Ernst-Günther Tietze: "Zauber im Blaubeerwald", Leseproben 

© Copyright 2023 Ernst-Günther Tietze

                                                Prolog                Literaturverzeichnis

 

Zwei Teenager werden beim Blaubeerpflücken in Tiere verwandelt und wissen zunächst außer ihrem Vornamen nicht, wer sie sind. Mühsam finden sie sich in dem ungewohnten Leben zurecht. Nach ein paar Tagen treffen sie aufeinander und stellen fest, dass sie das gleiche Schicksal haben.

Eine alte Dame klärt sie auf, sie habe sie verzaubert, um ihre Eltern in Angst zu versetzen, damit sie bereit würden, ihren fehlerhaften Lebenswandel zu verbessern. Sie erläutert ihnen, wie sie nach der Rückverwandlung zu Menschen mit den Eltern reden sollen, damit diese ihre Fehler erkennen.

In einem langen Gespräch können sie beide Elternpaare überzeugen, ihr Unrecht zu unterlassen, sie danken ihren Kindern und akzeptieren sie als erwachsen werdende Menschen.

Die beiden Jugendlichen haben durch das gemeinsame Erlebnis im Wald als heimatlose Tiere zueinander gefunden und werden, nachdem sie wieder zu einem Jungen und einem Mädchen geworden sind, zu einem Liebespaar.

Der Roman schildert die Erlebnisse der Jugendlichen und ihrer Eltern in den folgenden Monaten, und wie die beiden dadurch allmählich erwachsen werden.

                                                          Aus Kapitel "Das Reh"     

 

Dem kleinen Reh knurrte der Magen vor Hunger, aber es wusste nicht, was es fressen konnte. Seit gestern lief es durch den Wald und hatte sich nachts eine versteckte Stelle gesucht, wo es sicher schlafen konnte. Zum Glück hatte es, als sein Durst übermächtig wurde, einen kleinen Tümpel mit ziemlich schmutzigen Wasser gefunden und gewagt, daraus zu trinken. Es schmeckte zwar scheußlich, doch es löschte wenigstens seinen Durst. Im Spiegel der Wasseroberfläche erkannte es, dass es ein Reh war, aber es wusste nicht, wo es hergekommen war, es war einfach da gewesen. Nur dass es irgendwann Renate gerufen worden war, hielt sich als dunkles Geheimnis in seinen Gedanken.

Als es am Morgen aufwachte, schien die Sonne und es war schön warm, doch sein Magen knurrte immer stärker. Es lief zu dem Tümpel, um wenigstens etwas zu trinken, da sah es auf einer Wiese am Rand des Waldes eine Gruppe anderer Rehe, teils größer und erwachsener, teils auch jünger, die friedlich ästen. Vorsichtig näherte es sich diesen unbekannten Artgenossen. Erstaunt, aber freundlich fragte eine ältere Ricke „Wo kommst du denn her, wir haben dich ja noch nie hier gesehen?“ Diese Frage war der kleinen Renate peinlich, denn sie wusste wirklich nicht das Geringste über ihre Herkunft. „Es tut mir schrecklich leid, aber ich weiß es nicht. Ich bin seit gestern hier in der Gegend, weiß aber überhaupt nicht, wo ich hergekommen und warum ich jetzt hier bin. Nur an meinen Namen Renate kann ich mich erinnern und ich sterbe vor Hunger, denn ich weiß nicht, was ich fressen kann.“

Zur selben Zeit war die Verzweiflung der Familie Rehberg in der nahen Gemeinde Schallstadt immer stärker angestiegen. Am Donnerstag war ihre Tochter Renate mit einem Körbchen in den nahen Wald gegangen, um Blaubeeren zu pflücken, nachdem sie ihre Schulaufgaben erledigt hatte. Das tat sie jetzt fast jeden Tag, denn sie aßen alle diese Beeren gern. Doch sie war sie nicht aus dem Wald zurückgekommen. Als das Mädchen nach zwei Stunden noch nicht zurückkam, war die Mutter in den Wald gegangen und hatte im Blaubeerfeld nur den vollen Korb ihrer Tochter gefunden, von dem Mädchen gab es keine Spur. Eine ganze Stunde lief sie durch den Wald, schaute in jeden Winkel und rief immer wieder den Namen Renate, dann kehrte sie voller Unruhe nach Hause zurück. „Hätten wir das Mädchen nicht allein in den Wald gehen lassen dürfen?“, fragte sie weinend den Vater, doch der strich ihr zärtlich über die Haare und antwortete: „Unsere Tochter ist sechzehn Jahre alt und fährt jeden Tag allein mit dem Bus in die Stadt zur Schule. Sie ist doch bisher immer aus dem Wald zurückgekommen, da muss irgendwas passiert sein. Wir sollten die Polizei einschalten.“

Aus Kapitel "Der Wolf"

Sonntagvormittag ging der siebzehnjährige Wolfgang Wulff mit einem Korb in den Wald, um Blaubeeren zu pflücken, die er und auch seine Eltern gern aßen. Die Eltern hatten in Schallstadt ein Haus gebaut, weil ihnen die ländliche Umgebung viel angenehmer war als die Stadt Freiburg, wo der Vater eine gutgehende Zahnarztpraxis hatte und die Mutter einen großen Supermarkt leitete. Die meisten Lebensmittel brachte sie von dort nach Hause, manchmal kauften sie beim Bäcker Rehberg etwas frischen Kuchen und sonntags Brötchen. Wie Renate Rehberg besuchte Wolfgang das Gymnasium in der Stadt und hatte sie auch schon im Schulbus gesehen, doch kaum beachtet, weil sie ein Klasse unter ihm war.

Als der Junge mittags noch nicht wieder aus dem Wald zurück war, machten die Eltern sich Sorgen. Die Mutter stellte das Essen warm und sie gingen in den Wald. Wie Renates Mutter vor drei Tagen fanden sie den vollen Korb am Rand der Blaubeerbüsche stehen, aber keine Spur von ihrem Sohn. Sie wussten, dass er nicht einfach die Beeren stehenlassen und durch den Wald stromern würde, und gingen sehr besorgt im Dorf zurück und zur Polizei. Der Beamte pfiff durch die Zähne und berichtete ihnen von Renate Rehbergs Verschwinden am Donnerstag, was die Eltern noch stärker beunruhigte. „Das sieht nach einer gezielten Aktion von einer Bande aus. Ich melde es gleich der Polizeidirektion in der Stadt“, sagte er. Eine Stunde später waren die Kripo und der Hundeführer mit seinen Hunden am Ort, die Wolfgangs Witterung folgten. Wie am Donnerstag beendeten sie die Suche am Blaubeerfeld und schnupperten überall auf dem Boden herum, bis der Hundeführer die Suche als ergebnislos abbrach. Kurz danach meldete sich ein Waldspaziergänger bei der Polizei, er habe bei den Blaubeeren eine elegante alte Dame mit einem dichten Kopftuch gesehen

Die Kriminalbeamten konnten sich keinen Reim darauf machten und gingen von einer Entführung aus. Um möglichen Entführern auf die Spur zu kommen, richteten sie für die Familie Wulff eine Telefonüberwachung ein. und nachträglich auch für den Anschluss der Bäckerei Rehberg. Die Beamten ließen sich von den beiden Männern, die die alte Dame gesehen hatte, noch einmal alle Einzelheiten berichten, konnten jedoch keine Verbindung zu den verschwundenen Kindern sehen.

Am Nachmittag dieses Tages streifte ein junger Wolf verwirrt durch den Wald. Er wusste nicht, wer er war und wie er hierhergekommen war, nur den Namen Wolfgang hatte er in Erinnerung. Er war hungrig und hatte Durst, wusste aber nicht was er fressen konnte und wo es etwas zu trinken gab. Als er einen Käfer am Boden kriechen sah, dachte er, der sei vielleicht fressbar und nahm ihn ins Maul, Das schmeckte zwar scheußlich, schien aber seinem hungrigen Magen gut zu tun. Gegen Abend fand er auch noch eine Pfütze, aus der er seinen Durst stillen konnte. Aber als ihn daraus sein Spiegelbild anblickte, erschrak er: ein Wolf blickte ihn an. Solch Tier hatte er schon gesehen, konnte sich aber nicht erinnern, wo. Er fletschte die Zähne und sah, dass der Wolf dasselbe tat. Auch als ein Auge zukniff antwortete das Spiegelbild, da ahnte er, dass er der Wolf war, der aus dem Tümpel trank. Er schaute seinen Körper an: ein graues Fell, ein langer Schwanz und vier Beine, kein Zweifel, er war ein Wolf Dann wurde er müde und legte sich in einem versteckten Winkel zum Schlafen.

Als er am nächsten Morgen hungrig und durstig erwachte, erinnerte er sich des Tümpels, aus dem er gestern getrunken hatte. Er stillte seinen Durst und wieder erinnerte sein Spiegelbild ihn daran, dass er ein Wolf war, aber er musste unbedingt etwas zu fressen finden. Als ihm eine Eidechse über den Weg lief, gelang es ihm, sie zu fangen, sie schmeckte gar nicht schlecht, aber satt war er noch immer nicht. Das wurde er erst, als ihm am Nachmittag zwei unvorsichtige Mäuse vor die Schnauze kamen, da konnte er beruhigt die Gegend erkunden und sich abends auf seinen Schlafplatz zurückziehen. Als er dann noch eine Maus überraschen konnte, wusste er, wonach er suchen musste, um seinen Hunger zu stillen.

 

Aus Kapitel "Begegnung"      Seitenanfang        Literaturverzeichnis    

Am nächsten Morgen erwachte Wolfgang durstig und ging zum Bach, um zu trinken. Auf dem Rückweg kam er an einem Blaubeerfeld vorbei und erinnerte sich plötzlich, solche Früchte schon gegessen zu haben. Doch dann sah er ein kleines Reh zwischen den Beeren. Vorsichtig schlich er sich näher und sah, dass es die Früchte von den Sträuchern abfraß. Das Tier war so in seine Mahlzeit vertieft, dass es den Wolf erst bemerkte, als er dicht hinter ihm stand und es ansprach: „Ich wünsche dir guten Appetit, ich erinnere mich, dass die Früchte gut schmecken.“ Erschrocken drehte das Reh sich um und wollte fliehen, doch Wolfgang beruhigte es: „Ich tue dir nichts, will nur mit dir plaudern und auch die Beeren fressen.“ „Wer bist du?“, fragte das Reh ängstlich und Wolfgang antwortete „Ich weiß zwar, dass ich Wolfgang heiße und ein Wolf bin, aber überhaupt nicht, wie ich dazu geworden bin und wo ich herkomme.“

„Das geht mir doch genauso“, antwortete das Reh nachdenklich. „Vor sechs Tagen war ich plötzlich hier im Wald, wusste nicht, wo ich herkomme und wer ich bin. Ich weiß nur, dass ich Renate heiße und ein Reh bin, aber das ist auch alles Zum Glück habe ich ein Rudel mit einer alten Ricke gefunden, das mich aufgenommen hat. Die Ricke heißt Gertrud und hat mich vor deinesgleichen gewarnt, aber ich glaube, ich kann dir vertrauen. Die Beeren hier sind das Einzige, an das ich mich auch noch erinnern kann. Ich mag sie gern und bin deshalb jetzt allein hergekommen.

„Das kenne ich“, erinnerte sich Wolfgang, „irgendwann habe ich sie früher schon gegessen. Als ich mich plötzlich hier im Wald fand, wusste ich zunächst gar nicht, wer ich bin. Erst mein Spiegelbild in einer Pfütze hat mir meine Identität gezeigt. Und zum Glück habe ich gestern einen anderen Wolf getroffen, der mir gezeigt hat, was ich fressen und trinken kann. Aber als er dann ein Kaninchen gerissen hat, konnte ich nichts davon fressen. Ich erinnerte mich, dass ich irgendwann solch ein Tier selbst gepflegt habe. Und jetzt kam mir das Beerenfeld hier bekannt vor, als wenn ich hier früher schon Beeren gepflückt habe.“ „Dann haben wir beide eine gemeinsame Erinnerung, fällt dir denn noch mehr von früher ein?“, meinte Renate nachdenklich. „Ja, ich kann mich dunkel erinnern, dass da plötzlich eine alte Dame mit einem dichten Kopftuch hinter mir stand, als ich die Beeren pflückte“, versuchte Wolfgang seine Gedanken zu ordnen. „Du, das war bei mir doch genauso!“, rief Renate, „jetzt, wo du das sagst, fällt es mir wieder ein. Sollte diese Alte etwas mit unserem Schicksal zu tun haben?“

„Ja, das hat sie“, hörten sie plötzlich eine angenehme weibliche Stimme hinter sich, und als sie sich umschauten, konnten die sie Sprecherin sehen, eine elegante alte Dame, deren Kopf durch ein dichtes Tuch verhüllt war. „Weil eure Eltern Unrecht tun, habe ich euch vor ein paar Tagen in Tiere verwandelt, um sie zu strafen. Damit ihr wisst, wo ihr herkommt, lasse ich euch jetzt für kurze Zeit eure Familien sehen. Ihr seid für die Menschen unsichtbar und müsst euch ganz still verhalten und nur schauen, sonst kommt ihr nie wieder in euer altes Leben zurück.“ Die beiden hörten einen Zauberspruch und fanden sich plötzlich in einem Dorf wieder, das ihnen heimisch vorkam. Als sie einander anschauten, waren sie keine Tiere mehr, sondern ein Mädchen und ein Junge. „Du kommst mir bekannt vor“, sagte Wolfgang nachdenklich, „ich habe dich in einem Bus mit anderen Kindern gesehen.“ „Ja, du hast recht, es war der Schulbus und ich erinnere mich auch, dass ich dich dort gesehen habe“, erwiderte Renate.

„Das ist die Bäckerei meiner Eltern!“, rief sie plötzlich und zeigte auf ein Schaufenster mit Kuchen und andern Backwaren. „Du darfst nicht so laut sprechen“, ermahnte Wolfgang sie, „wir sind ja nur insgeheim hier.“ „Ich würde gern mal in den Laden reinschauen, komm mit“, meinte Renate und führte Wolfgang durch die Tür. „Da hinter dem Ladentisch steht meine Mutter, und mein Vater ist wohl in der Backstube, da müssen wir jetzt nicht hin. Ich zeige dir nur noch mein Zimmer, dann gehen wir am besten wieder raus“, fuhr sie fort.

Auf der Straße fragte sie leise: Hast du denn dein Elternhaus schon gefunden?“ „Es muss hier in der Nähe sein, die Gegend kenne ich. Komm‘ mit, ich glaube es ist gar nicht weit“, antwortete Wolfgang nachdenklich. Er führte das Mädchen zwei Ecken weiter und hielt vor einer geschmackvollen Villa an. „Das ist mein Zuhause“, erläuterte er stolz. „Meine Eltern dürften schon in der Stadt sein, wo sie arbeiten, aber wir wohnen hier, weil die Gegend schöner und ruhiger ist. Lass‘ uns mal reinschauen.“ Sie konnten die geschlossene Haustür durchschreiten und fanden im Wohnzimmer eine Frau mit einem Staubsauger. „Das ist unsere Reinigungskraft“, meinte der Junge, „sie hat einen Hausschlüssel und putzt, wenn meine Eltern zur Arbeit sind.“ Renate staunte über die elegante Ausstattung der Räume und hätte gern noch mehr gesehen, aber Wolfgang zeigte ihr nur noch sein Zimmer und meinte dann: „Lass‘ uns am besten wieder rausgehen.“

Auf der Straße stand plötzlich die elegante alte Dame mit dem Kopftuch vor ihnen. „Jetzt wisst ihr, wer ihr seid und wo ihr herkommt, müsst aber leider noch eine Weile wieder als Tiere im Wald leben. Ich bin mir noch nicht drüber klar, wie ich euch benutzen kann, um das Unrecht gutzumachen, das eure Eltern tun. Nascht oft von den Blaubeeren, denn nur dort kann ich euch treffen.“ Und sofort standen sie wieder bei den Blaubeeren und erkannten sich als Reh und Wolf. „Das war ja hochinteressant“, meinte Wolfgang, „Jetzt wissen wir wenigstens, wer wir sind und wo wir herkommen. Was fangen wir nun mit dem Wissen an?“ „Wir sollten möglichst viel zusammenbleiben und warten, was die alte Dame mit uns vorhat“, erwiderte Renate nachdenklich, „aber wir sollten unser Wissen vor den anderen Tieren geheim halten. Wenn ich dich richtig verstanden habe, lebst du hier ganz allein. Ich habe wenigstens das Rudel, aber viel lieber bin ich mit dir zusammen. Ich habe jetzt Hunger und du wohl auch, aber wir haben unterschiedliche Fressgewohnheiten. Lass uns jeder für sich sorgen und bevor es dunkel wird, treffen wir uns wieder hier.“ „Du bist ein ganz liebes Mädchen, da muss ich nicht mehr so allein sein“, antwortete Wolfgang und strich dem Reh mit der Vorderpfote über den Kopf.

 

Aus Kapitel "Offenbarung"         

„Ihr sprecht von unseren Verfehlungen“, nahm Peter Wulff das Wort, „da bin ich ja gespannt, ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe.“ „Dann fangen wir gleich mal bei dir an“, rief Wolfgang erbost, „brichst du nicht laufend das Eheversprechen, das du Mutti gegeben hast: ‚Ich nehme dich an als meine Frau und verspreche dir Treue in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will dich lieben und ehren, solange ich lebe.‘? Immer, wenn Mutti verreist ist, verbringst du die Nächte mit deiner Assistentin in einem komfortablen Hotel und spielst, wenn sie zurück ist, den braven Ehemann.“

„Ist das wahr?“ rief seine Frau erbost. „Unsere innigen Begegnungen waren für mich immer wunderschön, hast du die Liebe zu mir nur gespielt und dabei an deine Geliebte gedacht?“ Ihr Mann schlug die Hände vors Gesicht und sagte eine Weile nichts, bis die Frau rief: „Antworte bitte!“ „Ja, es ist wahr,“ sagte der Mann kaum hörbar, „aber denke bitte nicht, dass ich dich nicht liebe. Du bist die einzige Frau, die ich über alles liebe, nur mit dir bin ich vollkommen glücklich. In den wunderbaren Nächten mit dir war ich immer nur bei dir und habe die Begegnung ebenso genossen wie du. Die Assistentin hat mich verführt, als du verreist warst und ich habe mich hinreißen lassen, es war ja auch nicht schlecht mit ihr. Aber ich hatte immer ein schlechtes Gewissen und werde die Beziehung sofort beenden und sie aus meiner Praxis entlassen.“ „Das ist das mindeste, was ich von dir erwarte“, antwortete die Frau leise, „aber du musst verstehen, dass ich eine Zeit brauchen werde, um die alte Vertraut­heit mit dir wiederzufinden. Noch weiß ich nicht, ob mir das überhaupt gelingen wird.“ „Ich kann nur inständig auf deine liebevolle Vergebung hoffen“, sagte ihr Mann leise.

„Du bist so still, du ahnst wohl, dass dir die gleiche Enthüllung blüht“, sprach Renate ihren Vater an. „Du brauchst gar nicht weiterzureden“, rief er, dann sprach er mit schmerzverzerrtem Gesicht zu seiner Frau: „Ja. auch ich habe das eheliche Treuegelöbnis gebrochen. Obwohl ich mit dir im Bett glücklich bin, konnte ich den Hals nicht vollkriegen. Zweimal in der Woche habe ich eine Frau in der anderen Ecke des Dorfes besucht und mit ihr die halbe Nacht verbracht. Sie ist eine hübsche junge Frau und hat mir einmal schöne Augen gemacht, als ich den Verkauf im Laden übernahm, und mich zum Abend zu sich eingeladen. Ich ahnte, dass daraus ein erotisches Abenteuer werden könnte und war nicht abgeneigt. Es kam, wie erwartet, nach einem fantastischen Abendessen mit gutem Wein umarmte und küsste sie mich. Ich stand sofort in hellen Flammen, warf die Kleidung ab, was sie ebenso tat, und schon waren wir ineinander. Natürlich besuchte ich sie nach zwei Tagen wieder. Sie beherrscht alle Tricks und ich habe jede Begegnung mit ihr genossen. Doch nun sehe ich mein Unrecht ein und werde nicht mehr zu ihr gehen.“

„Ich habe so etwas geahnt“, schluchzte Gertrud Rehberg, „aber nichts gesagt, weil ich von dir abhängig bin, denn unser ganzes Geschäft gehört dir allein und ich bin nur eine bessere Angestellte. Und im Bett bist du ja auch kein schlechter Liebhaber. Aber nun ist Schluss mit meiner Geduld. Ich fordere von dir das fünfzigprozentige Eigentum und Teilhabe an der gesamten Bäcke­rei. Ich fordere ein gemeinsames Testament, damit beim Tode eines von uns seinen Anteil völlig auf Renate übergeht. Morgen können wir in der Stadt zu einem Notar gehen und diese Verträge aufnehmen lassen und unterschreiben. Solltest du dazu nicht bereit sein, werde ich mich scheiden lassen, schließlich bin ich eine gelernte Fachverkäuferin und mit dem Zugewinnanteil, den du mir bei der Scheidung zahlen musst, kann ich eine ganze Weile gut leben.“

„Liebste!“, rief der Bäcker, „diese Worte glaubst du mir jetzt wahrscheinlich nicht mehr, aber ich sage es in vollem Ernst: Du bist die Frau, die ich über alles liebe und ich will alles tun, um es dir zu beweisen. Gern fahre ich morgen mit dir zum Notar und lasse die Verträge aufsetzen, die du dir wünschst Ich dachte bisher, das sei nicht nötig, sehe aber ein, dass du in der Bäckerei völlig rechtlos bist, das müssen wir ändern. Und ich will gern darauf warten, dass du mir irgendwann meine Seitensprünge verzeihen kannst und mich wieder als deinen Ehemann akzeptierst.“ Da wandte sich Gertrud zu ihm und küsste ihn herzlich mit den Worten: „Ich habe dir doch schon verziehen, denn auch ich liebe dich über alles.“

„Sind denn nur die Männer schuldig geworden oder haben wir Frauen auch Unrecht getan?“, wollte Veronika Wulff wissen. „Ja, das habt ihr“, beantwortete ihr Sohn die Frage. „Ihr verschwendet in großem Maße Lebensmittel, obwohl ein Großteil der Menschheit hungert und viele Kinder sogar an Hunger sterben. Wenn in deinem Laden eine Ware das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat, landet sie in der Mülltonne, obwohl sie noch gut essbar ist. Und du gehst sogar so weit, das Bedienen armer Menschen aus diesen Mülltonnen durch die Polizei verhindern zu lassen. Dabei gibt es eine ganz einfache Lösung: In der Stadt versorgt eine Tafel bedürftige Menschen mit abgelaufenen Lebensmitteln, die sie täglich von den Läden abholt. Die Menschen müssen nachweisen, dass sie eine geringe Rente haben oder von Harz 4 leben. Wenn du alle abgelaufenen Lebensmittel dieser Tafel zur Verfügung stellst, werden deine Müllcontainer leer bleiben und bedürftige Menschen bekommen etwas zu essen. Setz dich mit der Tafel in Verbindung, sie holen die Sachen täglich in deinem Laden ab. Und damit das alles klar geht, beauftragst du einen zuverlässigen Mitarbeiter, sich hauptamtlich darum zu kümmern.“

„Du hast ja Recht“, sagte seine Mutter zu ihm und strich ihm über den Kopf. „Ich hatte schon lange ein ungutes Gefühl bei der Entsorgung der abgelaufenen Waren, sah aber keine Möglichkeit das zu ändern. Ich hätte einfach suchen sollen, dann hätte ich sicherlich diese Lösung gefunden. Morgen beauftrage ich meine Vertreterin, sich mit der Tafel in Verbindung zu setzen, und die Organisation im Laden so umzustellen, dass abgelaufene Lebensmittel erfasst und für die Tafel bereitgestellt werden. Hab‘ herzlichen Dank, dass du mir die Augen geöffnet hast.“

„Wie ich das so sehe, habe ich das gleiche Problem wie Veronika, zwar etwas kleiner, aber trotzdem unrechtmäßig“, meinte Gertrud Rehders. „Ja, das hast du“, sagte ihre Tochter mit ernstem Gesicht zu ihr. „Täglich bleiben Backwaren übrig, die keinen Kunden gefunden haben und du entsorgst sie einfach im Müll.“ „Vater bemüht sich zwar, nur so viel zu backen, wie ich etwa verkaufen kann, aber da wir keine Kunden mit leeren Händen nach Hause schicken wollen, ist es stets etwas mehr als der Bedarf und ich wusste bisher nicht, was ich damit machen kann, denn wir wollen doch nur frische Ware verkaufen.“

„Da gibt es zwei Möglichkeiten“, nahm Renate wieder das Wort. „Du kannst im Laden eine Ecke mit Waren vom Vortag einrichten und sie zum halben Preis anbieten. Ich denke, Leute mit kleinem Geldbeutel, denen die Frische nicht so wichtig ist, werden sie gern kaufen. Die andere Möglichkeit ist auch für dich die Tafel in der Stadt. Zwar werden sie nicht nach Schallstadt kommen, um die Sachen abzuholen, aber als kleinen Dienst an der Menschheit kann Vater, wenn er vormittags mit dem Backen fertig ist, schnell mal in die Stadt fahren und die Sachen bei der Tafel abgeben.“ „Ich soll für nichts und wieder nichts in die Stadt fahren und Backwaren zustellen?“, rief der Bäcker erbost. „Ja, das sollst du“, erwiderte seine Frau mit fester Stimme. „Wir haben beide genug Unrecht getan, um jetzt zur Buße zu kommen.“

Nachdem alles klar war, nahm Renate noch einmal das Wort: „Ihr habt wahrscheinlich gemerkt, dass Wolfgang und ich uns ineinander verliebt haben. Das gemeinsame Erleben als herrenlose Tiere hat uns zusammengeführt und wir wollen als Paar miteinander leben.“ „Dafür bist du doch noch viel zu jung!“, polterte der Bäcker wieder los, doch seine Frau sah ihn streng an. „Nach deinen Eskapaden hast du nicht das geringste Recht, deiner Tochter in Liebesdingen Vorschriften zu machen. Sie wird in einer Woche siebzehn und ich meine, sie ist alt genug, um Erfahrungen in der Liebe zu suchen. Und Renate, wenn du einmal die Pille brauchst, verschaffe ich sie dir. Du musst aber wissen, dass du mindestens zwei Wochen vor dem ersten Verkehr beginnen solltest sie zu nehmen.“ „Ich glaube, soweit sind wir noch lange nicht, aber es kann wohl nichts schaden, wenn ich sie in Bereitschaft habe“, erwiderte das Mädchen.

Sonntag früh wurde sie als erste wach und sah erfreut Wolfgangs Erektion. Mit einem zärtlichen Kuss weckte sie ihn und flüsterte: „Komm‘ zu mir.“ Gern glitt der Geliebte in sie hinein und fühlte zum ersten Mal erfreut, wie ihre Wärme ihn vollständig umfing. Auch Renate genoss die unmittelbare Berührung mit dem Geliebten sehr und als sie seine stöhnenden Spritzer in sich fühlte, erregte sie das so sehr, dass sie laut aufschrie. „Das war ja viel schöner als mit dem Plastikdings“, schwärmte Wolfgang und auch Renate bestätigte den ganz besonderen Genuss der direkten Berührung. Wolfgang stand kurz auf und holte aus seiner Hosentasche ein kleines Päck­chen, das er es ihr mit den Worten: „Ich gratuliere dir ganz herzlich zum siebzehnten Geburtstag und wünsche dir für das neue Lebensjahr viel Freude“, überreichte. Als Renate es öffnete, stieß sie einen Freudenschrei aus. Es war ein Silberkettchen, das durch zwei ineinander verschlungene Herzen gefädelt war. Mit den Worten: „Ich danke dir von Herzen, das ist ja ein ganz wundervolles Geschenk und war sicherlich sehr teuer“, umarmte und küsste sie ihn leidenschaftlich. „Nun ja, ich musste mein Konto ein wenig plündern, aber um dir eine Freude zu machen, habe ich es gern getan“, lachte er. „Komm, ich weiß, wie ich dir danken kann“, antwortete Renate und zog ihn aufs Bett.

Als sie geduscht und angezogen zum Frühstück kamen, war der Tisch festlich gedeckt und mit siebzehn Kerzen verziert. Vor Renates Platz stand ein großer Blumenstrauß und daneben lagen ein modernes Smartphone und ein Gutschein über 500,- Euro für einen Laptop nach Wahl. Überrascht fiel Renate ihren Eltern um den Hals und bedankte sich herzlich. „Wir wünschen dir für das neue Lebensjahr viel Freude und Erfolg in allem, was du tust“, sagte der Vater. „Mit siebzehn bist du ja schon ziemlich erwachsen, und da denken wir, diese Geräte können dir einen neuen Horizont öffnen, das Handy ist schon bei unserem Provider angemeldet und die Gebühren zahlen wir. Auch in unserem WLAN habe ich es angemeldet. Das Geld für den Laptop liegt auf deinem Konto. Unseren großen Drucker kannst du einstweilen mitbenutzen, bis du selbst einen brauchst. Und weil du jetzt eine junge Erwachsene, aber ohne Einkommen bist, erhöhen wir dein Taschengeld auf 60 Euro“, „Möge deine Liebe zu Wolfgang immer herzlicher werden, denn sie erfüllt dich mit neuen schönen Gefühlen und Erfahrungen“, fügte die Mutter hinzu. Mit herzlichen Küssen dankte Renate ihren Eltern. Als die Mutter die neue Halskette bemerkte, dankte sie Wolfgang für seine Liebe zu Renate, die einen erfüllten Menschen aus ihr gemacht habe.

 

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