihm war brennend klar, dass er seine Frau mit
ihr betrogen hatte. Immer wieder musste er Tanja heimlich anstarren, was sie
schmunzelnd zur Kenntnis nahm. „Kennen wir uns irgendwie?“, fragte sie
scheinheilig. „Wahrscheinlich nicht“, war Dr. Luisings verlegene Antwort.
„Sie sehen nur einer Frau ähnlich, der ich einmal begegnet bin.“
„Hoffentlich war es eine angenehme Begegnung“, meinte Tanja freundlich.
„Ich glaube schon, doch ich kann mich kaum noch daran erinnern, es ist schon
lange her.“
„Frau
Novikova hat das Angebot mit ausgearbeitet und wird mich auch bei der Ausführung
unterstützen, es wäre mir lieb, wenn sie an dem Gespräch teilnehmen könnte“,
bat Ferdinand und Dr. Luising stimmte zu. Dann fragte er, was die Organisation
seines Bereiches mit dem Auftrag zu tun habe. Dass bei einem solchen Auftrag die
Organisation auf ihre Effektivität überprüft werden müsse, sei doch
selbstverständlich, antwortete Ferdinand. Wortlos schluckte der Gast die Erklärung.
Er sei jetzt hier, um einen Strategieplan zu erarbeiten, den er am nächsten Tag
dem Vorstand vorlegen könne, sagte er. Ferdinand rief ein Kalenderprogramm auf,
das sie mit den wichtigsten Eckpunkten und Aktivitäten aus dem Ablaufplan füllten.
Dienstag
früh brachte ein Bote der Helios AG den unterschriebenen Auftrag und Ferdinand
fuhr sofort zu der Firma, um mit der Istaufnahme zu beginnen. Bis Freitag
listete er im DV-Zentrum die gesamte Hardware mit Alter, Speicherplatz, und
installierten Programmen auf, weil er ahnte, dass hier am meisten erneuert
werden musste. Jeden Nachmittag ließ er sich von Dr. Luising bestätigen, was
er ermittelt hatte. Abends informierte er Tanja über seine Erkundungen, denn
sie wollte ja mitarbeiten. „Du kannst schon am Wochenende anfangen, mir
Aufgaben zu geben, denn ich habe für die nächsten vier Wochen Urlaub
genommen“, sagte sie.
Aus Kapitel 12 „Gefahren“
Freitag
erfuhr Ferdinand, dass Tayyip Şanlıbay aus Istanbul gelandet sei. Ein
Mercedes mit verdunkelten Fenstern habe ihn abgeholt und zu seinem Haus
gebracht, dann sei der Mercedes mit einem zweiten Mann wieder abgefahren.
Ferdinand wusste, dass der Wagen dem persischen Anwalt gehörte, und hatte plötzlich
Angst um Tanja. Er verabschiedete sich und raste nach Hause.
Vor
seinem Haus stand der Mercedes, kurz danach hielt Tanja vor der Haustür und
stieg aus. Aus der Beifahrertür des Mercedes sprang ein Mann mit einer Pistole,
stieß Tanja zu dem Mercedes und schrie „Los, einsteigen!“ Da rief Ferdinand
„Halt!“ Überrascht wandte der Mann sich um und richtete die Pistole auf
Ferdinand. Doch Tanja schlug ihm mit der Handkante auf den Arm, so dass er die
Pistole fallen ließ. Dann riss sie den Elektroschocker aus der Handtasche und
drückte ihn dem Mann ins Genick, bis er zusammen sank. Der Mercedes mit den
schwarzen Fenstern fuhr mit quietschenden Reifen ab, wobei die Beifahrertür mit
einem Knall zuschlug. Ferdinand rief Andreas an, der sofort mit zwei
Polizisten kam und den Verbrecher abholte.
ach dem
Abendessen rief Andreas an, sie hätten den Anwalt bei Tayyip Şanlıbay
gefunden und beide festgenommen. Şanlıbay hatte noch in der Nacht mit
seiner Frau und allerlei Papieren wieder abfliegen wollen. Der Attentäter sei
ein Auftragskiller, der der Polizei bisher immer entwischt sei. Er sei von
Şanlıbay beauftragt worden, Tanja für 10.000,- € zu entführen und
in dessen Keller zu verbergen. Damit wollten sie Ferdinand erpressen, nicht
weiter für Helios zu arbeiten.
Ferdinand überlegte: „Ich denke, nach diesem Erlebnis
haben wir erst mal eine Erholung verdient. Wollen wir über das Wochenende in
die Berge fahren?“ Sonntag
standen sie früh auf und begannen den Aufstieg in Bad Kohlgrub. Nach drei
Stunden waren sie erschöpft und kehrten um. An einer steilen Stelle rutschte
Ferdinand vom Weg und schlug hin. Tanja sah, dass er nicht atmete und aus einer
Wunde am Kopf blutete. Er war beim Sturz auf einen spitzen Stein geschlagen. Sie
gab ihm eine Atemspende, dann wählte sie 112 und berichtete Ferdinands Zustand.
Wo sie sei, wollte der Beamte wissen und sie nannte die Koordinaten von ihrem
Handy. „Da ist 100 Meter entfernt eine Plattform, ich schicke den Notarzt mit
dem Hubschrauber“, sagte er.
In München war Ferdinand noch immer ohne Bewusstsein und
wurde sofort in den OP gebracht, er. Nach einer Stunde kam ein Arzt zu Tanja.
„Ihrem Mann geht es zurzeit nicht so gut. Er hat ein Schädel-Hirn-Trauma mit
Verletzung des Schädelknochens. Auf den Röntgenaufnahmen zeigt sich eine
Blutung im Gehirn, die anscheinend das Atemzentrum stillgelegt hat. Wir haben
das Blut abgesaugt, wissen aber nicht, ob die eigene Atmung wieder einsetzen
wird. Durch Ihre rasche Atemspende haben Sie wahrscheinlich bleibende Schäden
verhindert. Wir haben ihn ins künstliche Koma versetzt, das drei Tage bestehen
bleiben muss.“ Zu Hause warf Tanja sich weinend aufs Bett. „Gott, wer du
auch immer bist, erhalte mir diesen Mann, den ersten Mann, den ich grenzenlos
liebe“, flüsterte sie schließlich.
Nach
einer Weile wurde sie ruhiger und dachte an den Helios-Auftrag, könnte sie ihn
alleine weiterführen? Sie nahm sich die auf dem Laptop dokumentierten
Hardware-Erkundungen vor, die Ferdinand in der letzten Woche erledigt hatte, bis
sie über alle Einzelheiten Bescheid wusste. Offen war noch ein wichtiger Punkt:
„Aufgabenverteilung zwischen den Arbeitsplatzrechnern und den Servern“,
damit wollte er sich eigentlich morgen befassen. Tanja überlegte, wonach sie
fragen könne, wenn sie das übernehmen würde, und notierte ein paar
Einzelheiten:
-
Speicherort der Anwenderprogramme,
-
Speicherorte der Daten,
-
Sicherung der Daten, wo und wie oft,
- Zugriffsverfahren und Berechtigungen,
Montag früh rief Tanja die Klinik an und erfuhr, dass
Ferdinands künstliches Koma weiter bestehe und sein Zustand sich bisher nicht
geändert habe. Mit bangem Herzen fuhr sie zu Helios. Als sie Dr. Luisings Büro
betrat, fuhr ihm wieder der Schreck durch die Glieder und völlig verwirrt sagte
er: „Hallo, Betsy, schön, dich mal wieder zu sehen.“ „Wie bitte“,
fragte Tanja und musste sich das Lachen verbeißen. „Mein Name ist Tatjana
Novikova und ich arbeite für die DV-INSTALL von Herrn Wagner. Er ist gestern
verunglückt und ich führe seine Arbeit weiter. Ich würde gerne mit einem
Ihrer Mitarbeiter über diese Punkte sprechen.“ Der Mann hatte sich inzwischen
gefangen und als er Tanjas
Aufzeichnungen gelesen hatte, rief er eine Mitarbeiterin zu sich, die er als
Frau Gruschinski vorstellte, sie könne alle Fragen beantworten.
Wenig später
saß Tanja bei ihr und staunte über ihr fundiertes Wissen. Sie konnte gar nicht
so schnell die Informationen in den Laptop tippen, wie die Frau sie nannte. Sie
begann mit der offen gebliebenen Frage von der vorigen Woche und hatte Probleme,
ihr relativ geringes Wissen zu kaschieren. Später begann sie mit der Aufnahme
der einzelnen Softwaremodule und Datenbereiche auf den Servern und stellte
gemeinsam mit Frau Gruschinski einen Funktionsplan auf, in dem die Verknüpfungen
gekennzeichnet waren. Alle Erkenntnisse hinterlegte sie sofort auf Ferdinands
Laptop.
Dienstag
begann sie mit Frau Gruschinski, die Softwaremodule einzeln aufzunehmen und fuhr
nachmittags zur Klinik. Wieder konnte sie Ferdinand nur durchs Fenster sehen,
doch ihr fielen Steine vom Herzen, als sie sah, dass er selbstständig atmete.
Ein Schwall tiefer Liebe überflutete sie und sie wusste, dass sie ihn nie
wieder lassen würde. Als sie erfuhr, dass er morgen geweckt werden solle,
faltete sie wieder unbewusst die Hände und dankte Gott für seine Güte.
Freitag
glich Tanja die Ergebnisse der Woche mit Dr. Luising ab, als eine attraktive
Frau in sein Büro stürmte und ihn herzlich küsste. „Ich hatte in der Gegend
zu tun und wollte mal kurz hereinschauen“, rief sie lachend. Für einen Moment
schien er die Contenance zu verlieren, doch dann stellte er die Frauen einander
vor, die Dame war seine Ehefrau. Er erklärte ihr Tanjas Funktion, worauf sie
meinte, sie könne ja draußen warten. „Wir sind schon fast fertig. Ich wünsche
Ihnen beiden noch einen schönen Abend“, antwortete Tanja lächelnd und verließ
das Büro. „Wie kann ein Mann nur solch eine tolle Frau betrügen?“, fragte
sie sich. „Dem müssen doch alle Sicherungen durchgebrannt sein, als sie
verreist war. Versteh‘ einer die Männer!“
In der nächsten
Woche begann Tanja die Aufnahme der Probleme. Frau Gruschinski gab gerne ihr
umfangreiches Wissen preis:
-
„Die Server sind zu alt und zu langsam.
-
Die UNIX-Version, die wir auf ihnen als Betriebssystem fahren, ist
ebenfalls veraltet.
-
Das Netzwerk ist durch die ständigen Erweiterungen unübersichtlich.
-
Die organisatorischen Strukturen sind schlecht, der Chef behält
sich alle Entscheidungen vor.“
Tanja
hatte schon von Ferdinand gehört, dass das System veraltet sei, aber hier
erfuhr sie von einer Betroffenen die notwendigen Details, die sie eifrig
notierte. Sie wies darauf hin, dass das sowohl Investitionen in Millionenhöhe
als auch einen erheblichen Arbeitsaufwand der Beteiligten erfordern würde und
parallel zum laufenden Betrieb realisiert werden müsste. Aber sie gab der Frau
Recht. Das würde aus ihrem Bericht hervorgehen.
Neben
den notwendigen technischen Verbesserungen war die Sicherheit wichtig. Dazu gehörte
eine restriktive Vergabe von Benutzerkonten und ein zuverlässiger
Systemadministrator, der als einziger Zugriff auf alle Systeme hat. Für den
Schutz nach außen fand sie Systeme, die im Zusammenwirken mit der Firewall
Angriffe entdecken und abwehren können. Ihren Berichtsentwurf sprach sie täglich
mit Ferdinand ab. Und jedes Mal lobte er sie. Besonders die Bemerkungen von Frau
Gruschinski interessierten ihn. „Das ist eine gute Grundlage für unseren
Bericht.“
Freitag
machte Ferdinand ein feierliches Gesicht. „Ich möchte dir etwas
vorschlagen“, sagte er. „Ich habe in den letzten Wochen festgestellt, welch
fantastische Hilfe du für mein Geschäft bist, was hältst du davon, wenn du
deine Arbeit in der Bank aufgibst und als gleichberechtigte Teilhaberin in die
Firma DV-INSTALL eintrittst? Du würdest mir, nein uns, damit sehr helfen, denn
das Geschäft läuft immer besser und ich schaffe es nicht mehr alleine.“
Tanja war sprachlos, damit hatte sie niemals gerechnet. „Das ist ein großer
Vertrauensbeweis“, stammelte sie schließlich, „aber es kommt vollkommen überraschend
für mich und bedeutet, dass ich meinen letzten Rest Selbstständigkeit aufgeben
muss. Bitte lass‘ mir etwas Zeit, darüber nachzudenken.“
Samstag kaufte Tanja einen Strauß rote Rosen. Ferdinand
schaute sie erstaunt an. Sie küsste ihn liebevoll, dann sagte sie feierlich:
„Das ist ein Gruß von deiner neuen Geschäftspartnerin.“ Ferdinand wäre am
liebsten aus dem Bett gesprungen, doch er breitete nur die Arme aus. „Das ist
eine wundervolle Nachricht, mein Liebling“, sagte er bewegt, als Tanja sich an
ihn drückte, „da werde ich noch mal so schnell gesund. Wann kannst du deinen
Job kündigen?“ „Ja, das ist ein Problem“, antwortete sie, „mein Vertrag
läuft bis Ende des Jahres und ich glaube nicht, dass sie mich eher frei geben.
Eigentlich müsste ich ein halbes Jahr vorher kündigen, ich werde sehr bald mit
meinem Vorstand sprechen.“
Am
Sonntag rief Tanja ihren Chef an und er lud sie zu einem Gespräch ein. Als sie
ihm ihr Problem schilderte, wiegte er den Kopf. „Das ist ja für Sie eine sehr
erfreuliche Entwicklung, für uns allerdings weniger. Deshalb schlage ich Ihnen
einen Kompromiss vor: Wir streichen den Kündigungstermin zum Jahresende,
bleiben aber bei der Kündigungsfrist von einem halben Jahr, damit bleiben Sie
uns bis Ende Februar erhalten. Ich will Ihnen nicht verbieten, jetzt schon
formell als Gesellschafterin in das Unternehmen Ihres Freundes einzusteigen,
erwarte aber, dass Sie im nächsten halben Jahr Ihre ganze Kraft weiter für
Ihre Tätigkeit hier einsetzen. Und ich will Ihnen diese Bereitschaft bei Ihrem
Ausscheiden mit einer Prämie von 30.000 Euro versüßen.
Tanja
fuhr gleich zur Klinik und berichtete Ferdinand von ihrem Erfolg. Glücklich küsste
er sie und bat sie, sich schon mal Gedanken über einen Vertrag zu machen und
den Eintrag ins Handelsregister beim Amtsgericht vorzubereiten. Sie solle auch
überlegen, ob sie etwas Kapital einbringen wolle. „Wir müssen doch nichts überstürzen“,
bremste sie den Freund, „vorerst arbeite ich noch zwei Wochen für den
Helios-Auftrag und ich denke, bis dahin den Bericht fertig zu haben. Lass uns
das erst mal abschließen, und wenn du dann aus der Klinik bist, können wir den
nächsten Schritt tun.“ „Du bist ein Engel und so wollen wir es halten“,
meinte Ferdinand.
Dienstag
fragte Tanja Dr. Luising nach einem Kenner des Netzwerks, mit dem sie einen
detaillierten Ablauf der Umstellung auf ein neues System entwickeln könne. Er
empfahl Herrn Jungnickel, der gut mit dem Netzwerk vertraut sei. Mit diesem nahm
sie die Netzwerk-Schnittstellen der Cluster und jedes einzelnen Geräts auf.
Notwendig sei eine völlig neue, erweiterungsfähige Architektur mit einem
modernen Protokoll, sagte er. Abends sprach Tanja mit Ferdinand die Ergebnisse
durch, er empfahl einen Versuch, zwei Rechner mit getrennten
Netzwerkschnittstellen und verschiedenen Protokollen zusammen zu schalten.
Gleich am Donnerstag probierte Tanja das gemeinsam mit Herrn Jungnickel und es
funktionierte problemlos.
In der nächsten
Woche wurde Ferdinand entlassen, sollte aber noch viel ruhen. Als er den Bericht
zum ersten Mal vollständig sah, lobte er Tanja: „Ich hätte es nicht so gut
gekonnt, dein weiblicher Stil ist viel besser als meiner.“ Sie arbeiteten ihn
noch einmal vollständig durch, wobei Ferdinand wusste, wo die Kosten für jeden
einzelnen Vorschlag zu finden waren. Im Wesentlichen waren die Hardware und das
Betriebssystem der zentralen Server sowie das interne Netzwerk zu erneuern. Den
Ablaufplan dafür terminierten sie auf sechs Monate und kamen auf Kosten von 2,3
Mio. €. Zur Verbesserung der Sicherheit wurden Tanjas Erkenntnisse
aufgenommen, die teilweise für Ferdinand neu waren.
Sie extrahierten aus dem Bericht eine Präsentation der
wichtigsten Punkte und Ferdinand bat Tanja, sie vorzutragen.
Dienstag saßen sie den vier Vorstandsmitgliedern gegenüber. Ferdinand gab eine
Einleitung. „Wie Sie vielleicht erfahren haben, hat mich ein Unfall fast vier
Wochen in der Klinik festgehalten und ich fürchtete schon, den Termin nicht
halten zu können. Zum Glück konnte meine Partnerin, Frau Novikova, die
notwendigen Erkundigungen über Ihr System voll selbstständig erheben und
verarbeiten, so dass die Studie pünktlich fertig geworden ist. Deshalb bitte
ich, dass sie Ihnen jetzt an meiner Stelle die Ergebnisse präsentieren darf,
mit denen sie viel besser vertraut ist als ich.“
Innerhalb
einer guten Stunde trug Tanja dann – immer wieder von Zwischenfragen
unterbrochen – alle Ergebnisse vor und beeindruckte das Auditorium damit.
„Ich glaube, Sie haben uns überzeugt, dass wir eine ganze Menge tun müssen“,
sagte Dr. Newi nachdenklich. „Wir müssen das intern besprechen, bevor wir uns
entscheiden, aber erst mal danke ich Ihnen und besonders Ihrer charmanten
Partnerin ganz herzlich für die ausgezeichnete Arbeit.“
Samstag
startete die große Fete zu Tanjas Aufnahme in die Geschäftsführung der
DV-Install mit vielen Gästen. Andreas Belzig nahm Ferdinand zur Seite: „Herr
Maurer hat mir erzählt, dass die Russen in Novosibirsk den Heliofighter nach
Originalplänen der Helios nachbauen. Ich habe alle Erkenntnisse zusammen gezählt
und dabei ist mir klar geworden, dass die Chinesen Recht hatten mit ihrer
Behauptung, du hättest bei Helios Daten abgezogen. Ich werde meine Vermutungen
für mich behalten, denn du bist mein Freund und hast dich bei der ganzen Aktion
unter Lebensgefahr verdient gemacht. Ich wollte dir nur zeigen, dass ich kein dämlicher
Kriminalist bin.“
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